Kirchen/Siegen. Durchschnittlich dauert der Weg bis zur Diagnose bei Endometriose zehn Jahre. Gynäkologe Fadi Mohammad erklärt, was die Diagnose schwierig macht.

Zehn Jahre wartet eine Endometriose-Betroffene durchschnittlich auf ihre Diagnose. „Immer, wenn eine Patientin nach Jahren zu mir kommt und ich finde Endometriose-Herde, habe ich Mitleid. Warum muss sie so lange warten, bis eine Diagnose gestellt wird?“, sagt Fadi Mohammad, Gynäkologe und Chefarzt im DRK Krankenhaus Kirchen. Der 46-Jährige konnte das nicht länger mit ansehen, hat sich daher mittlerweile auf die Erkrankung spezialisiert sowie mit der Siegener Selbsthilfegruppe für Endometriose-Betroffene einen Kooperationsvertrag geschlossen. Im Interview mit Ina Carolin Pfau erklärt er, was die Diagnose der Krankheit so schwierig macht.

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Was ist Endometriose?

Fadi Mohammad: Es ist eine weibliche Erkrankung, bei der Gewebe der Gebärmutterschleimhaut im Körper auch außerhalb der Gebärmutter wächst. Sie kann an allen Organen auftreten. Es ist eine chronische Schmerzerkrankung, die nicht von allein abheilt.

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Was sind die Auslöser?

Es gibt viele Theorien, wie, wann und warum Endometriose entsteht. Manche Experten führen es z. B. auf die Genetik zurück, andere auf den Lebensstil oder Umwelteinflüsse oder auf die „retrograde Menstruation“. Das bedeutet, dass bei der Regelblutung einige Zellen der Gebärmutterschleimhaut durch die Eileiter in die Bauchhöhle gelangen und sich dort ansiedeln. Es gibt aber nur Theorien und Hypothesen – es ist nichts bewiesen. So kann die Mutter erkrankt sein, die Tochter aber nicht. Man kann auch nicht sagen, was man prophylaktisch gegen Endometriose machen kann.

Fadi Mohammad ist Gynäkologe und arbeitet mit der mit der Siegener Selbsthilfegruppe für Endometriose-Betroffene zusammen.
Fadi Mohammad ist Gynäkologe und arbeitet mit der mit der Siegener Selbsthilfegruppe für Endometriose-Betroffene zusammen. © Privat | Privat

Nicht nur eine Erklärung zu finden, ist offenbar schwierig, scheinbar auch die Diagnosestellung. Warum?

Bei der Endometriose gibt es spezifische Symptome wie Schmerzen bei der Periode, dem Wasserlassen und beim Geschlechtsverkehr. Es gibt aber auch eine Reihe an unspezifischen Symptomen, die mit anderen Erkrankungen verwechselt werden können. So kann eine Frau z. B. Bauchschmerzen haben, sucht deswegen den Internisten auf, wird dort entsprechend behandelt, aber tatsächlich steckt dahinter Endometriose.

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Eine Frau wird also häufig mit ihren jeweiligen Symptomen von unterschiedlichen Medizinern betrachtet, aber nicht ganzheitlich?

Genau. Oft denkt keiner an Endometriose. Von den ersten Symptomen bis zur Diagnose dauert es daher durchschnittlich zehn Jahre. Ich glaube auch, dass eine Erklärung sein kann, dass man in gynäkologischen Praxen oft nicht genügend Zeit hat, mit den Patientinnen zu sprechen.

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Ist da nicht auch ein Problem, dass Gynäkologinnen und Gynäkologen die Beschwerden ihrer Patientinnen nicht immer ernstnehmen?

Ja. Seit zwei bis drei Jahren sehe ich aber eine andere Entwicklung: Es werden bei Arztkongressen mehr Vorträge über Endometriose gehalten. Die Erkrankung wird bekannter. Ich sehe auch in der Sprechstunde, dass sich Frauen vorstellen, um Endometriose auszuschließen. Dann ist es meine Aufgabe, herauszufinden, ob es das ist oder nicht.

Hilfe und Austausch in der Selbsthilfegruppe

Die Teilnehmerinnen der Siegener Selbsthilfegruppe sind davon überzeugt, dass die Erkrankung besser erforscht und bekannter wäre, wenn es eine typische Männer-Krankheit wären. „Endometriose ist nicht tödlich“, sagt Viktoria Gummenscheimer. Auch das ist aus ihrer Sicht ein Grund, warum die Erkrankung öffentlich nur wenig wahrgenommen wird. Außerdem würden immer noch viele Gynäkologinnen und Gynäkologen die Erkrankung nicht kennen.

Seit 2018 gibt es in Siegen die Selbsthilfegruppe für Endometriose-Erkrankte. Gegründet wurde sie von Nicole Scherzberg. Für viele Betroffene aus der Region und darüber hinaus ist das Treffen an jedem dritten Dienstag im Monat zu einer festen Institution geworden. Dort können sie Hilfe finden und offen über ihre Probleme sprechen.

Wer an Endometriose erkrankt ist, es vermutet oder Fragen zu dem Thema hat, kann sich an die Siegener Selbsthilfegruppe und Nicole Scherzberg unter endometriose-siegen@web.de wenden. Eine Absprache per Mail vor dem ersten Selbsthilfegruppenbesuch ist nötig. Mehr Infos zu der Erkrankung, den Ansprechpersonen und weiteren Hilfen gibt es auch im Netz unter www.endometriose-vereinigung.de.

Was sollten Frauen mit Endometriose-Verdacht machen, wenn Sie von Gynäkologinnen und Gynäkologen nicht ernstgenommen werden?

Eine andere Ärztin oder einen anderen Arzt aufsuchen. Man muss sich bewusst machen: Es ist nicht normal, dass Frauen bei der Periode Schmerzmittel nehmen müssen.

Endometriose: „Man muss auch die Angehörigen mit ins Boot holen“

Wie gehen Sie dann bei der Diagnosestellung vor?

Ich lasse die Frauen von ihren Beschwerden berichten. Danach gibt es eine vaginale Untersuchung, anschließend ein Gespräch mit der Patientin. Bei Verdacht auf Endometriose erfolgt als erstes eine Therapie mit Medikamenten.

Der Pille?

Ja, die „Hormontherapie“ und bei Bedarf gibt es auch Schmerzmittel. Ich kann natürlich nicht jeder Frau die Pille verschreiben, bei Thrombose- oder Bluthochdruck-Patientinnen beispielsweise nicht. Auch nicht, wenn bei der Patientin ein Kinderwunsch besteht. Wenn ich die Pille verschreiben kann, müssen sich die Frauen bei mir melden, wenn Unverträglichkeiten und Nebenwirkungen auftreten. Ich warte immer zwei bis drei Monate ab, ob die Hormontherapie hilft. Erst dann kommt eine OP in Frage.

Es gibt mehrere Behandlungsmöglichkeiten bei der Endometriose-Erkrankung. Nicht allen helfen sie.
Es gibt mehrere Behandlungsmöglichkeiten bei der Endometriose-Erkrankung. Nicht allen helfen sie. © WP Siegen | Manuela Nossutta/Funkegrafik NRW

Was passiert bei der OP?

Patientinnen geben oft nicht so massive Beschwerden an, wie sie haben – in manchen Fällen muss man direkt operieren. Bei der Bauchspiegelung werden dann Endometriose-Herde – wenn sie vorhanden sind – entfernt. Je nach Ausprägung lassen sie sich etwa im Bauch- und Beckenbereich finden, bei manchen Patientinnen werden Organe dadurch eingeschränkt.

Erkrankung: „Rund 10 Prozent aller Frauen sind von Endometriose betroffen“

Was raten Sie Betroffenen und deren Angehörigen für den Umgang mit der Krankheit?

Man muss auch die Angehörigen mit ins Boot holen. Endometriose kann Partnerschaften zerstören. Am besten die Angehörigen sind beim Arztbesuch und der Diagnosestellung dabei. Man braucht die Unterstützung der Familie. Gerade auch, weil 20 Prozent der Patientinnen von einer Hormontherapie und OP nicht profitieren.

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Wie weit ist die Endometriose-Forschung? Wird es bald Therapieformen geben, die auch diesen Frauen helfen können?

Sehr weit. Es gibt viele Fortschritte. Ich gehe davon aus, dass es in den nächsten Jahren andere Therapieoptionen geben wird. Ich bin da optimistisch.

Warum arbeiten Sie nun mit der Siegener Selbsthilfegruppe für Endometriose-Betroffene zusammen?

Über Endometriose kann niemand besser sprechen als Endometriose-Patientinnen. Kurzfristig und langfristig wollen wir Projekte anstoßen und zusammen mehr Aufmerksamkeit auf die Erkrankung lenken. Rund 10 Prozent aller Frauen sind von Endometriose betroffen. Wir müssen mehr darüber sprechen.

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