Hagen. . Die steinzeitliche Geschichte muss neu geschrieben werden. Und die Ursache dafür liegt in der Blätterhöhle. Wissenschaftler haben Funde aus Hagen analysiert und das Ergebnis lässt sie aufhorchen: In Mitteleuropa haben Jäger und Sammler gemeinsam mit Ackerbauern gelebt.
Es ist so etwas wie der Ritterschlag für die Forschungen und Grabungen an und um die Blätterhöhle. Denn nach den Ergebnissen einer Studie des Instituts für Anthropologie der Universität in Mainz, die in der Wissenschaftszeitschrift Science veröffentlich wird, muss Geschichte neu geschrieben werden.
Und zwar die über einen Zeitraum, in dem Menschen noch gar nicht schreiben konnten. „Damit“, sagt der Archäologe Dr. Jörg Orschiedt, der seit vielen Jahren in Holthausen forscht, „sind wir mit der Fundstelle Blätterhöhle endgültig auf internationalem Parkett angekommen.“
Jäger und Sammler lebten mit Ackerbauern
Das wesentliche Ergebnis der Studie: Jäger und Sammler haben über mehr als 2000 Jahre hinweg gleichzeitig mit eingewanderten Ackerbauern in unserer Region gelebt. „Der Lebensstil der Jäger und Sammler ist in Mitteleuropa also erst nach 5000 Jahren vor heute ausgestorben“, sagt Dr. Ruth Bollongio, die Erstautorin der Studie.
Bislang ging die Wissenschaft davon aus, dass Jäger und Sammler von der Bildfläche verschwanden, sobald sich Sesshaftigkeit in Mitteleuropa etablierte und nur noch in Randgebieten zu finden waren.
Basis für Ergebnisse sind Funde aus Hagen
Mischpopulationen aus beiden Gruppen sind unsere direkten Vorfahren. Die Basis für diese Erkenntnis bilden Funde aus Hagen. Funde, die Orschiedt und sein Team in unterschiedlichen Kampagnen gesammelt haben. „Sowohl Ackerbauern als auch Jäger und Sammler haben zur gleichen Zeit die Blätterhöhle als Begräbnisstätte genutzt“, so Orschiedt. „Es existierten hier also zwei Gruppen, die zumindest zeitweise vielleicht gemeinsame Sache gemacht haben.“
So haben Wildbeuter also in unmittelbarer Nähe von Ackerbauern gelebt. Über Jahrtausende hinweg müssen sie miteinander Kontakt gehabt haben. Und das nicht ohne Folgen. Zumindest in einer Richtung: Die Frauen aus der Gruppe der Jäger und Sammler heirateten in die Gesellschaft der Ackerbauern ein. Umgekehrt passierte das offenbar nicht: „Bauernfrauen empfinden die Einheirat in Wildbeutergruppen als sozialen Abstieg“, erklärt Prof. Joachim Burger. Leiter des Instituts für Anthropologie, „wohl auch weil die Geburtenrate bei Bauern höher ist.“
DNA der Hagener Knochenfunde für Studie untersucht
Das Team von Professor Burger hat für die jetzt veröffentlichte Studie die DNA der Hagener Knochenfunde untersucht. Beteiligt waren auch kanadische Wissenschaftler: „Erst durch ihre Isotopenanalyse fügte sich das Puzzle zusammen“, erklärt Bollongino. Sie haben herausgefunden, dass Jäger-Sammler mit einer sehr spezialisierten, auf Fisch basierenden Ernährung bis vor etwa 5000 Jahren in Nord- und Mitteleuropa gelebt haben.
Grabungen in Blätterhöhle stehen auf der Kippe
Was diese Studie und ihre für Wissenschaftler revolutionären Ergebnisse für Folgen für die Arbeit in Hagen haben, ist noch offen. Denn die Grabungen stehen auf der Kippe. Heute entscheidet die Deutsche Forschungsgemeinschaft über einen Förderantrag, durch den die Arbeiten vor Ort ein weiteres Jahr fortgesetzt werden könnten. „Wir wollen und werden die Forschungen auf jeden Fall fortsetzen“, sagt Dr. Jörg Orschiedt, „offen ist noch, in welchem Umfang das möglich sein wird. Aber auch wenn die DFG unseren Antrag ablehnen sollte, helfen Studie und die Science-Veröffentlichung bei der Suche nach Alternativen.“
Funde werden im Wasserschloss Werdringen präsentiert
Dr. Ralf Blank, Fachdienstleiter für Wissenschaft, Museen und Archive der Stadt Hagen, ist sich sicher: „Die Blätterhöhle ist noch für manche Überraschungen gut“, so der Historiker. „Mich freut es, dass wir in unserem Archäologiemuseum im Wasserschloss Werdringen die sensationellen Funde aus der Blätterhöhle präsentieren.“