Hilchenbach. Nach langem Ringen ist es der Stadt Hilchenbach gelungen, das Haus Dammstraße 5 zu kaufen. Der rechtsextreme „3. Weg“ verliert sein Parteibüro.

Der Neonazi-Spuk ist bald vorbei: Die Stadt Hilchenbach hat das Haus Dammstraße 5 gekauft, die rechtsextremistische Partei „Der 3. Weg“ wird in Kürze ausziehen müssen. Gut neun Monate lang hat die Niederlassung der verfassungsfeindlichen Partei mit „Bürgerbüro“, „Tiertafel“ und Kleiderkammer die Stadt in Aufregung gehalten.

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In das Haus Dammstraße 5 in Hilchenbach ziehen bald Geflüchtete ein

Im nicht öffentlichen Teil der Ratssitzung am Mittwoch, 14. Dezember, wird Bürgermeister Kyrillos Kaioglidis Vollzug melden: Bereits am 12. Oktober hat die Stadt das Haus von seinem bisherigen, in Bayern als Projektentwickler tätigen Eigentümer gekauft. Der Eigentümerwechsel wurde am 28. November ins Grundbuch eingetragen. Bereits im Mai hatte der Rat den Bürgermeister beauftragt, ein Vorkaufsrecht anzumelden und auszuüben. Dazu sollte die Stadt in den Kaufvertrag eintreten, den der Eigentümer im Dezember 2021 mit dem Landesvorsitzenden des 3. Wegs geschlossen hatte. Dazu wurde der Bürgermeister ermächtigt, auch einem höheren Kaufpreis zuzustimmen. Überwiesen werden nun 355.000 Euro.

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Bürgermeister Kyrillos Kaioglidis wollte sich am Dienstag mit Verweis auf ein „laufendes Verfahren“ nicht äußern. In der Vorlage, über die der Rat entscheidet, empfiehlt er, „die Verwaltung mit allen weiteren Schritten (zu beauftragen), die erforderlich sind, um das erworbene Gebäude für Zwecke der Flüchtlingsaufnahme und -hilfe zu nutzen“. Damit wird umgesetzt, womit die Stadt die Ausübung des Vorkaufsrechts begründet hatte: Wohnraum für Geflüchtete aus der Ukraine und eine Begegnungsstätte, wie sie derzeit provisorisch im Rondell des Gerberpark-Oberdecks eingerichtet ist.

Hetze gegen Hilchenbachs Bürgermeister Kyrillos Kaioglidis

Auf seiner Homepage kündigt der „3. Weg“ für das bevorstehende „Chresdachsmärtche“-Wochenende einen „nationalrevolutionären Weihnachtsmarkt" auf dem Grundstück Dammstraße 5 an, wo er bisher nur Mieter ist – es dürfte die letzte Veranstaltung der Rechtsextremen an dieser Stelle sein. In den letzten Wochen hatte die Partei wiederholt Anlass, sich auf der aus ihrer Sicht sicheren Seite zu fühlen. Zwei Mal war das Oberverwaltungsgericht Anträgen und Beschwerden der Partei gefolgt: Das von der Bauaufsicht des Kreises ausgesprochene Verbot von Werbeanlagen im Schaufenster und am Gebäude wurde außer Vollzug gesetzt. Und Bürgermeister Kyrillos Kaioglidis wurde – mit Verweis auf das für sein Amt geltende „Neutralitätsgebot“ – veranlasst, einen Bericht über die Übergabe einer – von mittlerweile fast 9000 Unterzeichnern unterstützten – Petition gegen das Parteibüro von der städtischen Homepage zu nehmen.

In den Monaten ihrer Hilchenbacher Aktivität hatte die Partei immer wieder gegen den Bürgermeister gehetzt: „Kyrillos Kaioglidis muss weg“, war am Gebäude zu lesen, und mit wenig räumlichem Abstand die Aufforderung, „deutsch“ zu wählen. Provoziert hatte die Partei mit einer Galgen-Installation vor dem Rathaus und der öffentlichen Verwendung einer Regenbogenflagge als Putzlappen.

Auseinandersetzung um Vorkaufsrecht

Der Widerstand in der Stadt setzte mit dem Tag ein, an dem der Grundstücksdeal über das ehemals von der AOK und davor vom Reise- und Verkehrsbüro genutzte Haus Dammstraße 5 eher zufällig öffentlich wurde. Erst als der Notar, der den Kaufvertrag schon im Dezember beurkundet hatte, nach einem noch nicht ausgestellten „Testat“ der Stadt gefragt hatte, wurde das Vorhaben des „3. Wegs“ bekannt. Testiert werden sollte, dass die Stadt kein Vorkaufsrecht für die Immobilie hat – erst dann konnte der Kaufvertrag wirksam werden. Eine alltägliche Anfrage bei jedem Grundstücksgeschäft, die die Stadt zum Hebel machte, um die unerwünschte Ansiedlung zu beenden.

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Die Stadt Hilchenbach reklamierte für sich ein Vorkaufsrecht, erließ eine Vorkaufsrechtssatzung, ließ ihren Anspruch im Grundbuch vormerken und leitete eine Änderung des Stadtmitte-Bebauungsplans ein – alles mit dem Ziel, die Dammstraße 5 als Wohnraum für Geflüchtete aus der Ukraine in Anspruch zu nehmen. Die Partei ging dagegen vor und setzte sich im einstweiligen Verfahren durch: Der Stadt stehe wohl kein Vorkaufsrecht zu, sagten Verwaltungs- und Oberverwaltungsgericht – schließlich habe der Ukraine-Krieg noch nicht begonnen, als das Grundstück verkauft wurde.

Bündnis für Zivilcourage und „Hilchenbach ist bunt“

Das Hilchenbacher Bündnis für Toleranz und Zivilcourage, schon vor mehr als 20 Jahren wegen damaliger Nazi-Aktivitäten in der Stadt gegründet, formierte sich neu, vor allem junge Hilchenbacherinnen und Hilchenbacher schlossen sich mit einer Initiative „Hilchenbach ist bunt“ an. Mit zwei Bürgerfesten setzten sie sich gegen die Partei in Position, die ihr Domizil auf der Siegener Eintracht verloren hatte. Das zweite Bürgerfest war verbunden mit einem großen Demonstrationszug mit mehr als 700 Beteiligten.

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Die Behörde setzte weitere Nadelstiche: Beanstandet wurde der Verstoß gegen die Stadtmitte-Gestaltungsvorschriften, untersagt wurde die Nutzung als Versammlungsstätte, in beiden Fällen durch die Bauaufsicht des Kreises, die seitdem vom „3. Weg“ auf einem Plakat als „Hure der Stadt Hilchenbach“ verunglimpft wird. Über das Verbot der Nutzung setzte sich die Partei mit wöchentlichen Versammlungen hinweg. Ihr Eilantrag dagegen wurde Ende November vom Verwaltungsgericht zurückgewiesen, inzwischen gibt es eine Bauantrag für die aktuelle Nutzung des Gebäudes.

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Hilchenbach will Hausverbot für rechte Propaganda

Intensiviert hat die Stadt Hilchenbach ihre „Respekt!“-Kampagne: Auf Schildern vor Gebäuden und Plätzen wird ein Votum gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sichtbar gemacht. Angekündigt wurde die Änderung von Hallen- und Platzordnungen, um einschlägig rechtsextremistischer Propaganda mit Haus- und Platzverweisen begegnen zu können. Wenig gehört blieb allerdings der Aufruf von Hilchenbacher Bürgern an Politik und Parteien und auch an die Bürgermeister der anderen Städte und Gemeinden im Kreis, sich solidarisch zum Hilchenbacher Bürgermeister zu stellen. Kyrillos Kaioglidis hat diesen Kampf für seine Stadt trotzdem gewonnen. Auch mit „Maulkorb“.

Kommentar:Hilchenbach und der „3. Weg“: Über den Tag hinaus

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