Hagen. . Vor 70 Jahren mussten die Einwohner von Hagen erfahren, was der am 18. Februar 1943 im Berliner Sportpalast von Propagandaminister Dr. Joseph Goebbels verkündete „Totale Krieg“ wirklich bedeutet. Im Frühjahr und Sommer 1943 zerstörten britische Bomber die wichtigsten Großstädte an Rhein und Ruhr. In Hagen stieg die Zahl der Fliegeralarme stetig an. Im September des Jahres war Hagen die einzige noch unzerstörte Großstadt im westdeutschen Raum.
Diesen Rang behielt Hagen nicht lange, denn binnen Jahresfrist lag auch sie in Schutt und Asche. Am 1. Oktober 1943 flogen 229 viermotorige Lancaster-Bomber der Royal Air Force einen ersten „Großangriff‘ auf die Stadt. An die Kriegsjahre und Luftangriffe erinnert heute nur noch wenig im Stadtbild. Hagen wurde nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut.
Die Planung des Wiederaufbaus, so der Historiker Dr. Ralf Blank vom Fachbereich Kultur der Stadt Hagen, begann schon 1943 auf Veranlassung des Rüstungsministers Albert Speer, der auch Generalbevollmächtigter für die Regelung der Bauwirtschaft war. Speer ließ durch seinen Arbeitsstab im Frühjahr 1944 auch einen Entwurf für den Wiederaufbau der Stadt erstellen. „Wie dieser Plan ausgesehen hat, ist leider unbekannt“, so Blank, „da alle Unterlagen und Baupläne bei den Luftangriffen vernichtet wurden.“
Gigantisches Bauprogramm
Inmitten der Trümmer und Ruinen standen bei Kriegsende 1945 in Hagen und anderen Großstädten monumentale Gebäude aus Stahlbeton. Diese Hochbunker und tief in den Untergrund führende Stollen sind heute die einzigen Bauwerke, die im Stadtbild an das „Dritte Reich“ und den Bombenkrieg erinnern. Hagen war seit Oktober 1940 in ein gigantisches Bauprogramm, das schon nach zwei Jahren scheiterte, einbezogen. Zwar wurden längst nicht alle geplanten Bunker und Stollen fertiggestellt, doch im Stadtgebiet stößt der aufmerksame Beobachter immer wieder auf derartige Bauten.
Auch interessant
Der Fachdienst Wissenschaft, Museen und Archive des Fachbereichs Kultur und die Untere Denkmalbehörde der Stadt Hagen kooperieren auf dem Gebiet der Archäologie und Denkmalpflege schon seit einigen Jahren erfolgreich miteinander. Die Kunsthistorikerin Ina Hanemann, Leiterin der Unteren Denkmalbehörde, ist auch mit dem bisherigen Ergebnis eines vor einem Jahr begonnenen Bunkerprojekts mehr als zufrieden. „Es ist uns gelungen, bereits einen großen Teil der noch heute in Hagen vorhandenen Bunker und Stollen zu dokumentieren. Bunker und andere Luftschutzbauten aus der NS-Zeit werden erst seit wenigen Jahren auch als Denkmäler begriffen und unter Schutz gestellt.“
Luftschutzbauten zu Atombunkern umgebaut
Dr. Ralf Blank fasst die Bedeutung dieser Denkmäler für die Erinnerungskultur und die Stadtgeschichte zusammen: „Es sind bedrückende, düstere Bauwerke. Sie drängen sich auf und konfrontieren uns auf eine eindringliche Weise. Ihre Geschichte steht nicht nur für den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg. Auch das Flüchtlingselend in der Nachkriegszeit – damals dienten die Bunker lange Jahre als Notquartiere – ist mit ihnen verbunden. Einige Luftschutzbauten in Hagen wurden zwischen 1960 und 1985 zu Atombunkern umgebaut. Daher spiegelt sich auch der ‚Kalte Krieg‘ und der lange Ost-West-Konflikt in diesen Gebäuden wider.“
Horst Hassel und Horst Klötzer beschäftigen sich seit einem Jahr im Auftrag der Stadt mit Bunkern und Stollen. Die Pensionäre sind ehrenamtlich tätig, sprechen mit Zeitzeugen, dokumentieren ihre Erinnerungen und sichten Fotos und Tagebücher. Sie sind mittlerweile wahre Experten, wenn es um Luftschutzbauten geht.
Über 140 solcher Anlagen haben sie bereits in Hagen aufgenommen, vermessen und registriert. Die unterschiedliche Form von Bunkern erstaunt sie immer wieder. „Zwar gab es Standardtypen, vor allem bei Hoch- und Industriebunker, ansonsten wurden auch Fertigteile und in eigener Regie gebaute Elemente verbaut, vor allem von Privatleuten“.
Zeitzeugen gesucht
Das Stadtarchiv und die Untere Denkmalbehörde suchen nun Zeitzeugen, die ihre Erlebnisse in Bunkern und Stollen erzählen können. Gesucht werden aber auch Fotos, Tagebücher, Briefe und Aufzeichnungen, die sich mit den Luftangriffen und den Ereignissen im Zweiten Weltkrieg in Hagen beschäftigen.
Wer solche Unterlagen hat, muss sich keine Sorgen machen. Fotos, Tagebücher und Aufzeichnungen werden lediglich gescannt und dann wieder zurückgegeben. Mit Zeitzeugen werden persönliche Gespräche geführt. Auf die Geschichten, die hinter den Fotos, Aufzeichnungen und Erinnerungen stecken, sind sicherlich auch die Leser dieser Zeitung gespannt.
Wer sich mit seinen Erinnerungen und Erinnerungsstücken an dem Projekt beteiligen möchte, sollte sich mit Andreas Korthals vom Stadtarchiv unter 207 33 39 in Verbindung setzen.