Ruth Schulz-Wiemann (63) verlor vor drei Jahren ihren Job und fühlte sich auf dem Arbeitsmarkt aussortiert – bis sie etwas änderte.

Als Ruth Schulz-Wiemann (63) aus Plettenberg vor drei Jahren einen Job suchte, stand ihr Alter ihr im Weg. Sie berichtet, wie sich doch noch alles fügte:

„Irgendwann hatte ich den Eindruck, dass ich aussortiert wurde, dass man mich schlichtweg nicht mehr wahrnahm. Die Absagen hörten sich alle gleich an, als gäbe es ein Programm, das die Textbausteine für alle Firmen zusammenstellt! Sie schrieben mir, dass es nichts mit meiner Person zu tun habe, dass jemand anderer einfach noch besser ins Profil passe als ich. Das kann natürlich immer sein. Mir ist klar, dass die Konkurrenz oft groß und sicher auch gut ist – vor allem aber jünger. Jünger als 60 sowieso.

„Das Gefühl, sich fürs Geburtsdatum entschuldigen zu müssen“

Nachdem ich es 20, 30, 40, 50 Mal gehört hatte, fragte ich mich: Wie können die alle eigentlich überzeugt sein, dass ich nicht ins Profil passe, wenn sie mich gar nicht kennen und mich auch nicht kennenlernen wollen? Die haben sich doch null mit mir befasst. Ich fiel durchs Raster, weil ich älter bin. Tatsächlich hatte ich das Gefühl, dass ich mich für mein Geburtsdatum entschuldigen muss.

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Das ärgerte mich, das verwunderte mich. Und ich zweifelte kurz: Warum tat ich mir das noch an? Sollten alle anderen recht haben? Meine kopfschüttelnden Bekannten? Die stirnrunzelnde Dame vom Rentenamt, von der ich mir „nur mal so“ eine Meinung einholte? War ich wirklich so naiv, zu glauben, ich hätte jetzt noch eine Chance? Machte ich mich gar lächerlich? Lustige Frage rückblickend, denn heute erlebe ich eine der Hochzeiten meines beruflichen Lebens. Ich bin mittendrin, kann mich einbringen, kann Erfahrungen weitergeben und jetzt in einem völlig neuen Umfeld selbst noch Spannendes erleben und dazulernen.

„Arbeiten war für mich nie eine Belastung, sondern eine Bereicherung“

Die Firma, für die ich zuvor sieben Jahre lang gearbeitet hatte, meldete vor drei Jahren Insolvenz an. Und tatsächlich war das die Frage, die mir Kollegen und Freunde immer wieder stellten. „Warum tust du dir das mit 60 noch an?“ Um ehrlich zu sein, habe ich die Frage nicht verstanden, denn sie impliziert, dass Arbeiten eine Belastung wäre, ein Joch, eine Qual, zumal in meinem Alter. Tatsächlich hatte ich den Eindruck, mich dafür rechtfertigen zu müssen, dass ich arbeiten wollte. Arbeiten war für mich jedoch nie eine Belastung, sondern vielmehr immer eine Bereicherung. Und – Gott sei Dank! – sagte mir auch mein Spiegel: Du bist noch keine Rentnerin! Ich war und bin voller Energie, blicke auf vierzig lebendige Jahre voller beruflicher Aktivität zurück. Angefangen bei Procter & Gamble im Bereich Organisationsentwicklung, habe ich als Fremdsprachenkorrespondentin, PR-Referentin und Marketingleiterin in verschiedenen renommierten Unternehmen gearbeitet. Fakt ist: Ich habe etwas zu bieten.

Aber so sah das niemand: Man sah in mir offenbar nur eine ältere Frau, von der man sich fragte, ob sie in Zeiten der zunehmenden Digitalisierung mithalten kann, ob sie nicht eher hinderlich als hilfreich und Veränderungen gegenüber aufgeschlossen genug ist, ob sie vielleicht mehr Krankentage sammelt und überhaupt weniger belastbar ist als jüngere Menschen.

„Schluss machen mit den Vorurteilen gegenüber älteren Arbeitnehmern“

Es war Zeit, Schluss zu machen mit sämtlichen Vorurteilen und Klischees gegenüber älteren Arbeitnehmern, gegenüber älteren Menschen überhaupt! Ich beschloss, die allgemein gültigen Regeln einer Bewerbung aufzuweichen und in die Offensive zu gehen. Erster Satz: „Ja, ich bin sechzig, aber das heißt nicht, dass ich automatisch zum Club der alten Schachteln zähle.“ Außerdem änderte ich mein Bewerbungsfoto: nicht im Kostüm, nicht adrett, nicht schwarz-weiß, sondern an der Seite meines Pferdes. Authentisch ich. Es funktionierte, ich erhielt Angebote.

„Authentisch ich“: Ruth Schulz-Wiemann (63) schien unsichtbar auf dem Arbeitsmarkt. Dann veränderte sie ihre Bewerbung u.a. mit diesem Bild.
„Authentisch ich“: Ruth Schulz-Wiemann (63) schien unsichtbar auf dem Arbeitsmarkt. Dann veränderte sie ihre Bewerbung u.a. mit diesem Bild. © WP | Privat

Für mich stand eines fest: Wenn ich jetzt nochmal etwas Neues anpacken würde, dann sollte dies das Highlight in meiner beruflichen Laufbahn sein. Ich wollte etwas Neues probieren und raus aus der Komfortzone! Ich bewarb mich bei einer anspruchsvollen Agentur mit Sitz in Attendorn, die sich mit ­Markenführung und Wettbewerbsvorsprung für Familienunternehmen beschäftigt. Initiativbewerbung. Freundliche Absage. Dann – kurze Zeit später – waren drei Stellen ­ausgeschrieben. Keine passte zu mir. Sie nahmen mich trotzdem. Nun arbeite ich als Assistenz der Geschäftsführung, gehöre zum Autoren-Team, begleite Projekte, bin Bloggerin.

Fachkräftemangel? „Die Älteren können die Lösung sein“

Hier kümmert sich niemand um Klischees, schert sich niemand um Altersgrenzen oder andere gesellschaftliche Kleinkariertheiten. Hier erlebe ich Inspiration, weil auch ungewöhnliche Taten und Charaktere zugelassen und gewünscht sind. Weil Jung und Alt zusammenwirken. Und Diversität normal ist. Zugegeben: In der ersten Woche kam ich mir vor wie auf der Enterprise. Hier war einfach alles anders. Unwohlsein beschlich mich. Allein diese Marketeer-Sprache! Auf was für einen Wahnsinn hatte ich mich da eingelassen?! Doch schon kurze Zeit später war klar, dass ich hier genau richtig war.

Viele Firmen klagen über den Fachkräftemangel. Sie suchen Personal – und übersehen dabei oft ein großartiges Potenzial: das Know-how und den Background der Älteren, von denen viele nach wie vor fit sind und gern ihr Wissen an Jüngere weitergeben würden. Unternehmen, die älteren Mitarbeitern eine Chance geben – und das muss einfach zur Selbstverständlichkeit ohne ständige Überbetonung werden – können nur profitieren. Und andersherum – so, wie auch ich profitiert habe. Niemand sollte an sich zweifeln oder sich irgendwelchen Vorurteilen beugen. Ich bin einfach meinen Weg gegangen. Zum Glück!“