Bad Sassendorf. Das NRW-Landwirtschaftsministerium hat in Bad Sassendorf den „Stall der Zukunft“ aufgebaut. Wie die Neuerung den Alltag der Tiere optimiert.

Die Schweine des Versuchs- und Bildungszentrums der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalens (LWK NRW) sind das nicht in dem Ausmaß gewohnt: Zurzeit sind Augen und Kameras sehr intensiv auf sie gerichtet – nämlich 24 Stunden am Tag. Auf Haus Düsse bei Bad Sassendorf sind aktuell etwa 600 Mastschweine in zwei Ausbildungs- und Demonstrationsställen untergebracht. Der „Stall der Zukunft“ soll Besuchern des LWK NRW mögliche Einblicke verschaffen, wie die innovative Landwirtschaft von Morgen aussehen kann und soll Ideen und Anregungen für bestehende Schweinemastbetriebe bieten.

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Landwirte werden beim Stallbesuch inspiriert

„Die ersten Tiere sind seit fünf Wochen in den Ställen und stammen aus unserer eigenen ökologischen Schweinehaltung“, berichtet Tobias Scholz, der Sachbereichsleiter Schweinehaltung am Haus Düsse. Seit der Eröffnung der beiden neu konzipierten Ställe Ende Februar dieses Jahres haben sich bereits etwa 3000 Besucher angeschaut, wie der Alltag der Allesfresser aussieht. „Viele Normalverbraucher haben den Stall der Zukunft inzwischen besichtigt, einige Landwirte waren auch mit von der Partie. Manche haben sich inspirieren lassen und wollen zunächst Teile unseres Stallsystems nachbauen“, so Tobias Scholz. NRW-Landwirtschaftsministerin Silke Gorißen sieht die Einzigartigkeit in dem Projekt: „Hier wird ein wichtiger Beitrag zum Umbau in der Nutztierhaltung geleistet. Das Projekt sorgt für mehr Tierwohl und Nachhaltigkeit.“ In Bad Sassendorf stehen der „evolutionäre Stall“ und der „revolutionäre Stall“ bereit.

Schweinestall der Zukunft.
Ein Blick von oben auf die Tiere lässt erahnen, dass sie mehr Platz zur Verfügung haben als in herkömmlichen Ställen. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann
Blick auf einen modernen Schweinestall  am Mittwoch den 3. Juli 2024 am Haus Düsse bei Bad Sassendorf. So könnte der Schweinestall der Zukunft aussehen. Im Bild: Tobias Scholz, Leiter Bereich Schweinehaltung. Foto:Ralf Rottmann/ Funke Foto Services

„Beide Haltungskonzepte orientieren sich an den Faktoren Tierwohl und umweltgerechter Haltung, die vor allem Emissionen verringern soll.“

Tobias Scholz

„Beide Haltungskonzepte orientieren sich an den Faktoren Tierwohl und umweltgerechter Haltung, die vor allem Emissionen verringern soll“, so der Sachbereichsleiter. Im evolutionären Stall haben die Mastschweine viel Kontakt zum Außenklima. Er orientiert sich an den bereits bestehenden Tierwohlställen der Haltungsform 3, dem „Frischluftstall“. Bis zu 400 Tiere finden Platz in ihm. Mittig positioniert liegt der Aktivitäts- und Fressbereich der Schweine, in dem Spaltboden verlegt ist. Der Boden des Stalls ist so konzipiert, dass die Ausscheidungen der Tiere möglichst zeitnah aus dem Stall befördert werden. Der sogenannte Unterflurschieber befördert den Kot in einen draußen gelagerten Container, der Urin fließt getrennt davon in einer Rinne ab.

Emissionen durch Spezialkonstruktion kontrolliert

Öffnungen im Dach sowie offene Giebel ermöglichen den Kontakt zum Außenklima. Der damit innenliegende Außenklimabereich schirmt die Tiere von Vögeln und Wildscheinen ab und erhöht somit die Biosicherheit – Krankheiten wie die Schweinepest können so eingedämmt werden. An drei Stellen kann die Abluft aus dem Stall austreten, somit sind die Emissionsabgaben kontrollierbar. „Schweine sind Kontakttiere und können nicht schwitzen. Sie regulieren ihre Körpertemperatur selbst an kälteren Oberflächen, die wir unter anderem durch die Luftzufuhr beeinflussen können“, erklärt der 45-Jährige. An den beiden Außenseiten des Stalls sind die Liegebereiche etabliert worden. Die dort niedrigere Deckenhöhe ermöglicht es, den Ruhebereich schneller erwärmen zu können.

Schweinestall der Zukunft.
Die beiden Ausbildungs- und Demonstrationsställe liegen nah beieinander, damit sich die Besucher ein Bild der unterschiedlichen Haltungskonzepte machen können. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Der revolutionäre Stall orientiert sich an der Haltungsstufe 4 „Auslauf/Weide“ und bietet Platz für bis zu 300 Tiere. „Hier können sich die Schweine austoben. Wir wollen mit dem mit Hackschnitzeln ausgelegten Wühlgarten erproben, wie die Tiere das Angebot annehmen“, so Tobias Scholz. Mit anderthalb Quadratmetern Platz pro Mastschwein hat der revolutionäre Stall doppelt so viel Platz für ein Schwein, als es gesetzlich bei anderen Haltungsstufen vorgeschrieben wird. Der evolutionäre Stall liegt mit 1,1 Quadratmetern pro Tier ebenfalls über dem Mindestwert. Um das Wühlfeld werden demnächst Beete bepflanzt. Mais, Sonnenblumen und weitere Kulturpflanzen sollen die „Natur zum Schwein“ bringen.

„Schweine können auch Sonnenbrand bekommen“

Die Besonderheit bei dem Stall ist aber das Dach. Die Konstruktion, bestehend aus Glas, lässt sich öffnen, sodass die Schweine Kontakt zu allen Witterungsbedingungen haben können. Ein Sonnensegel ist ebenfalls installiert, „denn Schweine können auch Sonnenbrand bekommen. Ihnen fehlen die dicken Borsten, die Wildschweine besitzen.“ Das Dach wird vollautomatisch gesteuert, Außensensoren sammeln alle dafür notwendigen Werte. Das gesamte Stallklima wird durch die Dachkonstruktion sowie die Fußbodenheizung gesteuert.

„Unser Stallkonzept wird wohl niemals genauso in der Praxis nachgebaut werden. Ziel ist es, dass Landwirte später ein individuelles Konzept für ihren Betrieb zusammenstellen können.“

Tobias Scholz
Leiter im Bereich Schweinehaltung
Schweinestall der Zukunft.
Die Ställe bieten bis zu 1,5 Quadratmeter Platz pro Schwein. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

„Unser Stallkonzept wird wohl niemals genauso in der Praxis nachgebaut werden. Ziel ist es, dass Landwirte später ein individuelles Konzept für ihren Betrieb zusammenstellen können“, sagt der Sachbereichsleiter der Schweinehaltung. Das liege vor allem an den finanziellen Anforderungen und behördlichen Auflagen. Besonders die Beobachtungen der Auswirkungen des Glasdachs und das Verhalten der Schweine im Hackschnitzelbett sollen interpretiert werden und zu weiteren Optimierungen bei der Schweinemast beitragen. Wissenschaftler aus dem Haus Düsse arbeiten dabei mit Hochschulen aus dem gesamten Bundesgebiet zusammen, um die Forschungsergebnisse einordnen zu können.