Hagen. „Simply the best“ lautet der Titel der neuen Rockshow im Theater Hagen. Bei der emotionalen Premiere ist vieles anders als sonst.
Normalerweise ist das ja so: Der Reporter besucht eine Veranstaltung. Er hat einen Block dabei. Er hört zu, er schaut hin, er macht sich mit seinem Stift Notizen. Spätestens bei Song Nummer elf ist es an der Zeit, das bewährte Konzept über den Haufen zu werfen. Mehr Heimspiel, mehr Emotion geht nicht: Vanessa Henning aus Hagen singt auf der Bühne des Stadttheaters Hagen den ersten großen Hit von Nena aus Hagen: „Nur geträumt“.
Und weil der Saal steht, die Zuschauer, die sonst im Großen Haus bei Premieren eher bedächtig auf ihren Stühlen verharren, nun tanzen, klatschen, singen und feiern, sieht er nichts mehr, der Reporter in seinem Theaterstuhl in Reihe vier. Aufstehen, mitfeiern, Block und Stift zur Seite legen, weil die nur beim Klatschen stören. Vieles ist anders.
Anders als jedes Rock-Konzert
„Simply the best“ heißt diese Rock-Pop-Punk-Theater-Party made in Hagen, die unter der musikalischen Leitung von Andres Reukauf und der Regie von Holger Porocki entstanden ist. Eine Party, in der so vieles anders und die so viel mehr ist, als jedes sehr gute Rock-Konzert auf einer Bühne. Es ist eine große Show, bei der Sänger, Musiker, Tänzer, Lichttechniker und Bühnenbildner Bilder entstehen lassen, die sich lange in den Köpfen festsetzen sollen.
Immer wieder im Fokus: die Sänger. Vanessa Henning, dieses Energiebündel, und Patrick Sühl (u.a. mit dem Tina-Turner-Hit, der der Show ihren Namen gibt), die von der Stunde null an schon bei der ersten Auflage dieses so wunderbaren Formats (auf „Take A Walk On The Wild Side“ folgten „Wenn die Nacht am tiefsten… “ und „Heroes“) auf der Bühne standen. Dazu Siiri Schlichting, eine junge Frau aus Werdohl, die bei einem Wettbewerb im Werkhof in Hohenlimburg erste Kontakte zum Theater knüpfte und nun mit ihrer unbekümmerten Art und ihrer besonderen Stimme der Party diese gewisse Frische verleiht.
Auch Senioren feiern die Party
Normalerweise ist das ja so: Die Premieren-Zuschauer - der Hinweis sei erlaubt: viele ältere Semester darunter - kommen voll freudiger Erwartung, genießen still die Darbietung, spenden gelegentlich mal einen dezenten Zwischenapplaus und verabschieden das Ensemble nach meist rund zweieinhalb Stunden mit ausgeweitetem Klatschen im Stehen.
Vieles ist anders, als sich der ältere Herr mühevoll aus seinem Sitz drückt. Ein Mann in seinen Bewegungen so eingeschränkt, dass der Gang zum Getränkestand und zurück zu einem pausefüllenden Programm werden wird. Er nimmt die Hände über den Kopf, klatscht und signalisiert seiner nicht wesentlich jüngeren Begleitung, es ihm gleichzutun.
Auch weniger bekannte Songs
Das Paar befindet sich in einer Zeitreisekapsel. Es steht immer wieder, solange es die Füße tragen. Legt dann eine kurze Pause ein, um sich beim nächsten Lied gleich wieder aus den Sesseln zu erheben.
Bei allen Emotionen, die auch einen Reporter, der viele der Hits, die auf der Bühne präsentiert werden, aus seinen Jugend-Tagen kennt, überkommen: Was nun folgt, ist der kurze Blick auf die paar Notizen im Block, aus denen der Versuch einer Objektivierung erfolgen soll: „Simply the best“ heißt die Show, was danach klingt, als würden die Top-20-Charts der 80er, 90er und 2000er Jahre präsentiert. Dem ist nicht so, wobei es ja eine Geschmacksfrage bleibt, welches wirklich die besten Hits waren. Im Theater werden immer wieder Songs eingestreut, die zwar bewegen, die aber zumindest einige im Publikum an diesem Abend zum ersten Mal hören.
Band wirkt entrückt
Die Band (neben Reukauf, Arjuna De Souza, Andreas Laux, Rudolf Behrend und Volker Reichling) wirkt ein wenig entrückt. Ganz hinten auf der Bühne thront sie in rund vier Metern Höhe gelegtenlich im Dunkeln auf einem Podest über einem schrillen Kinderzimmer mit Schmetterlingstapete, an dessen Wänden Poster aus der Bravo, der Pop-Rocky oder der Wendy aufgehängt sind. Das gibt zwar den Inszenierungen von Tänzern und Sängern vorne mehr Raum, sorgt aber dafür, dass fünf großartige Instrumentalisten zwar hörbar, aber oft nur schwer sichtbar sind. Immerhin werden sie als eine Art Ausgleich gelegentlich auf meterhohe Leinwände projiziert und verlassen für ausgewählte Soli ihren Balkon.
Normalerweise ist das ja so: Am Ende der Vorstellung erhebt sich das Publikum, applaudiert frenetisch, die Künstler verbeugen sich, der Vorhang fällt, das Licht im Saal wird wieder angeknipst. Vieles aber ist an diesem Abend anders. Auch das Ende. Da unternehmen die Protagonisten auf der Bühne den Versuch eines ersten Abschieds in dem Wissen, dass das nicht gelingen kann.
Es stehen ohnehin alle
Niemand muss sich erheben, es stehen ja ohnehin alle. Es geht weiter, immer weiter. „Shake it off“ von Taylor Swift, „Song 2“ von Blur, „D‘yer Makèr“ von Led Zeppelin und „Up where we belong“ von Jennifer Warnes und Joe Cocker.
Kissen fliegen durch den Saal, von der Bühne ins Publikum und wieder zurück. Wieder und wieder. Konfetti und Luftschlangen fallen von der Decke. Menschen johlen, jubeln, pfeifen. Niemand will, dass das hier endet.
Bilder vor Augen, Musik in den Ohren
Muss es aber. Und so fällt er doch, der Vorhang, der eine schwarze Wand ist. Die Zuschauer klatschen weiter, bis jemand das Licht anknipst. Der Reporter nimmt seinen Stift und seinen fast leeren Block, in den er nicht einmal schauen wird, während diese Zeilen entstehen. Er geht und hat Bilder vor Augen und Musik in den Ohren.
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