Hagen. Drücken! Immer drücken! Jens Schilling ist bis tief ins Sauerland hinein ein „Missionar“ in Sachen Wiederbelebung. Wie das kam.

  • Seit zehn Jahren gibt es das Projekt „Laienreanimation kann jeder“
  • Jens Schilling ist als One-Man-Show dafür in ganz Südwestfalen unterwegs
  • Sein Engagement, privat wie politisch, soll dafür sorgen, dass mehr Menschen gerettet werden können

Wenn man ihn fragt, wer der Mann hinter dem Projekt ist, dann sagt er über sich: „Jens Schilling hat mal als Kinderkrankenpfleger angefangen – und arbeitet mittlerweile seit über 30 Jahren im Krankenhaus.“ Das ist er in erster Linie: Fachkrankenpfleger für Intensiv- und Anästhesiepflege. Aber er ist auch noch viel mehr: Er ist Ehemann, Vater, Hundebesitzer, Handball-Unterstützer, Reiseliebender, BVB-Fan.

Und daneben hat er auch noch ein Projekt ins Leben gerufen, das Leben verändert. Jens Schilling ist Gründer und Leiter des Projekts „Laienreanimation kann jeder“, welches in diesem Jahr zehnjähriges Bestehen feiert. Begonnen hat alles mit einer Facebook-Seite. Während seiner Arbeit in der Anästhesie, aber auch in der Notfallambulanz sowie bei seinen Diensten auf dem Rettungswagen oder seinem Einsatz als First Responder in Hagen-Dahl, einer Gruppe von Notfallersthelfern, hat er immer wieder mit Reanimation zu tun.

Nichts ist falscher, als nichts zu tun.
Jens Schilling - Initiator des Projekts „Laienreanimation kann jeder“

Und immer wieder damit, dass es falsch oder gar nicht gemacht wird. Die bewusstlose Person ohne Kreislauf liege oft in der stabilen Seitenlage – ein rotes Tuch für ihn. „Nichts ist falscher, als nichts zu tun“, sagt er. Seine Vermutung: Dadurch, dass es in den klassischen Erste-Hilfe-Kursen nicht intensiv genug um Herzdruckmassage gehe, trauten sich die Menschen oft nicht, eine Wiederbelebung durchzuführen. Nur Wissen könne dafür sorgen, dass die Hemmschwelle sinke. Jens Schillings großes Ziel ist es, die Laienreanimationsquote zu erhöhen.

Der Anfang: Mit Fehleinschätzungen aufräumen

Deswegen die Facebook-Seite. Mit „Laienreanimation kann jeder“ wollte Jens Schilling ursprünglich mit ein paar Mythen rund um Reanimation aufräumen, ein bisschen aufklären. „Die ersten Anfragen für einen Kurs kamen aus dem Kindergarten“, erinnert er sich: „Da bin ich hingegangen und hab was zu Kindernotfällen erzählt. Dann kamen die Sportvereine.“ Über die Freiwillige Feuerwehr und seine Arbeit war Jens Schilling in Hagen damals schon gut vernetzt. Mit der Zeit bekommt er immer mehr Anfragen. Er bildet sich weiter, baut seine Facebook-Seite aus und schließlich auch seine Website auf. „Wenn ich etwas anfasse, dann richtig“, sagt er, „aber mein Tag hat halt leider auch nur 24 Stunden.“

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Mittlerweile fährt Jens Schilling nicht mehr im Rettungsdienst, und auch aus der Freiwilligen Feuerwehr ist er ausgetreten. Sein Projekt ist sein größtes Hobby und seine größte Leidenschaft. „Für mich ist das keine Arbeit, mir macht das auch keinen Stress“, sagt er. Dabei fährt er mittlerweile für „Laienreanimation kann jeder“ nicht nur durch Hagen und die umliegenden Orte, sondern auch quer durchs Sauerland, bis nach Düsseldorf und Berlin, tritt in Land- und Bundestag auf. „Dann mache ich mir einen schönen Podcast an und nutze die Autofahrzeit zum Runterkommen“, verrät Jens Schilling.

Viele Kooperationen, großes Netzwerk - und eine One-Man-Show

Hilfe bekommt er bei besonders großen Terminen zum Beispiel von Arbeitskolleginnen aus dem Krankenhaus oder aber von ehemaligen Feuerwehrkollegen. Bei Jugendkursen ist sein Sohn manchmal dabei. Aber an den meisten Tagen ist „Laienreanimation kann jeder“ immer noch eine One-Man-Show: Die zum Beispiel dafür gesorgt hat, dass in den Dörfern rund um Schmallenberg über 30 Defibrillatoren an öffentlich zugänglichen Orten platziert wurden und hunderte Menschen den Umgang damit und eine einfache Laienreanimation beherrschen.

Beim TSV Fichte Hagen gibt Jens Schilling einen Kurs zur Laienreanimation - menschlich, anschaulich, zum Mitmachen.
Beim TSV Fichte Hagen gibt Jens Schilling einen Kurs zur Laienreanimation - menschlich, anschaulich, zum Mitmachen. © WP | Katharina Kalejs

Mittlerweile kooperiert Jens Schilling zum Beispiel mit dem DFB und der deutschen Herzstiftung, er vermittelt Defibrillatoren an Sportvereine und Unternehmen. „Es gibt nichts Schlimmeres als Defis, um die sich keiner kümmert“, sagt er. „Deswegen gibt es bei mir keinen Defibrillator ohne Schulung.“ In dieser Schulung bekommen die Teilnehmenden die Handhabung des Defibrillators erklärt, aber auch die einfache Laienreanimation.

Auch beim TSV Fichte Hagen ist Jens Schilling zu Gast; ein lockerer Abend, der zweite schon. Während draußen die Jugend trainiert, werden drinnen Trainerinnen und Trainer in der Laienreanimation geschult. Dem Verein hat er einen Defibrillator fürs neue Vereinsheim vermittelt. Der Umgang damit wird in Theorie und Praxis geübt. Ein Teilnehmer wird ausgesucht, soll mit dem Gerät zu Jens Schilling und der Reanimationspuppe kommen. Nach anderthalb Minuten wird die Übung unterbrochen - der Defibrillator ist noch nicht einsatzfähig. „Das brauchen wir alles nicht. Ihr müsst wissen, wohin die Elektroden geklebt werden, mehr nicht“, sagt Jens Schilling. Deswegen sind ihm ordentliche Einführungen so wichtig.

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Für Jens Schilling ist besonders wichtig, dass alle in seinen Kursen viel üben.
Für Jens Schilling ist besonders wichtig, dass alle in seinen Kursen viel üben. © WP | Katharina Kalejs

Ungefähr 60.000 Menschen pro Jahr müssen außerhalb einer Klinik reanimiert werden, so das deutsche Reanimationsregister. Sie sind durchschnittlich 70 Jahre alt, zwei Drittel sind Männer, ein Drittel Frauen. Nur 42,6 Prozent dieser Menschen wurden 2021 laienreanimiert, laut Daten des Bundesgesundheitsministeriums; das Reanimationsregister spricht von 51,3 Prozent.

Die Wahrheit wird irgendwo dazwischen liegen. Nur etwa elf Prozent der Betroffenen überleben nach einer Reanimation. Meistens passiert ein solcher Notfall im häuslichen Umfeld – aber eigentlich kann es jeden jederzeit treffen. Im Klartext: Neun von zehn Menschen, die einen Herz-Kreislauf-Stillstand außerhalb von ärztlicher Behandlung erleiden, sterben daran, und nur jedem Zweiten wird geholfen, bevor der Rettungsdienst eintrifft.

So reanimiert man richtig

Wie wichtig die richtige Reaktion ist, wenn ein Mensch kollabiert, macht Jens Schilling gern am Beispiel des dänischen Nationalspielers Christian Eriksen deutlich, der bei einem EM-Vorrundenspiel 2021 auf dem Spielfeld zusammenbrach. Schilling findet, dass damals schneller hätte reagiert werden können - obwohl der Däne überlebte. Er zeigt die Aufnahmen von dem Vorfall in fast jeder seiner Schulungen, so auch bei dem Termin mit den Fußballern des TSV Fichte Hagen, denen der Schreck ins Gesicht geschrieben steht. „Ich will nicht, dass euch so was passiert“, sagt Jens Schilling zu den Kursteilnehmern. „Einen Defibrillator habt ihr hier - jetzt müsst ihr wissen, wie man damit umgeht. Wer einen Kurs bei mir belegt, der kann danach binnen 30 Sekunden mit der Reanimation beginnen.“

So funktioniert Laienreanimation

Prüfen: Als Erstes wird geprüft: Ist die Person ansprechbar? Dazu darf auch ein Schmerzreiz gesetzt werden. Wenn nein: Kopf überstrecken, Wange an den offen gehaltenen Mund der Person halten, auf den Brustkorb schauen. Atmet die Person? Wenn nein: Notruf absetzen, Reanimation beginnen. Das gleiche gilt bei einem unnatürlichen Atemrhythmus.

Rufen: Um Hilfe rufen. Sind andere Personen da, die vielleicht einen Defibrillator holen können? Und: Notruf absetzen bzw. absetzen lassen. „Mittlerweile führen immer mehr Leitstellen auch durch eine Telefonreanimation“, lobt Jens Schilling: Das bedeutet, dass der Leitstellenmitarbeiter so lang mit dem Anrufer am Telefon bleibt und ihn durch die Reanimationsschritte führt, bis das Rettungspersonal eintrifft.

Drücken: Spätestens, wenn der Notruf abgesetzt wurde, sollte mit der Herzdruckmassage begonnen werden. „Wir brauchen eine Drucktiefe von fünf bis sechs Zentimetern, um das Herz zu leeren, in einem Takt von etwa 100 bis 120 Schlägen pro Minute“, so Jens Schilling. Als Takt eignet sich zum Beispiel der Song „Staying Alive“ von den BeeGees, aber auch „Atemlos“ von Helene Fischer oder „Highway To Hell“ von AC/DC.

Weitere Informationen zu Jens Schilling und seinem Projekt „Laienreanimation kann jeder!“ gibt es auf seiner Website.

Er lehrt eine einfache Reanimation mit drei Schritten, die auch vom Deutschen Rat für Wiederbelebung unterstützt wird: Prüfen, Rufen, Drücken. Bei dieser Version muss nicht beatmet werden - eine der größten Hemmschwellen bei Reanimation, so Schilling. „Die Gehirnzellen beginnen zwar schon nach drei Minuten abzusterben“, erklärt Jens Schilling. Aber das Lungenvolumen eines Erwachsenen reiche mindestens fünf Minuten aus, um die Organe mit ausreichend Sauerstoff zu versorgen.