Marc Feldmann (28) ist der erste Studierende aus seiner Familie. Arbeiterkinder wie er sind oft mit besonderen Sorgen und Mühen konfrontiert.

Studieren als Erstakademiker – Marc Feldmann (28), geboren in Werl, berichtet:

„Einem „Arbeiterkind“ entgeht in einem durchakademisierten Umfeld selten, dass es eines ist. Ich erinnere mich etwa an ein gemeinsames Abendessen unter Studierenden und einen Kommentar von mir zum Thema Auslandsstudium. Prompt meinte ein Kommilitone, der selbst im Ausland studiert hatte, ich hätte ja „die Landesgrenzen noch nie verlassen“ und meine akademischen Abschlüsse auf dem „zweiten Bildungsweg“ erlangt – obwohl beides unübersehbar falsch ist. In einer anderen Situation bin auch schon einmal gefragt worden, ob ich mit dem Anstreben einer Promotion nicht meine familiäre Herkunft verleugnen würde. Bei solchen Bemerkungen muss man dann schonmal schlucken.

Arbeiterkind – obwohl allein der Begriff eine eigenständige Diskussion verdient, besitzt er für mich intuitiv Identifikationspotenzial, und wenn ich zurückdenke, sicher genauso für viele der Menschen, mit denen ich aufgewachsen bin. Die bundesweit größte Organisation in diesem Bereich, zu finden unter www.arbeiterkind.de, versteht Arbeiterkinder als diejenigen, die aus Familien ohne Hochschulerfahrung stammen. So betrachtet fällt eine Einordnung recht leicht. Meine Mutter ist technische Zeichnerin, mein Vater gelernter KfZ-Mechaniker, meine Großeltern teils ungelernt. Meine Verwandten sind etwa eine Erzieherin, eine Schneiderin, ein Maler, ein Elektriker.

„Die Entscheidung für oder gegen ein Studium wurde lebendig diskutiert bei uns daheim“

Mir selbst war gegen Ende meines Abiturs klar: Ich will studieren. Die Entscheidung für oder gegen ein Studium wurde lebendig diskutiert bei uns daheim. Für meine Eltern war die akademische Welt eine völlig fremde: „Junge, willst du nicht lieber eine Ausbildung machen? Da hast du ein geregeltes Einkommen. Und denk mal daran, wie viele junge Leute ein Studium abbrechen. Da stehst Du dann ganz ohne Abschluss da.“

Die Argumente meiner Eltern gegen ein Studium waren verständlich und von demselben Bedürfnis nach finanzieller Sicherheit geprägt, das auch ihr eigenes Leben bisweilen stark beeinflusst hatte. Fast als Kompromiss begann ich ein duales Studium, also eine Studienform, die in meinem Fall eine Kaufmannsausbildung mit einem BWL-Studium verband. „Da hast Du ein Einkommen und einen handfesten Abschluss in der Tasche“, sagte meine Mutter damals -- und meinte damit nicht das Studium.

„Ich wurde von meinen Eltern in meinen Entscheidungen immer unterstützt“

Mit der Fortsetzung meines akademischen Werdegangs traten zunehmend Unterschiede zu den Lebenswelten meiner Eltern, stärker noch Großeltern, zutage. Das merke ich nun besonders während meiner Promotion, die sich recht deutlich von den Bildungswegen anderer Familienmitglieder unterscheidet. Das macht ein gegenseitiges echtes Nachfühlen mancher Sorgen und Wünsche nicht immer ganz einfach. Es wäre aber sicher auch falsch, von einer Kluft oder gar Entfremdung zu sprechen. Im Gegenteil, ich wurde von meinen Eltern in meinen Entscheidungen immer unterstützt. Durch Beobachtungen im Freundeskreis weiß ich, das ist nicht selbstverständlich, weshalb ich dafür sehr dankbar bin.

Sozialerhebungen deuten klar darauf hin, dass für Arbeiterkinder der Weg durch das deutsche Bildungssystem mit besonderen Herausforderungen verbunden sein kann. Wenn etwa beide Elternteile ihren Bildungsweg mit der Hauptschule abgeschlossen haben, hält sich die elterliche Unterstützung bei Gymnasialhausaufgaben zur Integralrechnung oder Benthams hedonistischem Kalkül eher in Grenzen. Nachhilfelehrer oder gar persönliche Studienberater kosten Geld, das an anderer Stelle oft dringender benötigt wird.

Appell an die Arbeiterkinder: Das Beste aus den eigenen Möglichkeiten machen

Während ferner Studiensemester in Frankreich, den Vereinigten Staaten, Australien oder China verstärkt die Lebensläufe von Akademikerkindern zieren, schienen Auslandsaufenthalte aus finanziellen Gründen bei uns daheim etwa völlig indiskutabel. Finanzierungsformen wie Studienkrediten begegneten meine Eltern eher mit Skepsis; Stipendien galten als Privileg, das ausschließlich Überfliegern vorbehalten war. Zur Zeit meines Abiturs waren uns solche Möglichkeiten teils aber auch einfach nicht bekannt.

Vor dem Hintergrund solcher Ausgangsvoraussetzungen halte ich es auch für grob vereinfachend, beinahe zynisch, Arbeiterkindern mit auf den Weg zu geben, sie müssten nur hart genug arbeiten, dann sei alles möglich. Eigene ­Anstrengung ist unabdingbar, aber nur die halbe Wahrheit. Denn was wäre, so verengt betrachtet, der fatale Umkehrschluss, wenn etwas mal nicht klappt? Der Appell sollte doch eher sein, zu versuchen, das Beste aus den eigenen Möglichkeiten zu machen. Das ist oft herausfordernd genug.

Arbeiter- und Akademikerkinder: Gemeinsamkeiten suchen statt abgrenzen

Aufgrund der milieuspezifischen Ausgangsvoraussetzungen darf man einerseits möglicherweise gerade als „Arbeiterkind“ stolz sein, die akademischen Pfade eines Studiums oder gar einer Promotion zu beschreiten. Andererseits darf man aus meiner Sicht aber auch nicht vergessen, dass die Herausforderungen eines Studiums oder einer Promotion eben nicht exklusiv die „der Arbeiterkinder“ sind, die an sich ja auch schon keine homogene Gruppe darstellen.

Unterschiedlich verteilte Bildungschancen zu thematisieren ist wichtig, aber mindestens genauso wichtig ist, als „Arbeiterkind“ nicht in einen Duktus der Klage und Abgrenzung zu verfallen, sondern eher an diejenigen gruppenübergreifenden Herausforderungen anzuknüpfen, die allzu einfache Kategorisierungen überwinden und Solidarität stiften. So ähnlich zumindest der Zwischenstand einer anhaltenden, energisch geführten Diskussion mit einigen befreundeten „Akademikerkindern“.

<<< EINE FRAGE DER TOLERANZ >>>

Die Serie „Mein Leben“ befasst sich mit Menschen, die entweder klassischen Erwartungen nicht entsprechen und daher besondere Herausforderungen bewältigen müssen, oder aber in ein Leben hineingeboren werden, das ihnen Diskriminierungen beschert. Kernfrage: Wie offen und unbefangen ist der Umgang miteinander?