Die Hagenerin Kerstin Wajs (51) hat entschieden, ohne Kinder alt zu werden. Warum sie keinen Nachwuchs will und wie Mitmenschen darauf reagieren.

Kerstin Wajs, 51 Jahre alt, verheiratet, Kauffrau für Bürokommunikation, wohnt in Hagen. Sie hat sich für ein Leben ohne Kinder entschieden:

„Als meinen Eltern irgendwann klar wurde, dass ich tatsächlich keine Kinder bekommen ­würde, waren sie im ersten Moment bestimmt etwas enttäuscht, aber das haben sie nie so direkt gesagt. ­Gerade meine Mutter hätte sich ­Enkel gewünscht, das weiß ich. Aber sie hat es schnell akzeptiert. Und sie sagt auch: In diese heutige Welt würde sie auch keine Kinder mehr setzen.

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Ich mag Kinder, ich komme sogar sehr gut mit ihnen aus. Aber ich würde keinem Kind ein Leben auf diesem Planeten zumuten wollen, den wir so nachhaltig schädigen, indem wir immer mehr Menschen werden und die Ressourcen immer weiter und weiter ausbeuten. Beim Blick in die Zukunft wachsen meine Sorgen seit 20 Jahren beständig an: Der erste Schock kam mit Tschernobyl, da war ich noch in der Schule, als unser Lehrer uns sagte, die Gegend dort sei für mehrere Tausend Jahre verstrahlt! Da redete man über Radioaktivität, Umweltverschmutzung, Ozonloch, heute auch über Klimawandel, schmelzende Gletscher und Mikroplastik. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Die Kinder, die miterleben müssen, wie die Schäden immer folgenreicher werden, tun mir leid.

„Der Gedanke, Kinder in die Welt zu setzen, wurde für mich immer unvorstellbarer“

Mit Anfang 20 dachte ich noch, dass ich wohl mal Kinder haben werde. War ja auch irgendwie ganz selbstverständlich. Mit 21 lernte ich meinen heutigen Mann kennen. Er sagte mir gleich, dass er keine Kinder will und auch aus welchen Gründen. Ich habe mir meine eigenen Gedanken dazu gemacht und konnte seine Argumente gut verstehen. Im Laufe der Jahre bin ich selbst zum gleichen Entschluss gekommen. Der Gedanke, Kinder in diese Welt zu setzen, wurde auch für mich immer unvorstellbarer. Der Blick auf unsere Welt ist beängstigend.

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Ob wir negative Menschen sind? Pessimisten und Schwarzmaler gar? Nein, wir leben gern, wir genießen unsere Freiheit, wir reisen gern und viel, wenn nicht gerade Pandemie herrscht. Wir haben zwei Auszeiten gemacht, jeweils ein Jahr lang. Wir kündigten unsere Jobs, reisten durch Thailand und nach Laos, arbeiteten als Tauchguides auf einem Schiff. Wir wussten nicht, was danach kommen würde, wir wussten nur, dass wir raus mussten aus unseren Hamsterrädern. Wenn wir Kinder hätten, wäre all das nicht passiert. Vielleicht hätten wir einander im Stress verloren, wären längst geschieden. Wer weiß das schon?

„Oh, Gott, deine armen Eltern werden nie Oma und Opa sein“

Wenn ich anderen Menschen erzähle, dass ich keine Kinder wollte, dann sind manche überrascht: Sie sagen Sachen wie: „Oh, Gott, deine armen Eltern werden nie Oma und Opa sein.“ Oder: „Im Alter wirst du das aber bereuen, wenn du einsam bist.“ Oder die besorgte Frage: „Fehlt dir denn gar nichts?“ Als könnte nur glücklich sein, wer ein Kind hat. Viele vermuten auch, meine Hündin Carlotta sei eine Art Kind-Ersatz. Das ist aber definitiv nicht so. Die habe ich erst seit Januar.

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Womöglich blickt man noch mal anders auf sein Leben, wenn man alt ist. Vielleicht gibt es auch Eltern, die zwar ihre Kinder lieben, aber später das Gefühl haben, ihr Leben nicht ausreichend gut gelebt zu haben – auch wegen der Kinder. Jeder muss seinen Weg finden. Nur eines finde ich nicht gut: Kinder zu bekommen, die sozusagen gar nicht bei ihren Eltern groß werden, weil sie schon mit ein paar Monaten in die Kita gesteckt werden, damit Mama und Papa weiter arbeiten gehen können. Wenn man sich für ein Kind entscheidet, sollte man auch Zeit mit ihm verbringen.

„Und die Rente willst du natürlich trotzdem haben“

Oft habe ich das Gefühl, dass ich nicht verstanden werde, wenn ich meine Argumente für meine Kinderlosigkeit vortrage. Vielleicht liegt es daran, dass es unangenehm ist, darüber nachzudenken, dass das Leben auf diesem Planeten in nicht allzu ferner Zukunft schon nicht mehr so lebenswert ist wie man es sich wünschen würde. Klar, wenn alle so dächten wie ich und zwar schon länger, dann gäbe es die junge Ärztin nicht, die mich im Krankenhaus behandelt, oder den Pfleger, der sich um mich kümmert, das weiß ich. „Und die Rente willst du natürlich trotzdem haben“ – auch den Satz habe ich schon gehört. Eher im erweiterten Umfeld. Im Bekannten- und Freundeskreis verstehen mich alle. Viele haben ebenfalls keine Kinder.

Dem Gefühl, ein Kind haben zu wollen, war ich selten nah. Ich erinnere mich an ein eindrückliches Bild: Mein Mann und ich sahen im Urlaub einen Vater, der mit seinem kleinen Sohn an einem Fluss saß und ihm das Angeln ­beibrachte. Das war ein schöner Moment, den wir so nie erleben werden. Das haben wir beide so empfunden. Sehr berührend. Aber bereut? Nein, bereut haben wir die Entscheidung bis heute kein ­einziges Mal.“


<<< SERIE „MEIN LEBEN“ >>>

-> Die Serie „Mein Leben“ befasst sich in mehreren Serienteilen mit Menschen, die sich rechtfertigen müssen, weil sie sich für einen bestimmten Lebensentwurf entschieden haben, der nicht der vermeintlichen Norm entspricht, weil sie Meinungen vertreten, an denen sich andere reiben, weil sie in ein Leben hineingeboren wurden, das ihnen Vorurteile und Diskriminierungen beschert.

-> Die Serie soll die Vielfalt in der Region beleuchten und die Frage aufwerfen, wie tolerant und offen der Umgang miteinander eigentlich ist.