Siegen/Erndtebrück. Energieintensive Erndtebrücker Eisenwerke haben schon Interesse an Erneuerbarem Strom: Drei Kommunen profitieren finanziell. Die Bevölkerung auch

Der Industriestandort Deutschland wurde aufgebaut und jahrzehntelang versorgt mit Energie aus nur einem Dutzend riesiger Kraftwerke. Sie konnten aus fossilen Energieträgern eine gewaltige Grundlast schultern: Den kompletten Strombedarf der Bundesrepublik. Die Zeiten sind vorbei, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat deutlich beschleunigt, was angesichts des Klimawandels behäbig angestoßen worden war. Derzeit etwa 55 Prozent der Energie im Land stammen aus Erneuerbaren Quellen, bis 2030 sollen es 80 Prozent sein. Nicht mehr wenige große, sondern viele kleine Kraftwerke vor Ort liefern Strom für Wirtschaft und Bevölkerung. Die müssen verzahnt und verknüpft, ans Netz angebunden, der Strom verteilt werden. Eines der größten Windkraftwerke Südwestfalens baut der norwegische Energieriese Statkraft in Erndtebrück – und hat sich nun dazu mit regionalen und überregionalen Versorgern zusammengeschlossen. Deren Mission: Die Energiewende vor Ort umsetzen und die Menschen daran beteiligen.

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Statkraft gehört zu 100 Prozent dem norwegischen Staat. Vor 130 Jahren baute das Unternehmen ihr erstes Wasserkraftwerk, erweiterte das Geschäft, trug erheblich zur Industrialisierung des Landes bei, ist heute nach eigenen Angaben Europas größter Erzeuger von Erneuerbaren Energien. Auch hierzulande wachse man derzeit sehr stark, baue den Bereich Wind und Solar deutlich aus, treibe überall Projekte voran, sagt Claus Urbanke, Statkraft Deutschland. „Erneuerbare sind Mainstream-Erzeugungstechnologie.“ Weil Strom aber dezentral erzeugt wird, sei die Anbindung der Menschen und Kommunen vor Ort immens wichtig. „Wir möchten zeigen, dass wir die Energiewende nicht einfach umsetzen, sondern dass sie der Bevölkerung vor Ort etwas bringt.“ Nur so könne man für Akzeptanz sorgen.

13 Windräder in Erndtebrück: Genug Strom für 57.000 Haushalte in Siegen-Wittgenstein und Olpe

Hier kommt Green Gecco ins Spiel. Dabei handelt es sich um einen Verbund nordrhein-westfälischer Stadtwerke, „wir teilen unsere Ressourcen und setzen im Verbund oder mit Partnern wie Statkraft Projekte um“, erläutert Geschäftsführer Frank Ittermann. Besonderen Fokus lege Green Gecco dabei darauf, die lokalen Interessen zu berücksichtigen. Was auch den Siegener Versorgungsbetrieben (SVB) am Herzen liegt. Die gehören zwar nicht zum Verbund, verfolgen aber seit einigen Jahren das strategische Ziel, deutlich mehr als „nur“ die Siegener Stadtwerke zu sein, bekräftigt Thomas Mehrer. Er hat als Geschäftsführer die Transformation von der Versorgung mit Gas zu erheblichen Beiträgen in Sachen Wärme-, Energie- und Verkehrswende eingeleitet und das über Siegens Stadtgrenzen hinaus, als Regionalversorger. Photovoltaik-Freiflächenanlagen planen die SVB auch jenseits der Kreisgrenze. Die Erzeugung von grüner Energie vor Ort, für die Menschen vor Ort, sei ein Kernanliegen, betont Thomas Mehrer. Denn es gibt genug Investoren, die über die Lande ziehen und sich vorsorglich Flächen sichern, auf denen dann nie ein Windrad oder eine Solaranlage gebaut wird.

So sähe der Windpark vom Ederauenpark aus (Visualisierung).
So sähe der Windpark vom Ederauenpark aus (Visualisierung). © WP | Statkraft

Der Windpark Erndtebrück, seit 2021 in der Entwicklung, ist so ein Projekt, das einen erheblichen Beitrag zur nachhaltigen Energieversorgung nicht nur der Region, sondern des ganzen Landes leisten soll. 13 Anlagen, 175 oder 199 Meter Nabenhöhe, jeweils mindestens einen Kilometer von der nächsten Wohnbebauung entfernt, sollen ab etwa 2028 genug Energie erzeugen, um rein rechnerisch 57.000 Haushalte zu versorgen: 230 Gigawattstunden pro Jahr. Ein Haushalt verbraucht im Schnitt etwa 4000 Kilowattstunden. Einsparpotenzial: 160.000 Tonnen CO2. „Wenn wir hier so ein großes Kraftwerk bauen“, sagt Statkraft-Mann Urbanke, „dann merkt man das in den Niederlanden, in Bayern, in Polen“. Vor 130 Jahren versorgte ein Kraftwerk noch Menschen und Unternehmen vor Ort – im heutigen europäischen Verbundnetz wird für eine stabile Versorgung von überall eingespeist. 13 Erndtebrücker Windräder sind da durchaus eine Hausnummer.

Kommunen im Siegerland, Wittgenstein und Olpe profitieren vom Windpark Erndtebrück

Eigentlich waren es 12, drei nördlich von Zinse, fünf auf dem Zinser Rücken und vier im Bereich „Alte Schlag“. Weil die Waldgenossenschaft Erndtebrück bei Statkraft für eine ihrer Kalamitätsflächen angefragt hatte, wird hier im Südwesten, nahe der Erndtebrücker Eisenwerke, ein fünftes Windrad beantragt. Das energieintensive Unternehmen habe bereits Interesse an Grünstrom von nebenan bekundet. Derzeit werden noch Windmessungen durchgeführt, für verlässliche Berechnungen und Prognosen, so Statkraft-Projektleiter Dr. Thorsten Müller. „Der Bereich ist sehr gut geeignet.“ Auch das Militär sieht keine Probleme: Für das nahegelegene Radar der Luftwaffe gebe es durch die Windräder keine Einschränkungen, auch die zivile Luftfahrtbehörde habe dem Plan bereits zugestimmt.

Die Windenergieanlagen beeinträchtigen das Luftverteidigungsradar der Bundeswehr nicht. Auch die zivile Luftüberwachung hat dem Projekt zugestimmt.
Die Windenergieanlagen beeinträchtigen das Luftverteidigungsradar der Bundeswehr nicht. Auch die zivile Luftüberwachung hat dem Projekt zugestimmt. © www.blossey.eu / FUNKE Foto Service | Hans Blossey

„Wir meinen es ernst mit der Energiewende“, sagt SVB-Chef Thomas Mehrer, deshalb auch die Kooperation. Die Kommunalversorger werden voraussichtlich zwei der Anlagen übernehmen und betreiben. An dieser Stelle wird es finanziell interessant für die Menschen vor Ort. Denn wenn die Versorger, die in der Vergangenheit im Wesentlichen die Energie zu den Menschen transportierten, die anderswo erzeugt worden war, selbst in die Produktion einsteigen, mit grünem Strom, der – gewissermaßen – nichts kostet: Dann kann das für die Kunden nicht schlecht sein. Die Gemeinde profitiert über die Kommunalabgabe sowieso – bei 2 Euro je Megawattstunde bis zu 270.000 Euro pro Jahr, plus Erträge aus dem Betrieb. Auch Hilchenbacher und Kirchhundemer Gebiet ist vom 2500-Meter-Radius berührt, also profitieren auch sie (115.000 bzw. 46.000 Euro). Und auch die Bevölkerung: Das Bürgerenergie-Beteiligungsgesetz ermögliche etwa einen günstigen Bürgerstromtarif, Rabattierung beispielsweise anhand der Postleitzahlen, erläutert Dr. Thorsten Müller. Oder eine kommunale Stiftung, die mit den Erträgen vor Ort Straßen saniert, Vereine unterstützt, Projekte fördert.

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Die genaue Art der Bürgerbeteiligung werde derzeit noch mit der Gemeinde verhandelt. Statkraft hat außerdem Aufforstungen zugesagt – doppelt so viel wie gesetzlich vorgeschrieben.