Olaf Knoth ist aufgrund eines Gen-Defekts kleinwüchsig. Der Attendorner berichtet, wie er lernen musste, sein Spiegelbild nicht mehr zu hassen.
Olaf Knoth (52) aus Attendorn ist kleinwüchsig. Mit 1,38 Meter Körpergröße zieht er die Blicke auf sich. Dafür hat er sogar Verständnis. Aber da endet es auch. Er berichtet aus seinem Alltag:
„Wie es sich als Kleinwüchsiger lebt? Wie man damit umgeht? Was soll ich sagen: Man wächst da rein! Sie haben das Wortspiel sicher bemerkt. Im Grunde ist das schon das Geheimnis: Ich habe mir angewöhnt, in die Offensive zu gehen, den ersten Witz oder den ersten Spruch einfach selbst zu machen, wenn die Situation danach ist. Das hat zwei Vorteile: Es entkrampft manche Situation – und es nimmt anderen direkt den Wind aus den Segeln. Was ich gesagt habe, kann kein anderer mehr sagen. Diese offene Art, dieses Selbstbewusstsein musste ich aber erst mühsam lernen.
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Die Pubertät war ein wahres Fiasko. In einer Zeit, in der man als junger Mensch auf der Suche nach sich selbst ist, in der Körperlichkeit wichtiger wird, konnte ich mich mit mir und meinem Körper nicht anfreunden. Im Gegenteil. Damals war ich noch sehr verschlossen, ich ertrug mein eigenes Spiegelbild nicht, ich hasste es, weil es mich mit der Realität konfrontierte. Wenn ich mich auf Fotos sah, habe ich ganz schnell umgeblättert oder sie weggesteckt.
Natürlich interessierte mich die Frauenwelt. Aber ich hatte auf diesem Markt einfach keine Chancen. Ich war, wenn es gut lief, der beste Kumpel. Einige Male war ich unglücklich verliebt. Wenn ich den Schritt wagte zu sagen, dass ich mehr empfand, dann bekam ich einen Korb. Nicht auf die plumpe Art, sondern einfühlsam. Es hinge nicht mit meiner Größe zusammen. Aber natürlich spielte das auch eine Rolle, das musste nicht gesagt werden. Dieser Schritt wurde für mich immer schwieriger, weil ich nicht verletzt werden wollte und weil ich entstandene Freundschaften nicht belasten wollte. Irgendwann habe ich es ganz gelassen.
„In der Grundschule fiel mir auf, dass ich anders bin als die anderen“
Ein Gen-Defekt hat dazu geführt, dass ich kleinwüchsig bin. Die Ärzte teilten es meinen Eltern bei der zweiten oder dritten Untersuchung mit. Mir fiel das erst in der Grundschule auf, als ich merkte, dass ich anders bin, anders aussehe als meine Mitschüler. Eine Zeit lang, das haben mir meine Eltern erzählt, habe ich es mir auch bequem gemacht in der Kleinwüchsigkeit: Hilfe bekam ich immer genug. Ich hatte immer einen großen Freundeskreis, gehöre da bis heute immer dazu. Das und der Rückhalt meiner Familie haben mir immer sehr geholfen.
Aber es war auch in der Pubertät, als ich merkte, dass ich mich nicht verschließen muss, dass ich offensiv mit meinem Körper umgehen muss. Ich kann es ja nicht ändern. Also war der beste Weg, mich so zu akzeptieren, wie ich bin. Offenbar kann das aber nicht jeder.
„Das Lachen trifft mich, mehr als ich bereit bin zuzugeben“
Am schlimmsten sind die Namen, die man uns Kleinwüchsigen manchmal gibt: Liliputaner, Abgebrochener oder Zwerg zum Beispiel. Furchtbar. Jede Woche passiert es eigentlich, dass ich merke, wie sich andere Menschen über mich lustig machen: Wenn ich über den Markt gehe, durch die Stadt, an einer Kneipe vorbei. Jugendliche in größeren Gruppen sind es oft, die sich gegenseitig mit Gemeinheiten überbieten wollen. Die rufen dann etwas hinter mir her oder lachen unverhohlen. Das Muster ist erkennbar und ich weiß, dass man als Jugendlicher nicht nur Dinge tut, die schlau und wohlüberlegt sind. Aber ich würde mir schon wünschen, dass sie sich klar machen: Ich bin auch ein Mensch. Das Lachen trifft mich, mehr als ich jetzt bereit bin zuzugeben. Ich habe ein dickes Fell mittlerweile. Manches höre oder sehe ich schon gar nicht mehr. Ich stelle auch niemanden mehr zur Rede, die Kraft spare ich mir lieber und gehe meinen Weg weiter.
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Klar schauen die Leute, das ist doch verständlich, das kann ich niemandem verübeln, vielleicht würde ich es sogar selber tun. Wann sieht man schonmal einen erwachsenen Mann, der 1,38 Meter groß ist? Aber ich würde mir wünschen, dass nicht getuschelt wird oder dass Eltern nicht ihre kleinen Kinder von mir wegziehen, wenn sie sich mir aus Interesse nähern und mich was fragen. Warum nicht ins Gespräch kommen? Warum nicht fragen, wenn es Fragen gibt? Dann wüssten sie, dass ich es furchtbar finde, wenn man mich anders behandelt. Ich möchte zum Beispiel nicht, dass man sich zu mir herunterbeugt, um Augenhöhe herzustellen. Es mag in bester Absicht geschehen, aber ich fühle mich dann verniedlicht.
„Ich führe ein Leben, an das ich fast nicht mehr geglaubt habe“
Die Suche nach einer Frau habe ich irgendwann eingestellt. Es waren zu viele Körbe. Ich dachte, wenn es irgendwann passieren soll, dann passiert es eben. Vor zehn Jahren war es soweit, wie eine glückliche Fügung. Ein Freund von mir hatte eine neue Freundin, die wiederum eine Freundin hatte. So fing das alles an, vor zehn Jahren haben wir geheiratet. Heute lebe ich ein Leben, an das ich fast nicht mehr geglaubt hätte. Ich habe die Menschen um mich herum, die mir wichtig sind. Manchmal brauche ich im Supermarkt Hilfe, manchmal ist mir der Barhocker in der Kneipe zu hoch. Ich fotografiere gern, gelegentlich sogar mich selbst. So ändern sich die Dinge.
Die Wahrscheinlichkeit, die Kleinwüchsigkeit zu vererben, liegt bei mir bei 50 Prozent. Wenn er oder sie das gleiche Selbstvertrauen hätte wie ich, dann wäre das kein Problem. Aber das weiß man eben nicht. Es ist schade, dass das eine so große Rolle spielt. Eigentlich ist es ja nur eine Zahl in Zentimetern. Was ist das schon? Wichtig ist doch die Größe im Kopf und im Herzen. Egal, ob einer dick, dünn, groß oder klein ist.
(aufgezeichnet von Daniel Berg)
<<< SERIE „MEIN LEBEN“ >>>
Die Serie, die im vergangenen Jahr erschien und mit European Newspaper Award ausgezeichnet wurde, wird unregelmäßig fortgeführt.
Sie befasst sich mit Menschen, die einen anderen Weg einschlagen, die sich rechtfertigen müssen, für das, was sie sind, was sie sein wollen. Menschen, die klassischen gesellschaftlichen Erwartungen freiwillig nicht entsprechen oder in ein Leben hineingeboren wurden, das ihnen Vorurteile und Diskriminierungen beschert. Kernfrage der Serie: Wie offen und tolerant ist der Umgang miteinander?
Bisher erschienene Teile:
Mein Leben...
… als homosexuelle Frau: „Diesen Teil meines Lebens wird meine Mutter nie verstehen“
… als Autist: „Ich sehne mich nach einer Freundin“
… als Weltverbesserer: „Ich hatte schon immer Visionen“
… als junger Konservativer: Jung, Student - und Kritiker von Fridays for Future
… als schwarze Frau: Wenn man sich im eigenen Land fremd fühlt
… als Arbeiterkind an der Uni: „Junge, willst du nicht lieber eine Ausbildung machen?“
… als ältere Arbeitnehmerin: „Fiel durchs Raster, weil ich älter bin“
… als Frau, die keine Kinder will: „Fehlt dir denn nichts?“
… als Muslim: „Der Islam wird mit etwas Schlimmem verbunden“
… als Jude: „Ich will mich als Jude nicht verstecken“
… als faulster Deutscher: Keine Zeit - Wie ein Iserlohner seit Jahren ohne Arbeit lebt
… als HIV-Infizierter: Drohbriefe, Panik und Vorurteile