Lisa Böhm ist lesbisch, für ihre Mutter ist das ein Problem. Die gebürtige Hagenerin berichtet, wie sie ihren Weg erst finden musste.

Lisa Böhm, gebürtig aus Hagen, ist 28 Jahre alt und Rettungsassistentin:

Warum ich bin, die ich bin? Das habe ich mich nie gefragt, zumindest nicht aus Selbstmitleid. Ich bin lesbisch, das weiß ich, seit ich 16 bin. Es gibt keinen Grund, mich deswegen zu verstecken. Aber ich habe lernen müssen, meinen Weg zu finden. Und zu verstehen, dass nicht jeder gleich gut damit umgehen kann. Es meiner Mutter zu sagen – davor hatte ich die meiste Angst. Alles, was danach kam, war nichts dagegen. Und ich muss damit leben: Diesen einen großen Teil meines Lebens wird sie wohl nie verstehen.

Ich dränge niemanden in die Ecke und sage: Du musst das jetzt mögen. Aber ein gesundes Maß an Akzeptanz wünsche ich mir. Ich gehe – seit ich sie gefunden habe – offen mit meiner sexuellen Identität um, ohne dass es das Erste ist, das ich den Menschen erzähle. Diese Offenheit hilft mir und anderen.

Nachfragen zu meiner Beziehung finde ich schön

E in Beispiel: Ich habe vor nicht allzu langer Zeit meinen Arbeitsplatz gewechselt. Natürlich erzähle ich dort, wenn ich gefragt werde, dass ich in einer Beziehung lebe, dass ich eine Partnerin habe. Manche nehmen den Satz einfach hin, andere fragen dann nach, was ich überhaupt nicht störend, sondern sogar schön finde.

Meine Liebe ist eine Arbeitskollegin. Ich habe nicht das Gefühl, dass irgendwer mich und uns nicht versteht. Was sie zu Hause mit der Information machen, weiß ich nicht. Es sollte mich vermutlich auch nicht interessieren. Schöner wäre, unsere Gesellschaft wäre so offen, dass mir diese Frage nicht in den Sinn käme. Aber ich stelle mir viele Fragen, oft unterbewusst: Immer wieder ist es die, wie andere mit meiner sexuellen Identität umgehen. Ich möchte nicht, dass sich jemand wegen mir unbehaglich fühlt. Wenn ich das vermute, spreche ich das offen an. Im Zweifel warte ich dann lieber, bis die Kolleginnen nach der Arbeit in der Umkleide fertig sind.

Mit 14 habe ich gemerkt, dass ich anderen Mädchen intensiver hinterherschaue

Vielleicht liegt meine Vorsicht an den negativen Erfahrungen, die ich schon habe machen müssen. Vornehmlich in der Zeit, als aus Lisa, die alle für „normal“ gehalten hatten, die Lisa wurde, die auf Mädchen oder Frauen steht. Mit 14 fing das an. Es gibt viele kleinere Momente, an die ich mich erinnere: Ich sitze im Bus und es steigen zwei unglaublich hübsche Mädchen zu, denen ich nachschaue. Eine Art des Nachschauens, die anders ist, als wenn ich mich für ihre Mode interessierte.

Ich erschreckte vor meinen eigenen Gedanken, verbot sie mir fast, weil in meiner damaligen Welt dafür kein Platz war. Mädchen hatten einen Freund, so gehörte sich das. Es hat etwas gedauert, bis ich selber verstanden habe, was da mit mir passiert, bis ich wusste, dass ich das allen sagen muss.

Ich musste es allen erzählen, sonst würde ich nie ich selbst sein können

Meine Eltern haben sich getrennt, als ich ein Jahr alt war. Ich wuchs in einer streng christlichen Glaubensgemeinschaft auf, der meine Mutter und mein Bruder noch immer angehören: Frauen tragen dort keine Hosen, sondern Röcke. Frauen haben langes Haar, nicht kurzes. Frauen lieben Männer, nicht Frauen. Alles streng geregelt.

Meiner Schwester erzählte ich es als erstes. Sie riet mir: Sag das bloß nicht Mama! Aber ich wusste: ich muss. Sonst würde ich nie ich selbst sein können.

Für meine Mutter ist eine Welt zusammengebrochen. Sie weinte, sagte, ich solle mich nicht so anstellen, das sei nur eine Phase. Ich hatte mit dieser Reaktion gerechnet. Vermutlich deswegen war mein stärkstes Gefühl: Befreiung. Die Befreiung, es dem Menschen gesagt zu haben, von dem ich wusste, dass es ihn am meisten treffen würde.

Als ich nach Hause kam, weinte meine Mutter

Und trotzdem war es auch in der Clique nicht leicht, mich zu outen. Outen, ich mag dieses Wort nicht. Das klingt, als müsste man zugeben, außerhalb der gesellschaftlichen Norm zu stehen. Ich sage lieber: Ich habe mich selbst gefunden. Als ich es meinen Freunden und Freundinnen erzählte, hatte ich das Gefühl, dass die Mädchen Abstand von mir hielten, weil sie dachten, ich könnte sie vielleicht anmachen.

Ich hatte mit 16 Jahren lange, blonde Haare, die bis zum Po reichten. Ich schnitt sie ab, färbte sie wasserstoffblond. Als ich nach Hause kam, weinte meine Mutter wieder. Aber ich wollte zeigen, wie ich wirklich bin.

Heute fühle ich mich im Alltag nicht benachteiligt. Aber ich habe das Gefühl, dass gerade für die ältere Generation noch nicht normal ist, mit Homosexualität umzugehen. Ich wünschte, mehr Menschen wären wie meine Oma, die ist 84 und sie sagt: Hauptsache du bist glücklich. Was mich aber wirklich stört, sind diese Vorurteile, die manche Menschen aus Unkenntnis oder Desinteresse pflegen: Menschen, die von der Pornoindustrie geprägt sind und eine fehlgeleitete Vorstellung davon haben, wie eine lesbische Beziehung funktioniert. Menschen, die glauben, eine lesbische Beziehung habe immer einen männlichen und einen weiblichen Part. So ein Unsinn: Man fragt ja auch einen Chinesen nicht, welches seiner Stäbchen die Gabel und welches das Messer ist.

Wenn es einmal dazu kommt, dass ich heirate...

Ich möchte gerne, dass alle Menschen möglichst früh im Leben wissen, dass es noch andere Möglichkeiten gibt zu lieben. Das müsste jedes Kind lernen, in der Erziehung, bei der Aufklärung, in der Schule – und zwar unabhängig von der Religion.

Meine Mutter und ich haben uns arrangiert. Wir sehen uns bei Familienfeiern, ohne aber groß zu reden. Kontakt haben wir meistens über meine Schwester. Wir ­haben beide eine Mauer um uns ­herum, die aber ein paar Löcher hat, um zu schauen, wie es dem anderen geht. Irgendwie leben wir beide mit der Situation.

Wenn es einmal ­soweit kommt, dass ich heirate, dann wünsche ich mir, dass sie kommt und dasitzt und diesen Moment ­miterlebt. Aber ich würde auch verstehen, wenn sie nicht käme. Genau das ist es doch, was ich meine und was ich mir auf dieser Welt ­wünsche: Akzeptanz und Toleranz. Lasst die anderen sein, wie sie sind.