Siegen. Kinder- und jugendpornografisches Material wird oft von Minderjährigen in Umlauf gebracht - ohne sich der Folgen bewusst zu sein.

Die Täter sind in vielen Fällen Kinder und Jugendliche. Aber die meisten sind sich nicht einmal bewusst, dass sie durch ihr Verhalten zu Tätern werden. Wenn es um Verbreitung und Besitz von Kinderpornografie geht, hat die Besondere Aufbauorganisation (BAO) „Tera“ der Kreispolizeibehörde Siegen-Wittgenstein häufig auch mit minderjährigen Verdächtigen zu tun. Deren Handlungen sind dann zwar in den seltensten Fällen tatsächlich pädophil motiviert, erfüllen allerdings dennoch einen Straftatbestand. Und der zieht das entsprechende polizeiliche Vorgehen nach sich.

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„Auch in diesen Fällen gibt es kein Wenn und Aber: Da müssen wir einschreiten“, sagt BAO-Leiter Meik Reichmann. Sein Team und er sind für die Sichtung und Bewertung von kinderpornografischem Material zuständig, ebenso für die Einleitung weiterer Ermittlungsschritte (wir berichteten). „Es ist natürlich unser primäres Ziel, Pädokriminelle zu identifizieren und genau denen das Handwerk zu legen, weil sie Kindern unmittelbar oder mittelbar größten Schaden zufügen, körperlich und seelisch“, sagt der Kriminalhauptkommissar. Doch in der Praxis müssen sich die Beamtinnen und Beamten häufig auch mit Teenagern beschäftigen, bei denen zwar der Straftatbestand erfüllt, die Triebfeder aber eine andere ist. Von den mehr als 3600 gesonderten Ermittlungsverfahren, die die BAO „Tera“ seit ihrem Start Ende Oktober 2021 eingeleitet hat, fallen mehr als zwei Drittel in diese Kategorie.

Siegen: Kinder- und Jugendpornografie – Minderjährige versenden oft „Rachepornos“

Typisch in diesem Bereich ist der sogenannte Racheporno. Das Phänomen, intimes Bildmaterial von Ex-Partnerinnen und -Partnern über Chatgruppen zu verbreiten oder sogar auf Internetseiten zu veröffentlichen, betrifft zwar alle Altersgruppen und ist – sofern keine Zustimmung der abgebildeten Menschen gegeben ist – grundsätzlich illegal; wenn aber etwa ein 14-jähriger Junge solche Aufnahmen von seiner 13-jährigen Ex-Freundin verbreitet, handelt es sich zusätzlich um Kinderpornografie.

Direkt an die Polizei wenden

Die Besondere Aufbauorganisation (BAO) heißt „Tera“ wegen der gewaltigen Datenmengen, die sich bei der Kreispolizeibehörde Siegen angesammelt hatten: rund 140 Terabyte.Dem Team gehören 15 Kolleginnen und Kollegen an, die den ganzen Tag Material von sichergestellten Datenträgern sichten müssen: Bilder, Videos, Emails, Chatverläufe mit oft abstoßendsten Inhalten.Eltern, die auf den Smartphones, Tablets oder Computern ihrer Kinder heikle Inhalte entdecken oder von ihren Kindern Verdächtiges erzählt bekommen, sollten sich an die Polizei wenden.

Ärger droht nicht nur dem Versender, sondern auch jedem Empfänger und jeder Empfängerin, weil schon der Besitz solcher Dateien eine Straftat ist. Dass Kinder und Jugendliche überhaupt derartiges Material verschicken, hat vor allem damit zu tun, dass es mittels Smartphones mittlerweile ohne großen Aufwand möglich ist. „Es geht meistens überhaupt nicht um pädophile Fantasien, sondern offensichtlich ausschließlich darum, sich dem Thema ,Sexualität’ anzunähern“, wie Meik Reichmann erläutert – schließlich ist es ein Unterschied, ob ein 14-Jähriger eine 13-Jährige (sexuell) anziehend findet, oder ob ein 50-Jähriger das tut. Ärger und Probleme mit den Strafverfolgungsbehörden gibt es trotzdem in beiden Fällen.

Kinderpornografie in Siegen: Auch bei minderjährigen Tätern gibt es Durchsuchungen

Von der Verletzung von Persönlichkeitsrechten und der Demütigung und öffentlichen Bloßstellung der abgebildeten Personen abgesehen: Allein der Straftatbestand „Besitz und Verbreitung von Kinderpornografie“ kann die Durchsuchung der elterlichen Wohnung und die Beschlagnahmung von Datenträgern nach sich ziehen. Die Jugendlichen, die in den Fokus der Ermittlungen geraten, „sind teilweise sehr überrascht, wenn sie zu Hause aufgesucht oder vorgeladen werden“, sagt Meik Reichmann. „Denen ist zunächst oft gar nicht klar, was sie da gemacht haben.“

Das Team der „Besonderen Aufbauorganisation Tera“ sichtet und bewertet bei der Kreispolizeibehörde Siegen-Wittgenstein kinder- und jugendpornografisches Material. Dabei geht es oft auch um „Rachepornos“, die Jugendliche versenden.
Das Team der „Besonderen Aufbauorganisation Tera“ sichtet und bewertet bei der Kreispolizeibehörde Siegen-Wittgenstein kinder- und jugendpornografisches Material. Dabei geht es oft auch um „Rachepornos“, die Jugendliche versenden. © WP | Florian Adam

Dass es sich weder um einen Streich noch um einen mehr oder minder harmlosen Spaß handelt, wird vielen erst dann deutlich. Einige seien sich auch gar keiner Schuld bewusst, weil ihnen die Bilder beziehungsweise Videos doch lediglich zugesandt worden seien. Dass sich auch strafbar macht, wer in einem solchen Fall untätig bleibt, wissen die meisten nicht. „Für den Fall, dass jemand Kinderpornografie zugeschickt bekommt, gilt die dringende Empfehlung: Erstatten sie umgehend Strafanzeige bei der Polizei“, betont der BAO-Leiter.

Siegen: Kinder- und Jugendpornografie – Polizei will an den Schulen sensibilisieren

Im Zuge von Prävention und Opferschutz geht die Polizei an Schulen, um Kinder und Jugendliche zu informieren und zu sensibilisieren. Die Fachleute sehen aber auch die Eltern in der Verantwortung, auf die Online-Aktivitäten des Nachwuchses einen Blick zu haben. „Ein Erziehungsauftrag hört nicht am Smartphone auf“, sagt Polizei-Pressesprecher Stephan Pusch. Meik Reichmann sieht das aus seiner täglichen Berufserfahrung heraus ähnlich. „Viele Eltern wollen ihren Kindern Vertrauen schenken“, sagt der Kriminalhauptkommissar. Dagegen sei auch nichts einzuwenden. Doch es gelte, „Gefahren abzuwägen und auch mal ins Handy des 13-jährigen Sohnes reinzugucken“.

Dabei gehe es nicht nur darum, ob irgendwelche fragwürdigen oder strafbaren Inhalte auf dem Gerät zu finden sind, denn darüber hinaus können die eigenen Kinder „ja auch Opfer von Straftaten werden“, wie Meik Reichmann betont. In Chats und Onlinespielen etwa seien – und das gar nicht mal so selten – auch Pädophile (oder andere Straftäter) unterwegs, die Minderjährige verbal oder bildlich bedrängen oder belästigen. Die Kinder selbst thematisieren das im Elternhaus möglicherweise nicht, weil sie meinen, sie kämen alleine damit zurecht. „Man denkt mit 13 oder 14 Jahren vielleicht, man wäre schon erwachsen und könne Gefahren einschätzen. Aber das ist man man dann noch bei Weitem nicht.“

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Auf diesen spezifischen Bereich verwendet die BAO „Tera“ viel Energie, „das ist an der Tagesordnung“. Der Einsatz, den diese Arbeit erfordert, ist schon aufgrund der Fallzahlen hoch intensiv und wird auch sehr ernst genommen, wie Meik Reichmann unterstreicht – „denn bei den jungen Menschen kann man noch Einfluss nehmen und vieles in bessere Bahnen lenken“. Aber „das nimmt uns natürlich auch Zeit weg“, räumt er ein. Zeit, die die Ermittlerinnen und Ermittler sonst für die Jagd auf erwachsene Pädokriminelle zur Verfügung hätten.