Siegen. Frauen, die an Endometriose leiden, können oft keine Kinder kriegen. Der Alltag ist voller Schmerzen. Vielen hilft der Austausch mit anderen.

„Wenn ich Ibuprofen und Paracetamol nehme, ist das für mich wie Schokolade essen“, sagt Karoline Schild. Die Medikamente helfen nicht, so stark sind ihre Schmerzen. Sie hat „Endometriose“ – hinter dem sperrigen Begriff steckt die zweithäufigste gynäkologische Erkrankung. Jährlich gibt es bis zu 40.000 Neuerkrankungen in Deutschland – die Dunkelziffer ist hoch. Trotz der hohen Verbreitung und der gravierenden Auswirkungen für die Betroffenen und ihre Angehörigen ist die Erkrankung immer noch wenig bekannt. Sieben Frauen erzählen bei der Siegener Selbsthilfegruppe für Endometriose ihre ganz persönlichen Geschichten über eine Krankheit, die auch als „Chamäleon der Gynäkologie“ bezeichnet wird und die ein normales Leben oft unmöglich macht.

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Viktoria Gummenscheimer (23): „Ich habe 2018 die Diagnose Endometriose bekommen. Ich war schon immer ein krankes Kind, hatte Probleme mit der Verdauung und Migräne. Mit 11 Jahren habe ich meine erste Periode bekommen. Mit 13 Jahren waren die Schmerzen sehr schlimm, da wurde mir die Pille verschrieben [Anm. d. Red.: die Anti-Baby-Pille gilt bei vielen Gynäkologen als ein gängiges Mittel gegen Regelschmerzen]. Das hat drei Monate geholfen. Danach habe ich die Pille durchgenommen, immer wieder andere Varianten davon ausprobiert. Irgendwann hat mein zukünftiger Mann gesagt: ‚Das ist nicht normal‘, und mich mehr oder weniger gezwungen, wegen meiner Unterleibsschmerzen Hilfe zu suchen. Ich habe mich total geschämt, deswegen zum Arzt zu gehen. Ich musste die Gynäkologin wechseln, auf eine Untersuchung bestehen. Dann kam schnell heraus, dass ich Endometriose habe. Ich habe es nochmal mit einer anderen Pille versucht, härtere Schmerzmittel genommen. Seit ich 15 bin, gucke ich mich um, habe alles Naturkundliche ausprobiert. Ich habe nicht nur Endometriose, sondern auch andere Erkrankungen. Das ist bei Endometriose oft so. Ich nehme täglich Schmerzmittel – prophylaktisch. Momentan ist es so akut, dass ich noch mehr Schmerzmittel nehmen muss.“

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Eine Selbsthilfegruppe für Endometriose-Erkrankte trifft sich regelmäßig in Siegen. Mit dabei sind Francesca Ricciardi, Nicole Scherzberg, Jule Germes, Karoline Schild, Viktoria Gummenscheimer, Joan Rosga und Deborah Schön (von links). 
Eine Selbsthilfegruppe für Endometriose-Erkrankte trifft sich regelmäßig in Siegen. Mit dabei sind Francesca Ricciardi, Nicole Scherzberg, Jule Germes, Karoline Schild, Viktoria Gummenscheimer, Joan Rosga und Deborah Schön (von links).  © WP | Ina Carolin Pfau

Karoline Schild (42): „Ich weiß seit 2017, dass ich Endometriose habe. Mein Leidensweg bis zu einer Diagnose war ungewöhnlich kurz. Ich hatte nie Probleme und konnte mir nicht vorstellen, dass Frauen so extrem starke Schmerzen im Zyklus haben können. Dann bin ich auf der Arbeit umgefallen, ins Krankenhaus gekommen. Ich hatte krasse Unterleibsschmerzen. Bei einer Bauchspiegelung wurde die Krankheit festgestellt. In einer Gynäkologie-Praxis wurde mir gesagt, man müsste meine Eierstöcke entfernen. Ich ging in eine andere Klinik, weil ich das nicht wollte. Ich kann bis heute keine Schmerzmittel gegen die die Endometrioseschmerzen nehmen, weil sie nicht helfen. Mit ätherischen Ölen bekomme ich die Schmerzen gut in den Griff.“

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Joan Rosga (41): „Meine erste Periode hatte ich mit elf oder zwölf Jahren. Ich hatte dadurch immer starke Schmerzen, ging deswegen mit meiner Mutter zum Kinderarzt und Gynäkologen. Es wurde gesagt: ‚Stell dich nicht so an‘ oder ‚Du simulierst doch‘. Mit 14 Jahren wurde mir die Pille verpasst. Die habe ich genommen, bis ich 27 war. Danach fing mein Leiden wieder an – Stufe 2. Ich konnte vor Schmerzen nicht auf Toilette gehen. Ich war Verkäuferin und habe jeden verflucht, der Zigaretten haben wollte, weil ich dann unter Schmerzen an das obere Regal greifen musste. Ich saß mit einer Wärmflasche an der Kasse. Mit 31 Jahren wurde bei einer Bauchspiegelung Endometriose festgestellt. Mir wurde gesagt, dass ich keine Kinder bekommen kann. Da ist für mich eine Welt zusammengebrochen. Dann wurde ich aber doch schwanger. In der Schwangerschaft hatte ich keine Schmerzen, danach wurde die Endometriose nochmal schlimmer – Stufe 3. Ich habe mich bei jeder Periode gequält. Bei einer Endometriose-Sanierung [Anm. d. Red.: eine Bauchspiegelung] wurde schließlich festgestellt, dass mein Darm durch die Endometriose verfressen war. Man hat mir den Enddarm entnehmen müssen. Die Pille, die mir extra aufgrund meiner Endometriose verschrieben wurde, hat nicht geholfen. Ich versuche es jetzt mit Wärme, Yoga und ohne Schmerzmittel. In einer Reha für Endometriose-Erkrankte halfen mir Fußreflex- und Bindegewebemassagen. Die bekommt man hier von Ärzten nicht aufgeschrieben, obwohl sie mir helfen.“

Endometriose: „Dieser Krankenhausaufenthalt hat mich traumatisiert“

Francesca Ricciardi (41): „Mit 9 Jahren haben meine Tage begonnen. Ich hatte immer starke Schmerzen und Blutungen. Mit 16 Jahren habe ich die Pille bekommen, mit 22 abgesetzt. Dann gingen die Schmerzen erst richtig los. Ich habe ganz viele Gynäkologinnen aufgesucht. Irgendwann wurde Endometriose diagnostiziert. Was das ist, wurde mir nicht erklärt. Es folgten Jahre mit Schmerzen und OPs. Meine letzte Bauchspiegelung hatte ich im Mai 2021. Dabei wurde meine Blase perforiert. Sie hatte ein Loch und das wurde nicht bemerkt. Ich habe viele Abführmittel bekommen. Ich wurde Donnerstag operiert und hatte Dienstag das Gefühl zu platzen. Nach einer nächtlichen Untersuchung passierte weiter nichts. Ich wurde zurück ins Zimmer gebracht. Am nächsten Tag kam eine Ärztin, die das Aufnahmegespräch mit mir hatte und mich untersucht hat. Ich habe schon vorher mehrmals den Ärzten und Pflegern gesagt, dass etwas nicht stimmen würde. Als mir die Ärztin half, sind sechs Liter Urin aus meinem Bauch geflossen. Dieser Krankenhausaufenthalt hat mich traumatisiert. Wegen Corona konnte mich meine Familie die ganze Zeit nicht besuchen. Ich ging in eine Reha und bekam psychische Unterstützung. Jeden Tag hat mein Körper mit den Entzündungen der Endometriose zu kämpfen. Es ist wie ein Tumor, der immer nachwächst.“

Hilfe und Austausch in der Selbsthilfegruppe

Die Teilnehmerinnen der Siegener Selbsthilfegruppe sind davon überzeugt, dass die Erkrankung besser erforscht und bekannter wäre, wenn es eine typische Männer-Krankheit wären. „Endometriose ist nicht tödlich“, sagt Viktoria Gummenscheimer. Auch das ist aus ihrer Sicht ein Grund, warum die Erkrankung öffentlich nur wenig wahrgenommen wird. Außerdem würden immer noch viele Gynäkologinnen und Gynäkologen die Erkrankung nicht kennen.

Seit 2018 gibt es in Siegen die Selbsthilfegruppe für Endometriose-Erkrankte. Gegründet wurde sie von Nicole Scherzberg. Für viele Betroffene aus der Region und darüber hinaus ist das Treffen an jedem dritten Dienstag im Monat zu einer festen Institution geworden. Dort können sie Hilfe finden und offen über ihre Probleme sprechen.

Wer an Endometriose erkrankt ist, es vermutet oder Fragen zu dem Thema hat, kann sich an die Siegener Selbsthilfegruppe und Nicole Scherzberg unter endometriose-siegen@web.de wenden. Eine Absprache per Mail vor dem ersten Selbsthilfegruppenbesuch ist nötig. Mehr Infos zu der Erkrankung, den Ansprechpersonen und weiteren Hilfen gibt es auch im Netz unter www.endometriose-vereinigung.de.

Deborah Schön (25): „Ich weiß seit August 2022, dass ich Endometriose habe. Ich habe mit 11 Jahren die Pille bekommen – sie wird verteilt wie Smarties. 2019 habe ich sie abgesetzt. Ostern im vergangenen Jahr ging es mir nicht gut, ich war in der Nacht komplett durchgeschwitzt, hatte starke Schmerzen und Durchfall. Auf der Toilette bin ich dann umgekippt. Danach kamen die Beschwerden immer wieder und immer schneller. Ich hatte keine gute Gynäkologin. Sie sagte, ich wiege zu wenig. Anschließend habe ich mit Francesca über meine Beschwerden gesprochen. Schließlich hatte ich eine Bauchspiegelung. Ich war froh, als was gefunden wurde, weil ich da wusste: ,Ich bin nicht doof.’ Wenn ich meine Tage habe, bleibt mein Bein taub. Bei Bedarf nehme ich Schmerzmittel.“

Es gibt mehrere Behandlungsmöglichkeiten bei der Endometriose-Erkrankung. Nicht allen helfen sie.
Es gibt mehrere Behandlungsmöglichkeiten bei der Endometriose-Erkrankung. Nicht allen helfen sie. © WP Siegen | Manuela Nossutta/Funkegrafik NRW

Jule Germes (22): „Ich hatte mein Leben lang immer Schmerzen und viele Erkrankungen. Die Diagnose Endometriose kam vor einem Jahr. Als mich ein Gynäkologe abgetastet hat, kam nur ein ,Oh’. Beim Ultraschall konnte man die Endometriose sofort sehen. Nach der Bauchspiegelung, bei der die Endometriose-Herde entfernt wurde, konnte ich nicht laufen. Ich habe geblutet wie auf dem Schlachthof. Im Freundeskreis habe ich viel Unverständnis erlebt. Eine Bauchspiegelung sei ja keine große OP. Danach habe ich die Pille durchgenommen und war drei Monate beschwerdefrei, bis die Schmerzen wieder begannen. Ich habe die Pille gewechselt, dadurch sind mir aber die Haare ausgefallen. Im Oktober hatte ich eine schlimme Erschöpfungsphase. Sobald ich Stress habe, bin ich ununterbrochen krank. Ich bin dabei, herauszufinden, was hilft. Momentan geht es mir mit der Endometriose ganz gut, Ibuprofen hilft. Auch Behandlungen beim Osteopathen retten mich gerade.“

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Nicole Scherzberg (44): „Meine erste Monatsblutung im 13. Lebensjahr war extrem stark. Ich hatte auch danach oft Sturzblutungen und bin irgendwann vor starken Schmerzen umgekippt. Mein Gynäkologe wusste damals direkt, was los ist. Aufgrund der Endometriose , musste ich mit 14 die Pille ohne Pause nehmen. Mein Körper verträgt Pillenpausen bis heute nicht. Mit 20 Jahren ist ein Eierstock aufgrund einer Zyste blau angelaufen, konnte aber in einer Not-OP noch gerettet werden. Ich hatte auch danach verschiedene Zysten. Ende 2016 ist eine geplatzt und die Schmerzen wurden immer schlimmer. 2017 wurde ich sofort operiert, es war eine große OP. Als ich entlassen wurde, hatte ich extreme Schmerzen, bin zuhause zusammengebrochen. Ich hatte das Gefühl, ein ICE fährt durch meinen Unterleib. Es folgten noch zwei Operationen. In einer Klinik wurde mir dann gesagt: ,Die 4. OP in einem Jahr überleben sie nicht.’ Ich nehme seit drei Jahren täglich Morphin und bin ein sehr komplizierter Endometriose-Fall. Aktuell ist durch die Erkrankung meine Blase befallen. Dadurch habe ich mit Nierenschmerzen zu kämpfen. Trotzdem muss ich versuchen, die OP weiter herauszuschieben, was ich seit 2019 schon versuche. Auch die Begleiterkrankungen, z. B. an der Schilddrüse, begleiten mich täglich.“

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