Arnsberg/Berlin. IT-Dienstleister Gonicus treibt Entwicklung freier Datenplattform voran. Bundesministerium stellt trotz des Erfolgs Förderung ein.
Das Arnsberger Unternehmen Gonicus arbeitet daran, dass Unternehmen und Verwaltungen Herr über ihre eigenen Daten bleiben. Letztlich könnten auch Nutzer von privaten PC und Smartphones profitieren. Seit 2021 entwickeln die Sauerländer Experten gemeinsam mit Partnerfirmen am Projekt „Sovereign Cloud Stack“ (SCS). Das Bundeswirtschaftsministerium hat das SCS-Projekt bislang mit 13,2 Millionen Euro unterstützt. Damit soll bald Schluss sein, dabei wird Datensicherheit und Datensouveränität immer wichtiger.
„Die Förderung läuft im September aus“, sagt Alfred Schröder, Gründer und Geschäftsführer von Gonicus. Das IT-Unternehmen mit rund 80 Beschäftigten, das im Arnsberger Ortsteil Neheim im Kaiserhaus sitzt, ist seit dem Start an der Entwicklung von SCS beteiligt. Auch Firmen wie die Telekom, das Olper Unternehmen Open Xchange oder der große IT-Dienstleister Bechtle gehören zum Pool von Firmen, die mitarbeiten und die alle von der Idee frei zugänglicher Software mit offenen Standards, sogenannter Open-Source-Software, überzeugt sind. Nur so sei Unabhängigkeit zu gewährleisten, ist Schröder überzeugt.
Digitale Abhängigkeit wächst
Der Wirtschaftsinformatiker vermutet, dass das nahende Förder-Aus mit der knappen Haushaltslage des Bundes zu tun habe. „Prioritäten haben sich verschoben. Digitalisierung tritt aktuell wieder etwas in den Hintergrund.“ Dabei sei Deutschland nicht gerade berühmt für digitale Verwaltung. Und die Wirtschaft beklagt immer stärker, digitale Abhängigkeit von ausländischen Unternehmen.
Große Datenmengen werden immer häufiger in einer sogenannten „Cloud“ aufbewahrt, also nicht in eigenen Speichern. Die Gefahr: Kunden geraten in Abhängigkeit von Anbietern wie den Internetriesen Microsoft, Amazon oder Google aus den USA. Im Gegensatz zu Open-Source-Software, bei der die Entstehung und Entwicklung der Programmiercodes immer öffentlich sind und bleiben, funktioniert das Geschäftsmodell großer Player anders: „Solche Unternehmen bieten Clouddienste an, die immer so leicht verändert sind, dass man als Kunde nur schwer wegkann“, erklärt Schröder das Prinzip. Nun habe Microsoft angekündigt, mit allen Diensten in die Cloud zu gehen. „Das macht besonders Verwaltungen gerade nervös“, sagt Schröder. Hat der Konzern, wie bei Microsoft, seinen Sitz in den USA, hat die US-Regierung das Recht, auf die Daten zuzugreifen. Datenschutzrichtlinien der Europäischen Union spielen dann keine Rolle.
Datensouveränität hatte die Bundesregierung vor einigen Jahren als eine dringende Notwendigkeit erkannt. Der damalige Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) rief das ehrgeizige Projekt Gaia-X ins Leben, das 2019 startete und zu einem transparenten und unabhängigen Datensystem für Europa werden sollte. „Den Start des Projekts verdanken wir letztlich auch ein bisschen Donald Trump und den Chinesen“, sagt Schröder. Die wachsende Sorge Europas vor Abhängigkeit war der Antreiber für Gaia-X und das SCS-Projekt, das ein wesentlicher Baustein für ein offenes Daten-Ökosystem in Europa ist.
Freier Wechsel von einem Anbieter zum nächsten
Gaia-X und die SCS-Plattform sollen einerseits Datensicherheit nach europäischen Standards ermöglichen. Zudem soll es keine Abhängigkeit mehr von einem bestimmten Anbieter geben, weil die Cloud-Dienste auf SCS-Basis alle auf dem gleichen Quell- beziehungsweise Programmcode funktionieren. Das bedeutet, Unternehmen können ohne Probleme mit ihren Daten von einem zum anderen Anbieter wechseln – ganz souverän.
Bitcom-Umfrage belegt Abhängigleiten der deutschen Wirtschaft
Wie wichtig diese Datensouveränität für die deutsche Wirtschaft ist, belegt eine Umfrage des Branchenverbands Bitcom, für die zu Jahresbeginn rund 600 Unternehmen befragt worden waren. 94 Prozent der Befragten gaben an, von Digitalimporten abhängig zu sein. Dazu zählen neben Software und Programmservices allerdings auch Hardware und Halbleiter.
6300 Schulen in Bayern hängen am Projekt SCS
Dass die Bundesregierung nun die Förderung des Projekts einstellen wird, werde nicht das Ende der Entwicklung von SCS bedeuten, versichert Schröder. Dafür sind die Fortschritte offenbar bereits zu groß und die Aussichten für Wirtschaft und Verwaltung in Deutschland, sich aus der Umarmung sogenannter Datenkraken wie Google, Amazon und Co. zu befreien, sind zu gut. 2021 konnte die erste Version von SCS zur Verfügung gestellt werden. Inzwischen ist bereits Version 6 auf dem Markt. Ständig entwickelt das Konsortium von Unternehmen die Software-Technologie weiter. Der Bedarf aus der Wirtschaft ist hoch, und damit eine Nachfrage garantiert. Je mehr Entwickler mitmachen und je mehr Kunden SCS nutzen, desto besser sei es für die Weiterentwicklung des Systems.
Aktuell arbeiten bereits viele mittelständische Unternehmen mit Open-Source-Software, sagt Schröder. Auch der Staat nutzt die SCS-Technologie bereits. Das Bundeswirtschaftsministerium nennt die Bayern-Cloud-Schule (ByCS) als Beispiel. „In der ByCS sind derzeit 6300 Schulen mit etwa fünf Millionen Usern angebunden“, heißt es aus Berlin. Das Projekt liege im Plan. SCS habe Potenzial, sich zu einer guten Alternative im Rahmen der kritischen Infrastruktur zu entwickeln, lobt man im Hause Habeck. Eine weitere Förderung ist dennoch nicht beabsichtigt.
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