Lippstadt. Der Autozulieferer aus Lippstadt hat ein System entwickelt, das mit Licht autonomes Fahren verbessern soll. Wie die Vorführung verläuft.

Jordan Raß steht am Fahrbahnrand und rührt sich nicht. Der heranrollende VW-Bulli, Modell T6, erkennt den Studenten, missversteht ihn aber und hält an. Nichts passiert. Ein paar Sekunden. Dann fährt der Kleinbus wieder los. Vorführeffekt bei der Demonstration des Ergebnisses von drei Jahren Forschung für ein Produkt, das autonomes Fahren möglich machen soll. „Die Technik ist so weit, dass wir das System in Autos verbauen können. Es könnte in Serie gehen“, sagt Georg Lamerz, Sprecher des Autozulieferers Hella aus Lippstadt, der seit 2022 zum französischen Forvia-Konzern gehört.

Exakt drei Jahre Forschung stecken in dem federführend vom Licht- und Elektronikspezialisten in Lippstadt entwickelten System, das autonomes Fahren auch im gemischten Verkehr, also mit Fußgängern, Radfahrern und von Menschen gesteuerten Autos, sicher möglich machen soll. Intelligente Mensch-Technik-Kommunikation war das Ziel beim Start des Projektes im April 2021. Gefördert wurde es vom Bundeswirtschaftsministerium, gekostet hat es bis heute gut vier Millionen Euro.

Mensch-Technik-Kommunikation im Straßenverkehr: Student Jordan Raß ist der Proband.
Mensch-Technik-Kommunikation im Straßenverkehr: Student Jordan Raß ist der Proband. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Verteilt hat sich das Geld auf verschiedene Projektpartner, mit Hella insgesamt acht. Darunter Spezialisten für Sichtsysteme vom Fraunhofer-Institut für Optronik, Forscher vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT), aber auch Experten vom Institut für Rechtsinformatik von der Universität des Saarlandes - denn viele rechtliche Fragen sind beim Thema autonomes Fahren noch längst nicht geklärt. Dabei geht es nicht allein um Schuld oder Unschuld im Falle eines Unfalls. Tendenziell, das erwarten Experten, dürfte der Straßenverkehr sicherer werden, wenn kein Mensch am Steuer sitzt. So weit ist die Künstliche Intelligenz der Systeme noch nicht. Zudem geht es auch um die Frage der Verwendung und Speicherung von persönlichen Daten.

Ein Fußgänger hat ein berechtigtes Interesse daran, von einem autonom fahrenden Auto nicht überfahren zu werden.
Dr. Mathias Niedling - Leiter der lichttechnischen Forschung beim Autozulieferer Hella/Forvia

Das System, das bei Hella entwickelt worden ist, funktioniert, weil es schon sehr viel sieht. Das ist gut, aber auch ein Problem. Fußgänger wie Jordan, zufällig an der Straße stehend, möchten vielleicht gar nicht von der Kamera des vorbeifahrenden Autos aufgenommen werden. Mindestens Gesichter müssten also unkenntlich gemacht werden.

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Viele Rechtsfragen sind noch weitaus offener als der Weg zur perfekten technischen Lösung für autonomes Fahren. Im Projekt haben sich Experten der Uni des Saarlandes mit Rechtsfragen beschäftigt. Haftungsfragen vor allem, schließlich „hat ein Fußgänger ein berechtigtes Interesse, von einem autonom fahrenden Auto nicht überfahren zu werden“, sagt Mathias Niedling, Leiter der lichttechnischen Forschung beim Autozulieferer aus Lippstadt. Gleiches gilt natürlich heute auch: Sitzt aber ein Fahrer am Steuer, scheint die Sache klarer.

Hochautomatisiertes Fahren in Deutschland bereits erlaubt

Mercedes hat im Sommer vergangenen Jahres in Deutschland (und Nevada in den USA) als erster Hersteller weltweit die Freigabe für den Einsatz des Assistenzsystems Drive Pilot erhalten, das hochautomatisiertes Fahren mit Einschränkungen im normalen Straßenverkehr ermöglicht. Der Fahrer darf sich dann in begrenztem Umfang anderen Dingen zuwenden als zu lenken, trägt nicht mehr jederzeit die Verantwortung am Steuer, so lange das Auto nicht schneller als 60 km/h fährt. Das ist Level 3 auf der Skala von Assistenzsystemen über automatisiertes bis zum autonomen Fahren, dem Level 5, wie er jetzt in Lippstadt präsentiert wurde.

Kommunikation zwischen Auto Mensch noch nicht zugelassen

Das Hella-System ist, wie erwähnt, laut Unternehmen serienreif. Es würden auch bereits konkrete Gespräche mit Herstellern geführt, die Interesse am Einsatz haben. Erst einmal eher als großes Display, auf dem möglicherweise das Fahrzeug einen Willkommensgruß sendet, wenn der Besitzer sich nähert. Bis diese „Frontshields“ als Baustein für autonomes Fahren eingesetzt werden, dürfte es noch dauern. Projektleiter Niedling rechnet nicht vor 2030 mit autonom fahrenden Autos im normalen Straßenverkehr. „Eigentlich dürfen wir noch nicht kommunizieren. Das ist in Deutschland noch nicht zugelassen“, sagt Niedling.

Man ist noch längst nicht am Ziel. Dennoch wird die Live-Vorführung auf dem Parkplatz am Hella-Lichtkanal in Lippstadt von mehreren Dutzend Projektteilnehmern durchaus gefeiert. Beim zweiten Versuch fährt der Bulli am Studenten Jordan vorbei, wie erhofft. „Bilderbuchmäßig“, nennt Projektleiter Niedling das Szenario. In der dritten Runde fährt der Bulli auf einen Zebrastreifen zu, an dem eine Gruppe Fußgänger steht, die aber nicht die Straße queren möchte. Der Bulli hält kurz, erkennt die Situation und fährt weiter. Applaus brandet auf.

Dämmerung und Nieselregen machen noch Probleme

Forscherfieber, wie es Wissenschaftler, die mit großem Eifer bei der Sache sind, wohl schon einmal befällt. Der Algorithmus lerne noch, aber es habe ganz gut geklappt, so zu 80 bis 90 Prozent. Probleme gebe es noch bei Dämmerung, auch der Nieselregen am Testtag spiele eine Rolle. Was nicht heißen soll, dass autonomes Fahren nur bei Schönwetter möglich sein wird. „Es wird zur Serienreife kommen“, sagt Hella-Ingenieur Niedling - zumindest gilt dies eben für das Display an der Fahrzeugfront, dort, wo bei Verbrennern heute noch ein Kühlergrill sitzt. Dieses Display kann sehen und Signale an Dritte abgeben. Sogar die Farbwahl war Gegenstand des Forschungsprojektes und eine Wissenschaft für sich. Cyanblau soll es sein. Die perfekten LEDs dafür hat der 25-jährige Jordan Raß im Rahmen seiner Masterarbeit ausgewählt. Raß studiert an der Hochschule im niederländischen Twente. Sein Fach: Verhaltens-Psychologie.

Psychologie spielt auch bei der Präsentation von Hella eine große Rolle. In dem scheinbar autonom fahrenden VW-Bus sitzt ein Mensch in einem Spezial-Anzug auf dem Fahrersitz, der das Licht so bricht, dass der Fahrer für die Forscher am Fahrbahnrand nicht zu erkennen ist. Der Mensch führt tatsächlich die Befehle aus, die das neue System ihm vorgibt und die das Fahrzeug auch ohne Fahrer, also autonom, vermutlich ausgeführt hätte. Sicher ist sicher - und noch ist diese Art Licht-basierte Kommunikation in Deutschland eben nicht zulässig, auch wenn Hella sie schon für serienreif hält.