Kreuztal/Siegen. Die Beratungsstelle „Für Mädchen in Not“ hilft Mädchen und Frauen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben. Oft beginnt Hilfe mit einem Verdacht.

Irgendetwas ist anders. Doch was dahintersteckt, kann eine Mutter bei ihrer Tochter nicht immer mit Sicherheit sagen. Es kann natürlich etwas ganz Harmloses sein – aber eben auch etwas Schlimmes. Gerade, wenn sich das Verhalten der Tochter ändert. „Bei uns rufen oft Mütter mit einem Verdacht an“, sagt Melissa Thor, stellvertretende Leiterin der Beratungsstelle „Für Mädchen in Not“. Sie berät zusammen mit Sozialarbeiterin Katharina Heinrich Mädchen und junge Frauen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben, und ihre Angehörigen.

Verdacht und Hilfe: Welche Verhaltensänderungen auf sexuelle Gewalt hindeuten können

Oft verändert sich das Verhalten der Menschen, die (sexualisierte) Gewalt erlebt haben. „Als Schutzreaktion ziehen sich Kinder zum Beispiel mehrere Lagen an Kleidung an“, erläutert Katharina Heinrich. Damit würden sie einen Übergriff erschweren wollen. Andere vernachlässigen etwa ihre eigene Hygiene, um einen „Geruchsschutzwall um sich zu bauen“. Die Verhaltensauffälligkeiten nach Übergriffen „reichen von A bis Z“, sagt Melissa Thor. Sie müssen auch gar nicht unbedingt auffallen: „Manche sind danach auch überangepasst, ruhig und zurückhaltend“, so Katharina Heinrich.

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Bevor Mutter und Tochter, wie im obigen Fall, die Beratungsstelle aufsuchen, gibt es erst einmal ein Gespräch mit der Mutter – gerade wenn sich das Kind erst im Kindergarten- oder Grundschulalter befindet. „Danach bieten wir dem Kind die Möglichkeit, bei uns zu spielen“, so Katharina Heinrich. Sowohl in der Beratungsstelle in Kreuztal als auch in Siegen gibt es ein pädagogisches Spielzimmer. „Wir versuchen, die Kinder zu stärken“, sagt die Sozialarbeiterin. Die Fachkräfte sprechen mit ihnen etwa über ihren Körper und ihre Gefühle.

Die Beratungsstelle „Für Mädchen in Not“ in Siegen: Die Sozialarbeiterinnen Melissa Thor und Katharina Heinrich helfen Mädchen und junge Frauen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben, und ihren Angehörigen. Teil der Beratungsstelle ist auch ein Spielzimmer.
Die Beratungsstelle „Für Mädchen in Not“ in Siegen: Die Sozialarbeiterinnen Melissa Thor und Katharina Heinrich helfen Mädchen und junge Frauen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben, und ihren Angehörigen. Teil der Beratungsstelle ist auch ein Spielzimmer. © WP | Ina Carolin Pfau

„Wenn du bei einer Berührung ein doofes Gefühl hast, dann darfst du das sagen“, ist dann eine der Lehren, die die Berater den Kindern beibringen. Eine andere: „Wenn ein Geheimnis mit einem schlechten Gefühl verbunden ist, dann ist das kein Geheimnis. Du darfst es erzählen.“ Es würde auch geübt, wie man zu einer Person „Nein“ sagen könne, so Katharina Heinrich. „Wir wollen den Kindern das Handwerkszeug mitgeben, um sich ausdrücken zu können.“

Die Beratungsstelle „Für Mädchen in Not“ in Siegen: Teil der Beratungsstelle ist auch ein Spielzimmer.
Die Beratungsstelle „Für Mädchen in Not“ in Siegen: Teil der Beratungsstelle ist auch ein Spielzimmer. © WP | Ina Carolin Pfau

Nach dem Erstkontakt wird den Familien und Betroffenen dann weiter unter die Arme gegriffen. „Es gibt auch immer die Möglichkeit, sich anonym telefonisch bei uns beraten zu lassen. Wir helfen dann dabei, die Situation einzuschätzen“, so Melissa Thor. Angehörigen rät Katharina Heinrich unter anderem, „Hilfe anzubieten, ohne zu drängen“.

Beratungsstelle „Für Mädchen in Not“ verzeichnet mehr Fälle von sexualisierter Gewalt

Insgesamt 121 Ratsuchende hat die Beratungsstelle für Mädchen in Not 2022 unterstützt. Darunter waren bis auf zehn Jungen und eine Person, deren Geschlecht anonym blieb, ausschließlich Mädchen und junge Frauen bis 26 Jahre. Ein Anstieg: Bis 2020 habe man immer rund 100 Fälle betreut, seitdem sind es jedes Jahr um die 120 (2019: 99, 2020: 117, 2021: 116), erklärt Melissa Thor. Der Erstkontakt zur Beratungsstelle lief vor allem über Mütter (31 Fälle), Schulen (26), andere Institutionen (26) – oder Betroffene meldeten sich selbst (19).

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Gerade die Nachfrage nach Präventionsveranstaltungen sei so groß wie nie zuvor, betonen die Beraterinnen. Bereits im März 2022 waren alle Angebote von „Für Mädchen in Not“ für dieses Jahr ausgebucht. Das hat zur Folge, dass auch personell bald Unterstützung nötig ist. Einerseits sei diese Entwicklung darauf zurückzuführen, dass das Sprechen über sexualisierte Gewalt kein Tabu mehr sei, andererseits rücken auch die sozialen Medien das Thema stärker in den Blickpunkt: „In den sozialen Medien gibt es vermehrt Übergriffe unter Kindern“, so Katharina Heinrich.

Mehr Infos

Fremdtäter sind eher die Seltenheit“, sagt Sozialarbeiterin Melissa Thor. Oft kommen die Täter von sexualisierter Gewalt aus dem nahen Umfeld der Betroffenen. Es seien (Ersatz-)Väter, Onkel, Opas, Brüder – als Täter wurden überwiegend Männer angegeben, so Melissa Thor.

Mehr Infos: Tel. 02732 4133, www.maedchen-in-not.de. Die Beratungsstelle in Kreuztal: Moltkestraße 11; in Siegen: Sandstraße 28.

Wegen medialer Darstellungen würden sie denken, dass manche Dinge und Verhaltensweisen „normal“ seien – „dabei sind sie das nicht“. „Gerade sexualisierte Gewalt ist in den sozialen Medien ein riesen Thema“, so Melissa Thor. Das Versenden von Nacktbildern (unter Jugendlichen) sei dort z. B. ein großes Problem. Die sozialen Medien hätten aber nicht nur Schlechtes an sich, so Katharina Heinrich: „Jugendliche nutzen sie auch, um sich dort über mentale Gesundheit zu informieren.“

Siegen: Bald gibt’s tierische Unterstützung bei Beratungsstelle „Für Mädchen in Not“

Zukünftig will die Beratungsstelle „Für Mädchen in Not“, die vom Verein für soziale Arbeit und Kultur Südwestfalen getragen wird, die Präventionsarbeit noch ausweiten.

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Bald soll außer weiterem Personal auch Hündin „Amy“ zum Team dazustoßen: „Sie bewertet nicht. Ihr kann man Sachen sagen und sie nimmt alles wertfrei an“, erzählt Melissa Thor. Derzeit laufen die Vorbereitungen – die Hündin muss extra geschult werden. „Vermutlich kann’s im Sommer 2024 mit ihr losgehen.“

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