Dortmund. Bürokratieabbau: Handwerkskammer und Arbeitsagentur starten Pilotprojekt im Ruhrgebiet. In Wochen statt Monaten oder Jahren zum Job.
Dimytro Kolesnikov möchte nicht unhöflich sein, aber ein Fernsehinterview auf Deutsch lehnt der Ukrainer ab. Sprachprobleme. Ein Missverständnis. Angefragt ist lediglich ein Gespräch über Flucht, Ankommen, das alte Leben in Odessa am Schwarzen Meer und die Aussichten hier in Deutschland an der Ruhr – alles ohne Kameras und grelles Scheinwerferlicht. Der 51-Jährige hat gerade ein Sprachzertifikat Deutsch auf dem Niveau B1 erworben, fühlt sich aber nicht sicher in der für ihn neuen Sprache: „Deutsch und Englisch mischen sich im Kopf“, sagt der 51-jährige Schiffsbauingenieur.
Vor zwei Jahren ist Kolesnikov mit Frau und Tochter nach Deutschland gekommen. Als Ingenieur sei er bis zum Krieg in der Ukraine auf den Meeren dieser Welt als 1. Ingenieur unterwegs gewesen, erzählt der 2022 vor dem Krieg geflüchtete Ukrainer. Der Familienvater ist hoch qualifiziert, aber bis heute ohne Job in Deutschland.
Bei Erfolg soll der „Dortmunder Weg“ in ganz NRW gegangen werden
Das soll sich bald ändern, wenn es nach Berthold Schröder, Präsident der Handwerkskammer Dortmund, und Roland Schüßler, Chef der Bundesagentur für Arbeit in NRW, geht. Im Raum Dortmund sollen ukrainische Geflüchtete ab sofort schneller in Jobs im Handwerk vermittelt werden. Schüßler nennt es „den Dortmunder Weg“. Dahinter verbirgt sich ein pragmatisches und möglichst unbürokratisches Vorgehen, gestartet vor ein paar Wochen. Das Programm verspricht erste Erfolge.
Ende vergangenen Jahres hatte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) den „Job-Turbo für Geflüchtete“ angekündigt. Ukrainer haben einen anderen Status als Asylbewerber und dürfen Arbeit aufnehmen. „Geregelt ist dies über die Massenzustromrichtlinie der Europäischen Union“, erklärt der Arbeitsmarktexperte Schüßler.
Es gab harsche Kritik daran, dass in anderen EU-Staaten wie etwa in den Niederlanden Ukrainerinnen und Ukrainer deutlich schneller in Jobs vermittelt wurden und so nicht allein auf staatliche Leistungen angewiesen sind. In Deutschland erhalten die aus dem Kriegsgebiet Ukraine geflüchteten Menschen volles Bürgergeld.
Die Job-Turbo-Idee aus dem Bundesministerium für Arbeit hat das Ziel, bürokratische Abläufe zu beschleunigen. Spracherwerb in Integrationskursen, die Anerkennung von Qualifikation wie bei Dimytro Kolesnikov die Ingenieursausbildung und die Qualifikation für Jobs, die es hier tatsächlich gibt, sollen, wenn möglich, parallel statt nacheinander passieren und so den Integrationsprozess in Arbeit deutlich verkürzen. Statt Monate oder Jahre soll es künftig nur wenige Wochen dauern, bis ein Job gefunden ist.
„Dass Vermittlung in Arbeit in Deutschland länger als im EU-Ausland dauert, kann man kritisieren, allerdings ist unser Weg mit Blick auf Fachkräftegewinnung nachhaltiger“, sagt Handwerkskammer-Präsident Schröder. Dies belegen Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Die niederländische Strategie „Arbeit zuerst“ hat demnach im dritten Quartal 2023 zwar 55 Prozent der Ukrainer in Jobs gebracht. Langfristig blieben aber nur 40 Prozent in Arbeit. In Deutschland waren es im Vergleichszeitraum lediglich 25 Prozent, die vermittelt wurden, von denen aber 68 Prozent im Job geblieben seien. Die Strategie im Nachbarland sei zudem nur auf vorübergehende Aufenthalte ausgerichtet, vermittle zu einem großen Teil in Zeitarbeit, einfache, befristete Beschäftigungen oder gar nur Jobs auf Abruf.
„ Selbst wenn sie zurückgehen, haben wir etwas für das Land getan.“
Ziel der deutschen Bemühungen sei es, Fachkräfte langfristig in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen zu bringen. Mit zunehmender Dauer des Krieges zwischen Russland und der Ukraine steige die Zahl der Geflüchteten, die dauerhaft bleiben wollen. Laut Schüßler und Schröder seien dies mittlerweile 30 bis 40 Prozent der Menschen. „Selbst wenn sie zurückgehen, haben wir etwas für das Land getan“, sagt Roland Schüßler. Zudem spiele Arbeit für Integration eine zentrale Rolle.
In der Vergangenheit Fehler gemacht
„Wir haben schon einmal den Fehler gemacht, bei sogenannten Gastarbeitern zu denken, dass sie ja wieder weggehen“, erinnert Schröder an misslungene Integration in den 1960er und -70er Jahren.
Was nun im Raum Dortmund speziell im Handwerk beim Job-Turbo anders als im restlichen Bundesgebiet ist, ist die Art der Vermittlung. Es werde nicht darauf gewartet, dass ein Betrieb mit Bedarf an Arbeitskräften sich meldet. Die Vermittler der Bundesagentur für Arbeit und der Jobcenter scannen gezielt potenzielle Arbeitskräfte, die für Betriebe infrage kommen könnten, auch wenn die formalen sprachlichen Voraussetzungen noch nicht zu einhundert Prozent erfüllt sein sollten. „Wir haben aktuell mehr als 50 Menschen ausgewählt“, sagt Schüßler. Gezielt seien proaktiv Handwerksbetrieben anonymisiert die Bewerberprofile von geflüchteten Fachkräften zugesendet worden. „Es sind genau die Leute, von denen wir glauben, dass sie das Dortmunder Handwerk braucht“, erklären Schröder und Schüßler die Idee, Geflüchtete schneller in Jobs zu bringen und nicht „nach Aktenlage“ zu vorzugehen. „Es kommt auch darauf an, dass der Betrieb den Weg mitgeht“, sagt Kammerpräsident Schröder. Wenn der Dortmunder Weg den Job-Turbo wirklich beschleunigt, soll das Projekt mindestens auf ganz Nordrhein-Westfalen ausgeweitet werden, erklärt der Chef der NRW-Arbeitsagentur.
„Ich bin bereit für einen Job hier in Dortmund.“
Anerkennung von beruflichen Qualifikationen und auch zunehmender Spracherwerb finden also parallel statt, wenn Geflüchtete sich bereits in Arbeit befinden. Für Menschen wie Dimytro Kolesnikov eine Chance. „Ich besuche zweimal in der Woche einen Freiwilligen-Deutschkurs, aber ich habe hier keine Freunde, mit denen ich Deutsch sprechen kann“, beschreibt er seine Unsicherheit und sagt: „Ich bin bereit für einen Job hier in Dortmund.“
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