Rüthen/Münster. . Ein Hobbyforscher entdeckt in einem Steinbruch in Rüthen zufällig einen Knochen, der 90 Millionen Jahre alt sein könnte. Experten vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe prüfen das seltene Fossil jetzt in Münster. Stammt der Knochen von einem Schwimmsaurier?
Um etwas sehen zu können, muss man etwas wissen. Immer. So funktioniert unser Hirn. Manchmal aber muss man besonders viel wissen. „Mir wäre nichts aufgefallen“, sagt Martin Kirsch. Und der kennt sich als Bildhauer und Steinmetz und Steinbruchbesitzer eigentlich ziemlich gut aus mit Steinen. Insofern ist der Reporter fast entschuldigt. Denn der sieht in dem Kalkstein, den Kirsch auf einer Arbeitsfläche in seinem Rüthener Grünsandsteinwerk zeigt, nichts Genaues, höchstens eine etwas hellere, unregelmäßige Maserung. Doch in dem Stein ist ein Saurierknochen eingeschlossen.
Oder sagen wir besser: obwohl er das vermutet. Denn die Fachleute vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) sind noch vorsichtig und sprechen nur von einem „bisher unbestimmten Wirbeltier-Fossil“. Aber der Hobby-Paläontologe Ulrich Kaplan aus Gütersloh, der sich seit 35 Jahren mit der Materie beschäftigt, hat einen konkreteren Verdacht: „Es wird wohl der Knochen eines vor fast 100 Millionen Jahren gestorbenen Schwimmsauriers sein.“
Kaplans Wort hat schon deshalb Gewicht, weil er es war, der die 60 Zentimeter lange, leicht gebogene Unregelmäßigkeit im Rüthener Steinbruch entdeckte und die zelluläre Struktur eines Knochens erkannte. Zufällig. „Ich beschäftige mich auch mit westfälischen Natursteinbauten“, erklärt der 61-jährige Lehrer. „Und an dem Tag wollte ich eigentlich nur Gesteinsschichten vermessen.“ Und warum glaubt er, dass der Knochen Teil eines Schwimmsauriers ist? „Das ist eine Frage der Wahrscheinlichkeit: Vor 66 bis 95 Millionen Jahren, in der Oberkreidezeit, lebten im Meer, das damals Westfalen bedeckte, viele Schwimmsaurier.“
Eine Vielzahl von Fossilien in der Region?
Demnach müsste es in der Region eigentlich auch eine Vielzahl von Fossilien dieser Art geben und der Fund wäre alles andere als spektakulär. Würde man annehmen. Doch in Wahrheit sind solche Funde in Westfalen extrem selten. Auch Martin Kirsch hat zwar schon Hai-Zähne gefunden oder versteinertes Schwemmholz, aber noch nie einen Saurierknochen. Merkwürdig? Ulrich Kaplan kann das erklären: „Wir hatten hier ein sauerstoffreiches Meer mit vielen Schwämmen, Muscheln, Fischen und Seeigeln. Außerdem war es mit 25 bis 28 Grad deutlich wärmer als heute. Wenn ein Saurier starb, verweste und verfiel der Kadaver deshalb schnell.“
Die gleichzeitig mit den Dinosauriern ausgestorbenen Meeresreptilien hatten einen länglichen Körper, einen langgestreckten Hals, vier paddelförmige Flossen und wurden fünf bis sechs Meter lang. Aber über die Größe des Tieres, von dem der Knochen stammt will Kaplan, der seit mehreren Jahren ehrenamtlich für das Münsteraner Museum des LWL in der paläontologischen Denkmalpflege arbeitet, nicht spekulieren. Das sollen jetzt die Spezialisten in Münster herausfinden.
Aber dazu müssen die Kaplans Fund erst einmal in die Fingerbekommen. Gestern war es so weit. In den vergangenen Wochen, während derer der Fund geheim gehalten wurde, um keine Scharen an Neugierigen anzuziehen, hat Martin Kirsch die Fossilie in eine transportfähige Form gebracht: Mit einem Steinspaltgerät, bei dem ein Keil bei 600 Bar mit Öldruck in die Wand getrieben wird, löst der Rüthener einen Block, den er dann mit einem 40-Tonnen-Luftkissen nach vorne herauszieht. Das ist seine Standardmethode: „Wenn ich sprenge, kann ich nichts mehr verkaufen.“ In diesem Fall musste er aber den 1,2 Tonnen schweren Steinblock noch vorsichtig zerkleinern, bis ein etwa 30 Kilo schwerer Stein übrig blieb, der nun mit einem normalen Pkw transportiert werden kann.
Beim LWL ist man ihm für seine Kooperation sehr dankbar. Und er ist froh, dass sein Steinbruch nicht von Wissenschaftlern und Neugierigen belagert wird. Der letzte Großfund hier war vor seiner Zeit: „Vor knapp 90 Jahren wurde hier ein Mammutknochen entdeckt.“
Die Untersuchung in Münster dürfte mehrere Monate dauern. Ulrich Kaplan wird die Ergebnisse genau verfolgen: „Ich bin gespannt, was diese Knochen aus einer verlorenen Welt in Zukunft noch alles erzählen werden.“