Bönen. . KiK-Chef Patrick Zahn spricht im Interview über die Verantwortung des Textil-Discounters für die Arbeitsbedingungen in Billiglohnländern.

Der Textildiscounter KiK mit Sitz in Bönen wird von einem Opfer und drei Hinterbliebenen eines Fabrikbrandes in Pakistan im Jahr 2012 auf Schmerzensgeld verklagt.

Auf die Verhandlung am kommenden Donnerstag, 29. November, schauen branchenübergreifend Unternehmen und nicht zuletzt auch Hilfsorganisationen, die sich seit Jahren für die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen in Billiglohnländern kümmern.

Patrick Zahn, CEO von KiK, einem Textil Discounter, gibt am Mittwoch, 26.09.2018 in Bönen ein Interview. Foto: Ingo Otto / FUNKE Foto Services
Patrick Zahn, CEO von KiK, einem Textil Discounter, gibt am Mittwoch, 26.09.2018 in Bönen ein Interview. Foto: Ingo Otto / FUNKE Foto Services © Ingo Otto

Die WESTFALENPOST sprach im Vorfeld des Termins am Dortmunder Landgericht mit Patrick Zahn, Vorsitzender der Geschäftsführung.

Herr Zahn, KiK wird im kommenden Jahr 25. Wo steht das Unternehmen?

Patrick Zahn: Wir sind klar positioniert als Discounter. Wir haben bei der Qualität extrem aufgeholt. Für das Thema Preis stehen wir so oder so. Wir sind mittlerweile in elf europäischen Ländern vertreten, haben jüngst (September/Red.) in Rumänien eröffnet. Von daher stehen wir gut da.

Sie sagen, KiK hat bei der Qualität aufgeholt. Wie schaffen Sie das?

Wir haben heute viele Techniker, ein besseres Qualitätsmanagement, wir kontrollieren viel stärker als früher. Neben dem Thema Unternehmerische Sozialverantwortung (CSR) beispielsweise Reißfestigkeit und Formbeständigkeit.

Wie schaffen Sie das mit den Preisen?

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01. August 2016, Hagen. WP Redakteur Jens Helmecke, Leiter Wirtschaft / Freisteller, Komm2012, Kommentarbild, Kultur, Kunst, Unterhaltung, Massenmedien, Zeitung, Portrait, Wirtschaft, Finanzen, Medien, Verlage WP-Foto: Michael Kleinrensing
Von Jens Helmecke

Wir haben extrem schlanke Prozesse und Kostenstrukturen. Wir sind beispielsweise kaum in A-Lagen vertreten. Dazu haben wir relativ lange Vorlaufzeiten bei den Bestellrhythmen. Das ist für die Produzenten und uns von Vorteil. Die Einkaufspreise sind bei den meisten Textilanbietern gleich. Markenartikler haben oft eine höhere Kostenstruktur.

Das heißt, ein Luxuslabel zahlt beim Einkauf nicht mehr als KiK?

Nein. Natürlich gibt es bei Textilien Grammzahlen oder Applikationen, die mehr kosten. Aber rein von den Produktionskosten, nein. Da wir sehr große Stückmengen abnehmen, bekommen wir außerdem Einkaufsvorteile.

Woher bekommt KiK seine Waren?

Im Non-Food-Bereich, also Tassen etc., ist es China. Im Textilbereich ist es Bangladesch, wie fast für alle europäischen Anbieter und mit Abstrichen Pakistan.

Sie sind 2012 in Pakistan und 2013 in Bangladesch sehr in den Fokus geraten. Kann die Branche an diesen Ländern in der Produktion nicht vorbei?

Wir sind sogar angehalten, dort zu produzieren. Jedenfalls gibt es durch Zoll-Vereinbarungen der Europäischen Union einen großen Anreiz, dort produzieren zu lassen. Ich glaube auch, es wäre falsch, dort rauszugehen. Alleine von den KiK-Aufträgen leben in Bangladesch 60.000 Menschen. Wir müssen gemeinsam in der Branche Lösungen finden, wie wir die Produktionsbedingungen verbessern. Da sind wir auch dran. Nach dem Unglück (2013/Rana Plaza in Bangladesch) ist ja der Accord (siehe Box) gegründet worden. Wir sind jetzt als eines der ersten Unternehmen dem Accord 2.0 beigetreten. Ich glaube, das sind die richtigen Schritte. Ich mahne bloß auf der anderen Seite, diese Länder nicht zu überfordern.

Über 250 Menschen starben bei dem Brand in der Textilfabrik im Jahr 2012 in Karatschi, zahlreiche wurden verletzt. Ein Opfer und drei Hinterbliebene klagen gegen den Hauptkunden KiK auf Zahlung von Schmerzensgeld.
Über 250 Menschen starben bei dem Brand in der Textilfabrik im Jahr 2012 in Karatschi, zahlreiche wurden verletzt. Ein Opfer und drei Hinterbliebene klagen gegen den Hauptkunden KiK auf Zahlung von Schmerzensgeld. © dpa/Rehan Khan

Inwiefern?

Die triviale Rechnung, ich zahle einen Cent mehr pro T-Shirt und alle Probleme in dem Land sind gelöst, stimmt nicht ganz. Es gibt in den Ländern eine extreme Verflechtung von Politik und Industrie. Viele Unternehmer sitzen in der Politik. Das heißt, die Löhne kommen zwar an, aber dann werden die Lebenshaltungskosten wie Mieten erhöht. Es ist also nicht so, dass man sagt, ich mache ein bisschen mehr und alles ist gelöst.

Das heißt, die Strukturen in diesen Ländern lassen eine faire Bezahlung aus Ihrer Sicht nicht zu?

Doch, sie lassen eine faire Bezahlung zu. Nehmen Sie allein die letzte Mindestlohnerhöhung von 5300 (63 US-Dollar/Red.) auf 8000 Taka (95 US-Dollar). Relativ gesehen ist das eine starke Erhöhung. Ich glaube nur, die gesamte Verantwortung auf die Händler abzuwälzen ist ein Fehler. Es ist ein gemeinschaftliches Projekt von Politik und Gesellschaft. Wir müssen auch den Staat stärker in die Verantwortung nehmen.

Können Sie als Unternehmen den Staat Bangladesch überhaupt in die Verantwortung nehmen?

Wir allein können es nicht. Wir sind für 0,7 Prozent der Textilausfuhren in Bangladesch verantwortlich. Ob wir da produzieren oder nicht, interessiert Bangladesch am Rande. Also wird es nur in einer Branchenlösung gehen. Dafür ist der Accord oder auch das deutsche Textilbündnis da. Da sind große Fortschritte gemacht worden. Es ist seitdem kein größeres Unglück mehr passiert.

Worum es geht

Am 11. September 2012 brannte die Textilfabrik Ali Enterprises in Karatschi (Pakistan) ab. Über 250 Menschen kamen zu Tode. Die Behörden gehen mittlerweile von Brandstiftung aus, ein entsprechendes Verfahren läuft.

Hauptkunde der Fabrik war damals KiK. Deswegen ziehen vier der Überlebenden und Angehörigen in Deutschland vor Gericht.

Nach den Bränden in Karatschi und dem Fabrikeinsturz am 24. April 2013 in Bangladesch (nahe Dahka) bei dem mehr als 1.130 Menschen starben, erhöhte sich der Druck auf die Branche und deren Verantwortlichkeit für die Arbeits- und Sicherheitsbedingungen in den Fabriken in Asien.

KiK hat für die Opfer und Hinterbliebenen von Karatschi insgesamt 6,15 Millionen US-Dollar zur Verfügung gestellt. Die Verteilung erfolgt mit Hilfe der Internationale Arbeitsorganisation (ILO). Die ILO ist eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen und zuständig für die Durchsetzung internationaler Arbeits- und Sozialstandards. KiK ist dem Accord beigetreten, einem Bündnis zur Verbesserung der Produktionsbedingungen in Ländern wie Bangladesch. 2014 wurde unter Federführung der Bundesregierung das Bündnis für nachhaltige Textilien gegründet, dem über 150 Unternehmen, Verbände und Gewerkschaften beigetreten sind. Ziel: Verbesserung der Produktionsbedingungen entlang der gesamten Lieferkette.

KiK ist die Abkürzung für „Kunde ist König“. Das Unternehmen, das zur Tengelmann-Gruppe gehört, eröffnete 1994 in Düsseldorf die erste Filiale. Mit einem Umsatz von rund zwei Milliarden Euro ist KiK heute fünftgrößter deutscher Textilhändler mit mehr als 3400 Filialen in Europa und 22.000 Beschäftigten.

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  • Kann KiK die Produktionsstätten kontrollieren?

    Ja, machen wir auch. Allerdings ist es immer eine Momentaufnahme. Und wichtig ist, wir sind immer nur Auftraggeber, uns gehören die Fabriken nicht! Das heißt, wir sind immer noch auf den Produzenten angewiesen.

    Hat sich wirklich irgendetwas verändert nach den Ereignissen und durch die Bündnisse?

    Durch Accord einhundertprozentig. Die Gebäudesicherheit ist deutlich gestiegen. Die Arbeitsbedingungen sind deutlich verbessert worden. Beim Textilbündnis sind wir noch in den Anfängen.

    Sie sind ja eben nicht die einzigen, die dort in den Fabriken fertigen lassen, aber die einzigen, die so stark negativ im Fokus stehen. Wie erklären Sie sich das?

    Es sind zwei Dinge. Wir sind in unserem Segment der Größte. Und der Größte zieht die größte Aufmerksamkeit auf sich. Es kommt dazu, dass sich viele fragen, wie wir so gute Anziehsachen für so einen günstigen Preis herstellen. Außerdem haben wir in der Krisenzeit 2012/2013 mit Sicherheit auch den ein oder anderen kommunikativen Fehler gemacht.

    Was hätten Sie anders machen müssen?

    Ein ganz banaler Fehler. Wir haben zuerst kommuniziert, dass wir nicht in Rana Plaza produziert haben und mussten dies später korrigieren, nachdem wir erfahren hatten, dass der Auftrag unerlaubterweise von einem Subunternehmer in diese Fabrik gegeben wurde. Das hätte uns nicht passieren dürfen.

    Wieso stehen Luxuslabels denn nicht in der Kritik?

    Viele Menschen glauben fälschlicherweise, dass ein hoher Preis gute Bedingungen garantiert. Doch der Preis sagt darüber nichts aus. Ob teuer oder günstig – wir lassen oft in den gleichen Fabriken nähen. Vielleicht macht es aber nicht so viel Spaß, über ein Luxuslabel zu schreiben.

    Ärgert Sie das?

    Ich beklage mich nicht. Mich stören aber Kampagnen, die auf Effekthascherei zielen und nicht die Probleme angehen.

    Sie haben Geld in die Hand genommen für die Hinterbliebenen der Opfer in Pakistan.

    Unabhängig von der Schuldfrage war es uns immer ein wichtiges Anliegen, den Menschen vor Ort zu helfen. Deshalb haben wir insgesamt 6,15 Millionen US-Dollar gezahlt.

    Haben andere auch gezahlt und reicht die Summe aus?

    Andere haben nichts gezahlt. Die Summe ist ausreichend, sie liegt sogar über den Berechnungen der Clean Clothes Campaign.

    Dennoch wird KiK von einem Opfer und drei Hinterbliebenen nun auf Schmerzensgeld verklagt. Warum haben Sie sich nicht längst außergerichtlich geeinigt, um nicht wieder in den Fokus zu kommen?

    Direkt nach dem Unglück 2012 haben wir mit einer pakistanischen Gewerkschaft, die die 265 Opfer im Fall Ali Enterprises vertritt, Gespräche über finanzielle Hilfen aufgenommen. 2016 haben wir uns schließlich mit allen Hinterbliebenen auf die finanzielle Hilfe außergerichtlich geeinigt. Wir sind dabei erstmals den Weg über die ILO (Box) gegangen, damit auch eine gerechte Verteilung stattfindet. Darauf sind wir stolz. Das ist ein bisher einmaliger Vorgang, dass ein Textilunternehmen mit der ILO – mithilfe der Bundesregierung, die unseren Ansatz voll unterstützt hat – diesen Weg geht für eine gerechte Verteilung. Dies alles geschah unabhängig von der Klage, die erst 2015 und auch nur von 4 Hinterbliebenen eingereicht wurde. Sie zielt auf zusätzliches Schmerzensgeld. Doch die Zahlung von Schmerzensgeld setzt immer eine mutwillige Tat voraus. Wir haben den Brand aber nicht verursacht.

    Wäre es nicht trotzdem klüger gewesen, sich außergerichtlich zu einigen?

    Noch einmal: Das haben wir doch! Es gibt diese finanzielle Einigung, die für alle Familien, Hinterbliebenen und Verletzten umfangreiche finanzielle Hilfe bereitstellt. Daher geht es in Dortmund auch nur vordergründig um Schmerzensgeld. In der Hauptsache ist es Teil einer Kampagne, um eine Haftung von Unternehmen für ihre Zulieferer zu erreichen. Dafür taugt der Fall aber überhaupt nicht, denn es geht bei Ali Enterprises um einen Brandanschlag. Neun Leute sind in Pakistan angeklagt, zwei sitzen in Haft. Nicht einmal mehr der Produzent ist Angeklagter, sondern Zeuge. Wir sollten uns davor hüten, die Zeche für Kriminelle in diesen Ländern hier zu zahlen. Egal, wie hoch die mediale Empörung ist. Das sollte die deutsche Wirtschaft nicht tun.

    KiK wird jetzt vorgeworfen, auf Verjährung zu setzen.

    Das ist falsch! Im pakistanischen Recht setzt Verjährung zwingend nach 2 Jahren ein. Dieser Umstand muss vom Gericht geprüft werden. Dass die Kläger das nicht bedacht haben, als sie den Fall nach pakistanischem Recht verhandeln wollten, kann man uns doch nicht vorwerfen.

    Was erwarten Sie vom Dortmunder Landgericht?

    Wenn es im pakistanischen Recht bleibt, gibt es keinen Zweifel an der Verjährung. Unabhängig davon glauben wir, dass kein Anspruch auf Schmerzensgeld vorliegt. Es geht am Ende nicht um gewinnen oder verlieren, sondern um die Frage, ob deutsche Unternehmen haftbar sind für die Auftragsvergabe im Ausland. Das würde jede Branche betreffen, deswegen schauen auch alle gespannt auf diesen Prozess.

    Wie können Kunden verantwortlichen einkaufen?

    Sie können bei uns einkaufen.

    Woran erkennt der Kunde, dass er verantwortlich einkauft?

    Der Kunde kann es momentan nicht sehen. Es gibt die Initiative, den Grünen Knopf ins Leben zu rufen. Da gibt es noch ein paar offene Fragen, aber wir sind dafür. Ich kann ihnen versichern, wenn er bei uns kauft, kann er mit einem sauberen Gewissen einkaufen.

    Können Sie ausschließen, dass sich Ereignisse wie 2012 und 2013 wiederholen?

    Wir setzen alles daran – und ich bin guten Mutes –, dass es in den Fabriken, in denen wir produzieren lassen, nicht mehr passieren wird. Nur eins wird keiner ausschließen können: Wo Menschen arbeiten, können auch Unglücke passieren. Ich kann nur sagen, dass wir alles daran setzen, dass dies nicht mehr passiert.