Hagen. Musikalisch hervorragend, aber szenisch diskutabel: Warum Schostakowitschs Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ am Theater Hagen so bewegt.

Auf beachtlichem Niveau stemmt das Theater Hagen mit Dmitri Schostakowitschs Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ einen besonders herausfordernden Kraftakt. Das Premieren-Publikum im gut gefüllten Haus feierte das musikalische Team mit überschwänglicher Begeisterung, während Hausherr und Regisseur Francis Hüsers einige Buh-Rufe einstecken musste.

Szenische Ungereimtheiten verblassen indes angesichts der musikalischen Qualität, mit der das Hagener Theater ein derart komplexes und aufwändig zu besetzendes Werk präsentieren kann. Francis Hüsers hat sich zu Schostakowitschs 1934 in Leningrad uraufgeführtem, einstigem „Skandalstück“ etliche Gedanken gemacht, möglicherweise zu viele angesichts der ohnehin schon vielschichtigen Anlage und verworrenen Rezeptionsgeschichte des Stücks. 1934 noch mit großem Erfolg aus der Taufe gehoben, traf Schostakowitschs „Dickicht des musikalischen Chaos“ nur zwei Jahre später der Bannstrahl Stalins.

Ausbruch aus dem Ehe-Gefängnis

Die einerseits realistisch harten Gewalt-, Vergewaltigungs- und Mordszenen, andererseits die skurril ironisierten Seitenhiebe gegen beschränkte Polizisten und trinkfreudige Popen widersprachen dem verordneten Optimismus des „sozialistischen Realismus“. Ganz zu schweigen von der moralischen Einordnung der Titelheldin, die als Frau und Gattin aus ihrem von patriarchalischer Unterdrückung und zermürbender Langeweile geprägten Ehe-Gefängnis ausbrechen will, in der verbotenen Liebe zum Knecht Sergej zur Doppelmörderin wird und in einem sibirischen Straflager endet. Die Grenzen zwischen Opfer und Täter, Verständnis und Abscheu verwischen sich.

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Francis Hüsers und Bühnenbildner Mathis Neidhardt siedeln die Handlung auf der munter rotierenden Drehbühne in drei Welten an: Katerinas elendes Dasein als Ehefrau in einem stalinistischen Varieté-Theater, ihr kurzes Glück mit Sergej in einer bürgerlichen Wohnstube und das Ende auf einer Art Müllhalde. Die Zersplitterung verwirrt nicht nur, sie nimmt dem Stück eine gehörige Dosis an Schärfe. Die demütigenden Erfahrungen Katerinas im Zirkus-Ambiente, mehr noch das Straflager als Ort umherirrender Müllwerker, das alles wird der pointierten Drastik des Werks nicht gerecht. Besser trifft Hüsers die ironischen Pfeilspitzen, etwa im zur Travestie-Show virtuos aufgeschäumten Auftritt der Polizisten.

Eine bewegende Premiere am Theater Hagen von  Dmitri Schostakowitschs Oper „Lady Macbeth von Mzensk“. Im Bild zu sehen sind:  Viktorija Kaminskaite (Katerina Ismailowa), Roman Payer (Sergej) und Anton Kuzenok (Sinowi).
Eine bewegende Premiere am Theater Hagen von Dmitri Schostakowitschs Oper „Lady Macbeth von Mzensk“. Im Bild zu sehen sind: Viktorija Kaminskaite (Katerina Ismailowa), Roman Payer (Sergej) und Anton Kuzenok (Sinowi). © Theater Hagen | Jörg Landsberg

Seine handwerklichen Fähigkeiten spielt Hüsers am Überzeugendsten in der Personenführung aus, so dass die Charaktere der Figuren und die verwickelten Beziehungsgeflechte profiliert zum Ausdruck kommen.

Vorbildliche Ensemblepflege am Theater Hagen

Dass etwa der unerbittlich autoritäre Patron Boris Ismailow im Kostüm eines Zirkusdirektors nicht zur Karikatur gerät, ist vor allem der beeindruckenden Präsenz von Insu Hwang zu verdanken, der mit seinem substanzreichen Bass am Ende auch noch als empathischer Lagerinsasse überzeugt. Dass die mehr als 20 Solo-Partien fast ausnahmslos aus den eigenen Reihen besetzt werden können, spricht für die vorbildliche Ensemblepflege des Hauses. Dagegen spricht auch nicht die selbst an größeren Häusern übliche Praxis, für die beiden größten Partien auf Gäste zurückzugreifen. Die mörderischen Ansprüche der pausenlos zwischen Ekstase und Depression, Verzweiflung und Glück, Auflehnung und Zusammenbruch changierenden Titelpartie der Katerina Ismailowa bewältigt Viktorija Kaminskaite stimmlich und darstellerisch vorbildlich. Der psychologisch etwas einfacher gestrickten Figur des Sergej verleiht Roman Payer die nötige tenorale Strahlkraft. Ein Sonderlob verdient der aufgestockte Chor des Theaters.

Steigerung zu bombastischen Höhepunkten

Was die Inszenierung an Härte vermissen lässt, gleicht Generalmusikdirektor Joseph Trafton mit dem hoch motivierten Philharmonischen Orchester aus. Weiträumige Entwicklungen steigert er zu bombastischen Höhepunkten, die ironischen Facetten der Partitur tönen umso greller und die schroffen Stimmungswechsel fängt er souverän auf. Und das alles mit beachtlicher Rücksicht auf die Sänger.

Insgesamt eine musikalisch hervorragende, szenisch diskutable Produktion einer der spannendsten Opern des frühen 20. Jahrhunderts.

Dauer: ca. 3 Std. 10 Min. eine Pause. Die nächsten Aufführungen im Hagener Theater: am 26. Mai sowie am 12., 23. und 28. Juni (www.theaterhagen.de).