Möhnesee. Landwirte erwarten deutliches Ernte-Minus. „Es hat gerumst“, sagt ein Sauerländer Obstbauer. Orangensaft ist sogar noch teurer.
Dass es hier mancherorts „gerumst“ hat, und zwar „richtig gerumst“, wie Christoph Abel sagt, davon ist erst einmal nichts zu sehen.
Blauer Himmel, 26 Grad, Sonnenschein, die Wasseroberfläche des nahen Möhnesees glitzert prächtig, die Natur blüht und gedeiht, ein Idyll.
Im Paradies stört mal wieder nur der Apfel. Ähnlich wie in der Bibel.
„Wie Sie sehen“, sagt der Sauerländer Obstbauer Christoph Abel und zeigt auf eine lange Reihe von Apfelbäumen, „sehen Sie nichts.“
Nichts ist etwas übertrieben, aber die erwarteten Ausfälle bei der gerade begonnenen Apfelernte sollen in der Tat beträchtlich sein. Für NRW erwartet das Statistische Landesamt eine Halbierung der Menge und den geringsten Ertrag seit dem Jahr 2017. Abel beziffert sein Minus auf circa 30 Prozent, Saftverkäufer Amecke mit Sitz in Menden spricht von 25 Prozent Rückgang in Europa, mancherorts seien sogar 90 Prozent der Ernte ausgefallen.
Es hat also gerumst. Das zeigt sich auch an den Preisen für Apfelsaft und, noch drastischer, beim Orangensaft.
„Elstar hat erst geblüht wie atze, aber dann kam der große Frost.“
Einzige Möglichkeit: Frostkerzen
Bevor Christoph Abel, der in Möhnesee-Stockum eine Obstbaumschule und einen Hofladen betreibt, in eine seiner Plantagen führt, in der jedermann selbst pflücken darf (zwei Euro pro Kilogramm Apfel oder Birne), erklärt er noch, dass den Besuchern dort die Einbußen nicht sofort auffallen würden. Einige seiner 15 Apfel-Sorten habe es nicht so schlimm erwischt wie andere. Santana beispielsweise, „die hat es einigermaßen überstanden“, erklärt Abel. Prall und knallrot hängen die Früchte an den Bäumen, doch nur wenige Meter weiter bietet sich ein ganz anderes Bild.
Rubinette habe „sehr gelitten“, Topaz „müsste ein Drittel mehr“ sein. „Elstar“, sagt Abel, „hat erst geblüht wie atze, aber dann kam der große Frost.“ Normal seien hier 80 bis 90 Äpfel pro Baum, jetzt kämen sie auf 50 bis 60.
Als verantwortlich für die voraussichtlich geringere Erntemenge in NRW von 36.500 Tonnen (Vorjahr: 71.600 Tonnen) gilt ein Kälteeinbruch im April. Abel berichtet von nächtlichen Temperaturen von minus vier bis minus sechs Grad. Bei Zwetschen belaufe sich der „Frostschaden“ auf 80 bis 90 Prozent des Bestands. Das ist in einer seiner Plantagen – seinem „schlimmsten Fall“ – auch daran zu erkennen, dass die Zweige nicht unter dem Gewicht der vielen Früchte herunterhängen, sondern nahezu früchtefrei nach oben stehen. Bei den Süßkirschen betrage die Ausbeute 150 Kilogramm – statt einer Tonne.
Sie würden kein Frostschutzmittel einsetzen, also bliebe als einzige Möglichkeit das Anzünden von Kerzen, die zwischen den langen Baumreihen in den Plantagen aufgestellt würden, um den Pflanzen etwas Wärme zu spenden. Für die 12 Hektar, auf denen er Äpfel und Birnen anpflanzt, bräuchte Abel fast 2500 Kerzen. Die per Hand aufzustellen und anzuzünden sei nicht nur aufwendig, sondern auch teuer. „Da verbrennt man pro Nacht 6000 Euro“, sagt der gelernte Gärtner. Dieses Jahr verzichtete er auf die Maßnahme, auch, weil er nicht damit gerechnet hatte, dass der Frost derart zuschlägt.
Mancherorts wohl 90 Prozent Ernteausfall
Der 56-Jährige wirkt dennoch relativ gelassen, er ist lange im Geschäft, seit 30 Jahren selbstständig tätig, kennt die Launen der Natur. Zudem sei er zumindest teilweise durch eine vom Land NRW geförderte Mehrgefahrenversicherung (Hagel, Frost, Sturm und Starkregen) für landwirtschaftliche Unternehmen abgesichert. Und: Mit dem Minus von 30 Prozent bei den Äpfeln ist er vergleichsweise glimpflich davon gekommen.
„Andere wildern in unseren Gebieten.“
Die Lage an der Apfelfront muss regional sehr unterschiedlich sein. Am Bodensee oder im Alten Land (vor den Toren Hamburgs) soll die Ernte ordentlich ausfallen, im Osten dafür sehr schlecht. „Am schlimmsten hat es wohl Thüringen und Sachsen getroffen, dort sind 90 Prozent der Ernte ausgefallen“, sagt Peter Misamer.
Er leitet den Einkauf beim Sauerländer Saftverkäufer Amecke und erklärt, dass ein Ernteminus von 25 Prozent bedeuten könne, dass der Saftindustrie 40 bis 50 Prozent weniger Äpfel zur Verfügung stünden. Der Grund: „Wenn die Ernte schlecht ausfällt, werden auch Äpfel, die sonst in die industrielle Saftproduktion gegangen wären, in den Frischmarkt verkauft.“
Apfelsaftpreise deutlich gestiegen
Möglich, dass sich das – weiter – auf die Verbraucherpreise auswirkt. Die steigen seit Jahren, wie Daten des Statistischen Bundesamts belegen. Für Apfelsaft ergibt sich ein Plus von 33,6 Prozent im Vergleich zu den Preisen im Juli 2020. Vergleicht man die Entwicklung von Juli 2023 zu Juli 2024, beträgt die Steigerung 7,4 Prozent. Christoph Abel sagt, dass sie mal mit einem Preis von 7,50 Euro pro Fünf-Liter-Box Apfelsaft angefangen hätten. Jetzt verlange man 8,90 Euro.
Amecke-Einkäufer Misamer hält sich mit Prognosen zur weiteren Preis-Entwicklung zurück. Er erklärt, dass sich die Erzeugerpreise der Bauern für Äpfel seit 2022 zwar fast verdreifacht hätten. Die Preissteigerung für fertigen Apfelsaft falle jedoch geringer aus, weil die Rohware nur einen Teil der Herstellungskosten ausmache. Außerdem sei denkbar, dass Hersteller und gegebenenfalls auch der Handel die Preissteigerung nicht komplett an den Verbraucher weitergäben, um den Absatz nicht zu gefährden. Ähnliches sei auch beim Orangensaft zu beobachten gewesen, der flächendeckend zu günstig verkauft werde. „Hier ist die Entwicklung noch dramatischer, und die Konzentratpreise haben sich mehr als verdreifacht“, so Misamer.
Dramatische Entwicklung bei Orangen
Für Orangensaft ergeben die Daten des Statistischen Bundesamtes eine Preissteigerung von 60,9 Prozent (im Vergleich zu Juli 2020), allein in den vergangenen zwölf Monaten verteuerte er sich um 20,5 Prozent. Saftverkäufer Amecke informiert inzwischen auf der Unternehmenshomepage über die Ursachen, die nicht nur mit der allgemeinen Preisentwicklung (Inflation, gestiegene Energiekosten, Lohnerhöhungen) oder dem Klimawandel zu tun haben sollen.
„Die Ernten sind seit Jahren ganz schlecht. Es gibt eine Orangenkrankheit, Citrus Greening, welche die Orangenbäume absterben lässt. Die Erntemengen sind deshalb extrem zurückgegangen“, sagt Peter Misamer. Alle hätten gehofft, dass es in diesem Jahr wieder besser werde, „aber es ist noch schlechter geworden“.
Brasilien sei Hauptlieferant für Saft-Orangen. Früher habe es auch in Florida große Orangen-Anbaugebiete gegeben. Aufgrund des Citrus Greenings und auch infolge von Hurrikan-Schäden käme man dort aber nur noch auf zehn bis 15 Prozent der einstigen Erntemenge. Deshalb würden die US-Amerikaner nun auch in Brasilien Orangen einkaufen sowie Äpfel nicht mehr in China, wo die Ernte auch schlecht ausgefallen sei, sondern in Europa.
„Der Weltmarkt ist total miteinander vernetzt, andere wildern in unseren Gebieten. Ich habe es in meinen 25 Berufsjahren als Einkäufer noch nie so gemerkt, wie stark alles miteinander verwoben ist“, sagt der Chef-Einkäufer bei Amecke.
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