Siegen. Keine Sorge vor der Uni Siegen in der Innenstadt: Jenseits von Facebook-Gezeter möchten die Verantwortlichen Sorgen der Menschen ernst nehmen.

Siegens Innenstadt steht wegen der Ansiedlung weiterer Universitäts-Komplexe vor großen Veränderungen. Nicht alle Bürgerinnen und Bürger schauen dem zuversichtlich entgegen: Gerade manche älteren Menschen haben Sorge, dass sie beim Projekt „Siegen. Wissen verbindet“ mit ihren Interessen und Bedürfnissen auf der Strecke bleiben könnten. Was tun die Verantwortlichen, um Skeptikern diese Ängste zu nehmen?

Diskussion in Sozialen Netzwerken rund um Uni-Umzug nach Siegen oft sehr harsch

Viele Siegenerinnen und Siegener sehen den Umzug zweier weiterer Fakultäten in die Innenstadt, die damit verbundenen Bauprojekte und die Auswirkungen auf Einzelhandel, Gastronomie und städtisches Leben als Chance. Wie groß die Gruppe derjenigen ist, die hingegen vor allem negative Effekte fürchten, lässt sich nicht genau sagen. Die besonders harschen Kritikerinnen und Kritiker äußern sich eher im kleineren Rahmen oder in der Anonymität der Sozialen Medien. Dabei wird regelmäßig der Eindruck geäußert, die Stadt täte nur noch etwas für junge Menschen – nämlich Studierende – und vernachlässige darüber ältere Generationen derart, dass ab einem gewissen Alter der Wegzug aus Siegen angeraten sei.

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Nicht immer bleibt der Ton angemessen. Die rigidesten Verfechterinnen und Verfechter solcher Theorien greifen mitunter (für die Sozialen Medien nicht ganz untypisch) zu bizarren Vergleichen: Auf der Facebookseite dieser Zeitung etwa setzte ein User vor einigen Wochen die geplanten Maßnahmen der Uni in der Innenstadt mit Russlands Angriff auf die Ukraine gleich. Wobei solche Extremfälle nicht diejenigen in Misskredit bringen dürfen, die legitime Ängste haben und für sachliche Argumente offen sind.

Uni Siegen will der gesamten Gesellschaft in der Innenstadt ein Angebot machen

„Natürlich bekommen wir das mit. Wir haben das Thema auf dem Schirm“, sagt Ulf Richter, Kanzler der Uni Siegen. Rektor Prof. Holger Burckhart hat die Ansiedlung von Fakultäten in der Stadtmitte von Beginn an unter das Stichwort der „Bürger-Uni“ gestellt, zu der alle Menschen unabhängig von Alter, Herkunft oder Bildung Zugang haben. „Wir bemühen uns, ein Angebot zu machen, das die Bevölkerung in ihrer gesamten Breite anspricht“, betont Ulf Richter. Es gebe unter anderem die Mittwochs-Akademie, das Forum Siegen, das Haus der Wissenschaft, die Kinder-Uni oder die Reihe „Mittags um 12“, bei der samstags Konzerte, Lesungen und andere öffentliche Veranstaltungen im Hörsaalzentrum am Campus Unteres Schloss stattfinden.

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Doch von solchen inhaltlich ausgerichteten Angeboten abgesehen „wollen wir die Qualität und Atmosphäre in der Innenstadt für alle verbessern“, sagt der Kanzler. Dies werde gerade bei den anstehenden Bauprojekten in den Bereichen Friedrichstraße (Campus Nord) und Löhrtor/Häutebachweg (Campus Süd) sichtbar werden: Infrastruktur, Renaturierung der Weiß, neue Grünflächen, barrierearme oder -freie Verbindungen von Ober- und Unterstadt, außerdem positive Effekte auf das ÖPNV-Angebot.

Siegen: „Unsere Aufgabe, zu erklären, was Uni macht und welchen Mehrwert sie bringt“

„Es ist letztlich nie möglich, dass jeder und jedem wirklich alles gefällt. Ich erwarte aber zumindest, dass eine Stadt sich darauf einlässt“, sagt Ulf Richter. Das Verhältnis von Stadt und Uni habe sich in den vergangenen 50 Jahren sehr positiv verändert. Bei Gründung der Hochschule 1972 hielt es die Mehrheit der Verantwortlichen für eine gute Idee, den Campus auf dem Haardter Berg und damit deutlich außerhalb der Stadtmitte anzusiedeln. Dies geschah aus einer Mischung aus Zeitgeist und Pragmatismus heraus: Das städtische Leben sollte den Unibetrieb nicht stören – und umgekehrt. Heute empfänden die meisten Menschen eine solche Trennung aber nicht mehr als so naheliegend. „Ich spüre eher Neugierde“, sagt der Kanzler. „Und natürlich ist es unsere Aufgabe, zu erklären, was eine Universität macht und welchen Mehrwert sie einer Stadt bringt.“

Löhrtorbad ist „letzter Baustein“

Ein Teil des Campus Süd wird nach Abriss des Löhrtor-Bads auf dessen heutigem Grundstück entstehen. Doch „solange es die Stadt betreiben kann und möchte, geht es hier weiter“, verspricht Uni-Kanzler Ulf Richter. In der Planung für „Siegen. Wissen verbindet“ sei dieser Bereich deshalb extra „der letzte Baustein.“

Als die Stadt vor einigen Jahren mit dem Erfordernis einer teuren Sanierung des Löhrtorbads konfrontiert wurde, spielten Verwaltung und Politik diverse Lösungen durch. Letztlich fiel der Entschluss, das Bad aufzugeben und den Standort Weidenau dafür auszubauen. Inzwischen werden dort aus Kostengründen Abriss und Neubau favorisiert. Bis es so weit ist, soll das Löhrtorbad nach Möglichkeit erhalten bleiben. Und es gibt ein neues Problem: Auch das Hallenbad Eiserfeld ist nun marode.

Letzteres beträfe bei weitem nicht nur Ambiente, Selbstverständnis und Lebensgefühl, sondern auch wirtschaftliche Faktoren: Die Uni ist ein großer Arbeitgeber, Studierende, Lehrende und die gesamte Belegschaft konsumieren vor Ort mit entsprechender Nachfrage für Einzelhandel und Gastronomie. „Ein in die Universität investierter Euro erzeugt eine Wertschöpfung von vier Euro, das hat eine neue Studie belegt“, erklärt Ulf Richter.

Siegener Bevölkerung und Uni brauchen Kontakt-Orte mit unmittelbarem Nutzen

Wichtig sei es, die Kommunikation aufrechtzuerhalten. „Wir müssen uns aufeinander einlassen, aufeinander zugehen“, unterstreicht der Kanzler. Schon früh im Prozess habe es Infoveranstaltungen und Bürgerbeteiligung gegeben. Anfangs sei die Veränderung der Innenstadt „noch weit weg“ gewesen, merkt Ulf Richter an. Doch je näher die Umsetzung rücke, umso detaillierter würden die Fragen. Wenn die großen Baumaßnahmen beginnen, „wird es vor Ort ein Baubüro geben, wo die Menschen hingehen und sich informieren können. Und Baustellenführungen.“ Mit solchen Angeboten gibt es in Siegen bereits gute Erfahrungen: Im Zuge von „Siegen – Zu neuen Ufern“ haben Bürgermeister und Stadtbaurat häufig Gruppen durch die betroffenen Bereiche geführt – mit über Jahre hinweg sehr guter Resonanz.

Das Hörsaalzentrum im Karstadtgebäude ist für alle Bürgerinnen und Bürger zugänglich. Hier finden auch öffentliche Veranstaltungen wie Konzerte oder Lesungen statt.
Das Hörsaalzentrum im Karstadtgebäude ist für alle Bürgerinnen und Bürger zugänglich. Hier finden auch öffentliche Veranstaltungen wie Konzerte oder Lesungen statt. © Hendrik Schulz

Besonders wichtig, um den Kontakt zwischen Bevölkerung und Uni herzustellen, seien die Orte, an denen die Menschen einen unmittelbaren Nutzen erleben: das Hörsaalzentrum im Karstadtgebäude als Ort für öffentliche Veranstaltungen, die Uni-Bibliothek im Unteren Schloss mit ihren Medienbeständen und, allem voran, die neue Mensa am Obergraben. „Keine Standardmensa, sondern ein Ort mit moderner und vielfältiger Küche, der allen Bürgerinnen und Bürgern offen steht“, wie Ulf Richter hervorhebt.

In der Mensa Unteres Schloss begegnet die Uni Siegen schon jetzt der Bürgerschaft

Die Innenstadt-Mensa des Studierendenwerks an der Uni Siegen hält auch dessen Geschäftsführer Detlef Rujanski für einen wichtigen Faktor, damit Uni und Stadtgesellschaft einander näherkommen: „Es ist einfach pragmatisch. Es hat mit Genuss zu tun. Und eine Mensa ist nicht nur ein Ort der Nahrungsaufnahme, sondern auch der Kommunikation.“ Tatsächlich gehe der Kreis der Nutzerinnen und Nutzer bereits weit über die Studierenden hinaus. Kindergartengruppen und Schulklassen seien schon zu Gast gewesen; Menschen, die in der Innenstadt arbeiten, würden zum Mittagessen kommen. Und viele Gäste gehörten zur Generation 65plus. Studierende würden ihre Eltern oder Großeltern mit dorthin nehmen, und wenn diese dann erst einmal die Abläufe kennengelernt hätten, kämen sie auch alleine wieder. „Wir haben die Türen weit geöffnet“, betont Detlef Rujanski.

Die Innenstadt-Mensa ist der Ort, an dem Studierende und Stadtgesellschaft im Alltag bereits verstärkt aufeinandertreffen.
Die Innenstadt-Mensa ist der Ort, an dem Studierende und Stadtgesellschaft im Alltag bereits verstärkt aufeinandertreffen. © Florian Adam

Damit ein echter Campus entsteht, brauche es einen Nukleus, also einen Zellkern, sagt der Studierendenwerks-Chef. Dieser bestehe aus Hörsaalzentrum, Bibliothek und eben einer Mensa. Letztere „trifft die Philosophie der Bürger-Uni voll“. Der Begriff „Universität“ sei für manche Menschen immer noch eine gewisse Hemmschwelle, und diese gelte es zu nivellieren. „Wir müssen die Leute ermutigen: Kommt einfach mal her“, sagt Detlef Rujanski. Von denen, die dies täten, würden viele die Atmosphäre mögen: die offene Architektur, den Kontakt mit den jungen Menschen, „das Feeling dieser Einrichtung“. Und auch, wenn nicht jeder danach überzeugt sei: „Ich sage den Leuten: Ihr könnt gerne kritisch sein“, so Detlef Rujanski. „Aber schaut es Euch erst einmal an.“

Vorurteil „Alles nur noch Uni Siegen, andere werden vergessen“ stimme nicht

Es gebe „dieses gängige Vorurteil: ,Alles nur noch Uni und wir anderen werden vergessen’“, beschreibt Stadtbaurat Henrik Schumann seinen Eindruck angesichts mancher Facebook-Kommentare. Im direkten Kontakt liefen Gespräche zum Thema jedoch meist konstruktiv. Manche Bürgerinnen und Bürger hätten die Befürchtung, dass die Uni aufgrund ihres Platzbedarfs andere Einrichtungen aus der Innenstadt verdrängen werde oder dass der Verkehr zusammenbrechen könnte, wenn täglich tausende Studierende den Campus Mitte ansteuern. „Es wird zu sehr wenig Verdrängung kommen“, kündigt der Stadtbaurat an. Und verkehrstechnisch gebe es Konzepte. Ein Fokus liege zudem auf Fahrrad und Fußwegen, in diesem Zuge vor allem auch auf Barrierefreiheit: „Das kommt allen zugute.“

„Man kann nur immer wieder versuchen, das Ganze objektiv aufzuarbeiten“, sagt Henrik Schumann. Dazu seien sämtliche – digitale wie analoge – Kanäle zu nutzen, „und wir müssen die Menschen immer wieder einladen“. Stadt und Uni zögen dabei kommunikativ an einem Strang, dieser „Schulterschluss prägt die Wahrnehmung“. Tatsächlich stimmen Stadt und Uni sich seit Jahren auch an Stellen ab, an denen sie es rein formal gar nicht müssten, um ihre Interessen in Einklang zu bringen; schließlich wird das Projekt „Siegen. Wissen verbindet“ eine Veränderung der Innenstadt bewirken, die noch weitreichender sein wird als der bereits immense Effekt der Neuen Ufer.

Siegener Stadtbaurat: „Da wird viel durcheinandergewirbelt“ – Uni baut keine Straßen

Es gebe aber auch „eine Schattenseite dieser Kommunikationsstrategie“, sagt der Stadtbaurat über die abgestimmte Linie: Manche leiten daraus ab, dass Uni und Stadt auf eine unrühmliche Art gemeinsame Sache machten. Dabei werde „viel durcheinandergewirbelt“, sagt der Stadtbaurat – etwa, wenn Leute lautstark Einwände in der Art „baut doch lieber Straßen als die Uni“ erheben. Der Punkt an solchen Stellen ist: Die Stadt baut keine Uni-Gebäude, das übernehmen die Uni beziehungsweise das Land Nordrhein-Westfalen. Und die Uni ist umgekehrt nicht für öffentlichen Straßenbau zuständig.

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„Veränderung verbinden viele Menschen mit Bedrohung“, räumt der Stadtbaurat ein. Aber welche Vorzüge eine „echte“ Universitätsstadt, in der der Campus nicht außerhalb, sondern mittendrin liegt, bietet, diese Frage „kann ich mit Beispielen beantworten“, sagt Henrik Schumann. Wenn Leute nämlich in der Freizeit andere Städte besuchen würden – in Deutschland und darüber hinaus –, „dann oft junge, vitale Universitätsstädte“.