Hagen. . An der Blätterhöhle in Hagen schaben sich die Archäologen zielstrebig in Richtung Eiszeit. Die Forschungsarbeit und die Bedeutung der Funde erreichten europäische Dimensionen.
Millimeter für Millimeter schaben Dr. Jörg Orschiedt und Wolfgang Heuschen mit einem Kratzer auf dem Boden ab. Jeder Millimeter entspricht rund 1,6 Jahren. Zumindest in der Theorie. Knapp 2000 Jahre sind die Archäologen auf dem Vorplatz der Blätterhöhle vorgedrungen, bis kurz vor die Eiszeit.
Bedeutendste Ausgrabungsstätte im Revier
Und mit jedem Millimeter Sediment, das abgetragen, erfasst, ausgesiebt und wissenschaftlich analysiert wird, wächst die Bedeutung der Forschungsstätte in Holthausen, an der einst die Schädeldecke des bis dahin ältesten Westfalen gefunden wurde. „Das hier hat mittlerweile europäische Dimensionen“, sagt Dr. Jörg Orschiedt über die bedeutendste Ausgrabungsstätte des Ruhrgebiets.
Was an den immer neuen Funden liegt, aber auch an den immer moderneren Methoden, mit denen sie untersucht werden. Die wissenschaftlichen Analysen der Proben aus der ersten Grabungskampagne im Frühjahr dieses Jahres haben bestätigt, was die Archäologen aufgrund der Situation vor Ort vermutet haben: Die Zeitreise an der Blätterhöhle Hagen führt mitten hinein in die Eiszeit.
Holzkohle aus der Zeit um 11 000 vor Christus
Bis dahin sind es zwar noch rund 60 Zentimeter, aber - dem Dachs sei Dank - Proben aus der Zeit ab 9600 vor Christi Geburt liegen vor. „In einem kleinen Höhlengang haben wir Werkzeuge gefunden, die nicht in den aktuellen Zeithorizont passen“, sagt Dr. Jörg Orschiedt. „Die hat das Tier aus einer tieferen Schicht mit nach oben gebracht.“ Die sogenannte C-14-Analyse eines Holzkohlestücks hat ergeben: Es stammt aus der Zeit um 11 000 vor Christus.
Die Schichtenfolge, die schon jetzt durchgehend vom frühen bis zum späten Mesolithikum (Mittelsteinzeit) reicht, macht die Blätterhöhle und deren Umfeld zu einer wissenschaftlichen Goldgrube. „Wir haben das so vermutet“, sagt Dr. Orschiedt, „jetzt liegt auch die Bestätigung vor.“
Projekt braucht langfristige Perspektive
Seit Anfang Juni graben die Archäologen wieder an der Blätterhöhle. Künftig mit einem Team, das aus sechs Archäologen besteht. „Das Projekt entwickelt eine Eigendynamik“, sagt Dr. Jörg Orschiedt, „das, was wir hier an Informationen erhalten, übertrifft unsere Erwartungen. Wir bekommen Antworten auch auf Fragen, die wir noch gar nicht gestellt haben. Und daraus ergeben sich wieder neue Fragen, nach deren Antworten wir noch suchen müssen.“
Damit das gelingen kann, soll das Projekt auf eine langfristige Basis gestellt werden. Bislang bezahlt die Deutsche Forschungsgemeinschaft die Arbeiten, die in Zusammenhang mit der Blätterhöhle stehen. Gesichert ist diese Finanzierung bis Anfang 2013. Eine Option auf ein Verlängerungsjahr besteht. Was dann kommt, ist völlig offen. „Für uns ist es wichtig, das Projekt dauerhaft abzusichern“, so Dr. Jörg Orschiedt, der von der Forschungsperspektive an der Höhle schwärmt. „Hier besteht die seltene Möglichkeit, ganz frisches Fundmaterial für Analysen zu sichern. So finden wir immer mehr darüber hinaus, wie Menschen zu welcher Zeit gelebt haben.“