Hagen. Nina Rehberg arbeitet als Diversitäts-Managerin für die Stadt Köln. Sie spricht über die Bilder in unseren Köpfen und den Imagefaktor Vielfalt.
Die Diplom-Sozialpädagogin Nina Rehberg (41) wuchs in Bad Berleburg im Kreis Siegen-Wittgenstein auf. Sie hat Internationale Jugend- und Erwachsenen-Bildung in Koblenz studiert sowie Sozialmanagement in Berlin und absolvierte anschließend eine Ausbildung zur Diversity Managerin. Seit Ende 2013 arbeitet sie in dieser Position für die Stadt Köln.
Frau Rehberg, was sind die Aufgaben einer Diversity-Managerin?
Ich verantworte das Diversity-Konzept der Stadt Köln, welches ich vor einigen Jahren geschrieben habe und das vom Rat der Stadt Köln 2016 als Handlungskonzept verabschiedet wurde. Damit hat sich die Stadt Köln einen Rahmen gesetzt, wie sie mit dem Thema Vielfalt als Arbeitgeberin, als Dienstleisterin und Partnerin agieren will. Meine Querschnittsaufgabe ist es, dafür Sorge zu tragen, dass das Thema als Unternehmensstrategie betrachtet und in allen drei Bereichen umgesetzt wird.
Haben Sie Beispiele?
Häufig wird das Thema nur in Ämtern verortet, die viel Kundenkontakt haben. Letztlich hat aber jedes Amt mit dem Thema zu tun, so beispielsweise auch das Friedhofsamt. Die Vorstellungen darüber, wie eine Beerdigung aussehen und ablaufen soll, haben sich geändert. Es gibt Menschen, die neben ihrem gleichgeschlechtlichen Partner beerdigt werden wollen. Wieder andere haben eine andere Religionszugehörigkeit, die berücksichtigt werden muss. Für andere müssen die Zugangswege zum Grab barrierefrei sein. Das Thema Diversität ist eines, das sich überall findet, nicht nur in einzelnen Bereichen.
Warum ist das Thema so wichtig, dass es eine eigene Managerin dafür braucht?
Es gibt neben der gesetzlichen Pflicht der Gleichbehandlung gute Gründe, sich dem Management von Vielfalt zuzuwenden. Wir sind aus sozialen und gesellschaftlichen Gründen von der Bedeutung von Vielfalt überzeugt. Als Verwaltung sind wir für alle Einwohnerinnen und Einwohner zuständig, so müssen wir uns beispielsweise auch immer fragen, ob wir all diese Menschen gleich ansprechen wollen. Aus diesem Grund haben wir gerade einen Leitfaden für wertschätzende Kommunikation für die Verwaltung erarbeitet und veröffentlicht. Damit haben wir uns zum Ziel gesetzt, zukünftig geschlechterumfassend zu sprechen und zu schreiben. Das heißt auch, dass alle Anschreiben und Formulare geändert werden müssen.
Kontroverses Thema.
Natürlich ist das eine große Umstellung und es gibt Menschen, die sich fragen, warum wir uns mit so etwas beschäftigen. Es gibt eben Menschen, die sich durch die Anrede Frau oder Herr nicht angesprochen fühlen. Darauf müssen und wollen wir Rücksicht nehmen. Das ist unsere innere Haltung, damit positionieren wir uns als Verwaltung und gehen voran. Das kann unter anderen ein Imagefaktor sein.
Das müssen Sie etwas erläutern.
Unternehmen stehen in steter Konkurrenz zueinander, wenn es um die Akquise neuer Auszubildender, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Führungskräfte geht. Und die Frage ist: Gelingt es die besten Talente anzusprechen, wenn meine Firmen-Philosophie eher altbacken und konservativ ist, wenn ich die Befindlichkeiten von so vielen Menschen nicht berücksichtige? Und auch: Wie wertschätzend sprechen wir miteinander? Wie vielfältig sind wir? Wie barrierefrei? Können die Menschen überall in unserem Gebäude arbeiten oder nicht?
Wie viel Überzeugungsarbeit müssen Sie täglich leisten?
Ich sage es mal so: Es ist die Frage, mit welchen Bildern im Kopf wir aufgewachsen sind. Wir sind immer noch eine Gesellschaft, die sich klassische Normen gibt. Deutschland ist ein Land, in dem die Mehrheitsgesellschaft eine weiße Hautfarbe hat, dem Christentum angehört, heterosexuell ist. Nach wie vor ist es so, dass wir davon ausgehen, dass in Führungsetagen keine Frauen sitzen, schon gar keine alleinerziehenden Mütter, sondern Männer – und zwar weiße Männer. Ich versuche, diese Bilder aufzubrechen und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass wir diese Bilder haben und sie uns bei vielen Entscheidungen beeinflussen und Realitäten verzerren.
Ein konkretes Beispiel, bitte? Wann tappen wir in die Falle, die uns unser Weltbild auslegt?
Ein Fahrkartenautomat in einem Bahnhof: Da steht ein junger Mensch und bekommt kein Ticket heraus. Passanten denken: Der Automat wird kaputt sein. Passiert dies einem älteren Menschen, ist die Ursachenzuschreibung schon eine andere: Schau an, zu alt für Technik, er oder sie kriegt es nicht hin. Das ist Altersdiskriminierung. Anderes Beispiel: Niemand in Deutschland käme auf die Idee, sich als erstes die Frage nach meiner Religion zu stellen. Ein junger Mann mit arabischem Aussehen hat ein völlig anderes Stigma. Er muss womöglich täglich mit Diskriminierung rechnen, muss sich fragen, ob er den Job oder die Wohnung nicht bekommen hat, weil er aussieht, wie er aussieht. Wir reden an dieser Stelle über Privilegien und über Zuschreibungen, die wir meist unbewusst vornehmen, zum Beispiel bei Bewerbungsgesprächen.
Inwiefern?
Deutschland ist eines der wenigen Länder, in denen bei Bewerbungen Bilder verlangt werden. Und natürlich kann das die Grundlage der Entscheidung verändern, weil Menschen unbewusst Menschen um sich haben wollen, die ihnen selbst ähnlich sind – die das gleiche studiert haben, ähnlichen Hobbys nachgehen, die das gleiche Geschlecht oder die gleiche sexuelle Orientierung haben. Das erzeugt so ein Wohlfühlgefühl. Aber in einem Unternehmen muss ich mich fragen: Ergibt das Sinn?
Vielleicht ja: Homogene Gruppen gleich weniger Konflikte?
Stimmt. Es ist ja auch legitim, so zu denken und zu handeln. Ich darf – oder muss – aber davon ausgehen, dass immer wieder sehr ähnliche Gedanken angestellt und ähnliche Entscheidungen getroffen werden, und dass die Zustimmung dafür sehr groß ist. Das ist einfach und wahrscheinlich auch weniger innovativ. Aber die Zeiten haben sich geändert und ich glaube, dass man mit dieser Denkweise große Gruppen niemals erreichen wird und sogar verschrecken kann. Das ist ja nicht nur ein Problem von Unternehmen, sondern von ganzen Regionen.
Was meinen Sie?
Viele Menschen zieht es in die Großstadt, dafür gibt es viele Gründe. Einer davon ist sicher auch, dass Menschen, die nicht ins Mehrheitssystem passen, in der Großstadt eine größere Offenheit signalisiert wird. In dörflichen Regionen ist das oft nicht der Fall, obwohl die Menschen dort voller Überzeugung sagen würden: Wir haben nichts gegen dich, wir machen doch gar nichts. Für Betroffene fühlt sich das manchmal aber anders an.
Wie soll das gehen: Mehr Offenheit in ganze Regionen zu tragen?
Man muss sich als Region zuerst einmal über diese Dinge klar werden und sich fragen, ob man sich das noch leisten kann – zu wenige Anreize, Möglichkeiten und Chancen für jene zu bieten, die das Gefühl haben nicht dazuzugehören. Ich denke – so forciert man unter anderem die Abwanderung von jüngeren Menschen aus den ländlichen Regionen in die Städte nur noch mehr. Zurück bleiben vergreiste Landstriche. Verwaltung, Politik und Gesellschaft müssen diese Aufgabe gemeinsam übernehmen, um attraktiv für Fachkräfte und auch für den Tourismus zu bleiben, um auch in 100 Jahren noch lebenswerter Ort zu sein.
Wie weit ist Deutschland auf dem Weg, eine offenere Gesellschaft zu werden?
Die Teilhabechancen sind deutlich gestiegen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten, weil Menschen, die es immer schon gegeben hat, öffentlich wahrnehmbarer werden – weil sie für ihre Rechte eintreten und sagen: Ich gehöre hier hin und habe die gleichen Rechte wie jeder oder jede andere auch. Daran ist nichts zu rütteln. Ich merke gerade, wie bei vielen die Angst vor dem Verlust der eigenen Privilegien um sich greift. Und ich frage mich dann: Wovor hast du denn Angst, wenn nun zwei Männer heiraten und ein Kind adoptieren? Was passiert dir? Nichts!
<<< HINTERGRUND >>>
- Nina Rehberg hat Internationale Jugend- und Erwachsenen-Bildung in Koblenz studiert sowie Sozialmanagement in Berlin und absolvierte anschließend eine Ausbildung zur Diversity Managerin.
- Die sechs Kerndimensionen des Diversitäts-Managements sind: Alter, Geschlecht, sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität, Behinderung, ethnische Herkunft und Hautfarbe sowie Weltanschauung und Religion. Diskriminierung aufgrund dieser Merkmale verbietet das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das 2006 verabschiedet wurde.