Lüdenscheid. In Altena und Kierspe sind zwei Brückenbauwerke nur noch eingeschränkt nutzbar. Das Lkw-Fahrverbot in Lüdenscheid erhöht das Verkehrsaufkommen.
Das Schreiben wurde in Lüdenscheid aufgesetzt und ging an Bundeskanzler Olaf Scholz. Zentraler Satz darin: „Aus unserer Sicht reden wir in den kommenden Wochen, Monaten und Jahren über eine Operation am offenen Herzen – bei einem in vielerlei Hinsicht geschwächten Patienten.“ Wie geschwächt, das zeigt sich gerade erneut.
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Den Brief hat Marco Voge aufgesetzt, er ist Landrat des Märkischen Kreises und weist in dem Schreiben schon im Dezember 2021 auf die Probleme hin, die durch die Sperrung der Autobahn 45 wegen der damals einsturzgefährdeten Talbrücke Rahmede entstehen: mehr Verkehr auf dem nachgeordneten Streckennetz, das ohnehin veraltet und vom Hochwasser zum Teil beschädigt sei. In dem Brief heißt es weiter: „Einige Stellen werden ihrerseits durch die zunehmende Belastung auch durch Schwerlastverkehr zu Nadelöhren, die bei jeweiligem Ausfall weitere schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen würden.“
Umfangreiches Schadensbild an der Brücke in Kierspe
Großbaustelle Rahmedetalbrücke bei Lüdenscheid
Nadelöhr ist das richtige Stichwort: Denn die Lage auf den Ausweichrouten zur Autobahn 45 verschärft sich in diesen Tagen noch einmal. Bei einem Brückenbauwerk der Bundesstraße 237 in Kierspe, das über die Volme führt, wurde bei einer Sonderprüfung „ein umfangreiches Schadensbild an der Unterseite des Überbaus festgestellt“, wie der zuständige Landesbetrieb Straßen.NRW mitteilt.
Demnach handelt es „um eine Schadenserweiterung gegenüber der Bauwerksprüfung aus dem Jahr 2021“ mit schollenartigen Betonabplatzungen, starker Korrosion des Betonstahls und einer hochgradigen Carbonatisierung des Betons. Die Brücke muss entlastet werden, daher wird sie nur noch einspurig und mit Tempo 30 zu befahren sein. Es sei daher „mit Verkehrseinschränkungen zu rechnen“, sagt Andreas Berg von Straßen.NRW. Die Brücke werde nun einem engmaschigen Monitoring unterzogen, um auf eventuell auftretende Schadenserweiterungen schnellstmöglich reagieren zu können.
Kierspes Bürgermeister will weiteres Durchfahrtsverbot
Kierspes Bürgermeister Olaf Stelse empfindet die angedacht Lösung als nicht ausreichend und prüft gemeinsam mit Amtskollegen und dem Landrat die rechtlich umsetzbaren Möglichkeiten, um das durch die A-45-Sperrung erhöhte Verkehrsaufkommen zu begrenzen. Aus seiner Sicht wäre ein weiteres Durchfahrtsverbot auf der B 237 in Kierspe oder der B 54 ab Meinerzhagen hilfreich. Die Stadt Meinerzhagen befürworte das Durchfahrtsverbot.
Lüdenscheid quillt seit der Sperrung der A 45 über, vor allem der Schwerlastverkehr hat zugenommen. Deswegen gibt es seit zehn Tagen das Lkw-Fahrverbot für den Durchgangsverkehr auf der Bedarfsumleitung durch die Stadt und im Volmetal, das nach Hagen führt. Die Ausweichroute über Altena ist für Lkw ebenfalls unmöglich: Ein Brückenbauwerk ist dort durch einen ungenehmigten Schwertransport nachhaltig beschädigt und für Lkw gesperrt worden.
Durchfahrtsverbot führt zu mehr Verkehr in Breckerfeld
Fakt ist: Die Nachbargemeinden von Lüdenscheid sind längst in Sorge. Das Lkw-Fahrverbot in Lüdenscheid führt zu Verdrängungseffekten. „Nach gut anderthalb Wochen kann man subjektiv den Eindruck gewinnen, dass der Lkw-Verkehr noch einmal zugenommen hat“, sagt Breckerfelds Bürgermeister André Dahlhaus. Die Straße zwischen Halver und Breckerfeld sei schon jetzt extrem sanierungsbedürftig. „Wenn da jetzt noch mehr Verkehr drüberführt, dann wird sie noch mehr in Mitleidenschaft gezogen.“
Im Hagener Süden - in den Stadtteilen Eilpe und Dahl - kommen zwei Ausweichrouten an: Die durchs Volmetal und die aus Breckerfeld. Bezirksbürgermeister Michael Dahme sagt: „Der Ärger der Anwohner ist groß. Und die Schäden sind schon jetzt erkennbar, weil diese Straßen für eine andere Verkehrssituation ausgelegt sind.“ Sowohl in Hagen als auch in Breckerfeld werden Verkehrszählungen durchgeführt, um zu belegen, welchen Einfluss das Fahrverbot in Lüdenscheid hat. Es gäbe die theoretische Möglichkeit, es vor dem Verwaltungsgericht anzufechten.
Die Autos sind nicht das Problem, es sind die Lkw
Es sind erst anderthalb von mindestens fünf Jahren A-45-Sperrung herum. Bröseln die Brücken und Straßen schon jetzt dahin? Wenn ja: Welche wird die nächste sein? Und wie soll das alles dann erst in ein paar Jahren aussehen?
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Torsten Leutbecher, Professor für Massivbau an der Universität in Siegen, sagt, dass man unterscheiden müsse. „Pkw spielen für den Verschleiß einer Brücke oder einer Straße eine vernachlässigbare Rolle.“ Heißt: Nur die Lkw ruinieren nachhaltig – aus seiner Sicht aber eher die Straßen als die Brücken. „Seit 2003 wird auch die kleine Brücke in einer Gemeinde so gebaut, dass sie die gleiche Maximal-Belastung aushält wie eine Autobahnbrücke. Aber auch bei älteren Brücken, die der höchsten damaligen Brückenklasse entsprechen, ist nicht damit zu rechnen, dass sich ein erhöhtes Verkehrsaufkommen über drei oder vier Jahre entscheidend negativ auf die Lebensdauer des Bauwerks auswirkt.“
Schäden können sich schon nach wenigen Monaten zeigen
Das Schadensbild der Kiersper Brücke deute zumindest nicht darauf hin, dass die erhöhte Belastung schuld sei. „Auch wenn die Brücke über die Jahre ohne jeden Verkehr gestanden hätte, wäre das Schadensbild heute das gleiche.“ Anders sei das bei Straßen. „Die werden nicht für 100 Jahre gebaut, sondern müssen erneuert werden, wenn der Verschleiß eintritt. Und der kann bei erhöhtem Schwerlastverkehr, je nach Belastungsklasse und Straßenaufbau, schon nach wenigen Monaten sichtbar werden.“
Gerade wenn das Netz ohnehin marode und veraltet ist. „Unsere Straßen waren schon vor der Sperrung der A-45-Talbrücke Rahmede in keinem guten Zustand und die jetzige Situation verschärft die Lage noch“, sagt Landrat Voge: „Hinzu kommt die besondere Situation bei uns im Märkischen Kreis: Durch die Tallagen und Flüsse kann schon eine kaputte Brücke zum Verkehrsinfarkt führen. Die Talbrücke Rahmede ist dafür sinnbildlich. Unsere Topografie lässt kaum sinnvolle Ausweichrouten zu.“
Nachteile für die Region müssen kompensiert werden
Er fordert daher die Bundespolitik zum Handeln auf: „Wir brauchen große und zielgerichtete Investitionen in unser nachgelagertes Straßennetz in der Region. Die entstehenden Nachteile müssen kompensiert werden, wenn täglich tausende Lkw zusätzlich über unsere Straßen und Brücken fahren. Eine intakte Infrastruktur ist elementar zur Standortsicherung – und damit unsere Region lebenswert und wirtschaftsstark bleibt.“
Sein Wunsch sei von Beginn an ein weiträumiges Lkw-Durchfahrtverbot gewesen. „Dieser Forderung ist der Bund nicht nachgekommen. Das Problem ist auf die Kommunen verlagert worden“, sagt Voge. Sollten sich die Verdrängungseffekte dokumentieren lassen, „dann sind Land und Bund am Zug. Diese Unterstützung ist uns in Gesprächen zugesagt worden. Wir werden diese Unterstützung dann auch mit Nachdruck einfordern.“