Hagen. Ein Mammutprojekt: 38 Brücken müssen auf der A 45 neu gebaut werden. Eine Herausforderung - vor allem für den Projektleiter Michael Neumann.

Michael Neumann (57) steht auf dem neuen Teil der Lennetalbrücke in Hagen. Weißer Helm, blaues Polo-Hemd. Die beiden Enden des Bauwerks wachsen seit Wochen und Monaten aus entgegengesetzten Richtungen aufeinander zu. Viel fehlt nicht mehr. „Bald“, sagt Michael Neumann und blinzelt gegen die Sonne, „bald ist Stahl-Hochzeit.“ Die Vereinigung der beiden Bauteile. Mit Liebe gemacht. „Die Lennetalbrücke ist so ein bisschen unser Baby“, sagt der Hagener. Nicht, weil er einen Hang zur Romantik hätte, sondern „weil mit ihr auf der A 45 alles angefangen hat“.

Sie ist der Beginn eines Mammutprojekts: Ausbau und Sanierung der Autobahn 45. Dauer: fast 20 Jahre. Kosten: 2,5 Milliarden Euro. 38 Brücken müssen neu gebaut werden, sechsspurig wird es überall. Die Baustellen seien „wie an einer Perlenschnur aufgereiht“, sagt Neumann. Jede einzelne, das sagt dieser Satz auch, ist eine Kostbarkeit. Ein Einzelstück. Eine eigene Geschichte mit unvorhergesehenen Problemen.

Michael Neumann ist der, bei dem die Fäden zusammenlaufen. Projektleiter vom Landesbetrieb Straßen NRW für eine Multimillionen schwere Mission.

Der Herr der Brücken.

Der 2500-Millionen-Euro-Mann.

Schlechte Nachrichten kosten Geld

So will er das eigentlich nicht aufgeschrieben wissen. „Das alles ist Teamarbeit“, sagt er. Aber bei ihm laufen nun mal die Telefonate auf und die E-Mails ein. Rund 200 Schreiben pro Woche. Heute bislang nichts dringendes dabei. Das ist gut. Könnten ja auch schlechte Nachrichten darunter sein. Schlechte Nachrichten kosten meistens Zeit. Und Geld. Sehr viel Geld.

Wie an der Lennetalbrücke. Sie wird bei vollem Betrieb auf jeweils zwei Spuren in beide Richtungen neu gebaut. Bis zu 100.000 Autos am Tag. Die Lkw donnern über eine kleine Kuppe. Ein dumpfer Schlag pro Achse. Wie Paukenschläge. Die Autos summen vorüber. Hummelflug mit schlecht gestimmten Geigen. Das Orchester spielt aber ohne Unterbrechung.

Lebensader der Region.

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Die neu gebaute Fahrbahn „muss am Ende um 20 Meter auf die neuen Pfeiler quer verschoben werden“, erhebt Neumann die Stimme gegen den Lärm. Ende 2020 wird nun hoffentlich alles fertig werden. Verzug: fast ein Jahr. „Wir haben die Montage und Schweißarbeiten am gewölbten Übergang deutlich unterschätzt“, nennt der Diplom-Ingenieur eines der Probleme, „wir gingen von zwei bis drei Monaten aus. Tatsächlich dauerte es jetzt acht Monate.“ Ein Versäumnis? Ja, aber. „Das sind zwar in der Theorie Standardverfahren, aber jede Brücke ist ein Unikat“, erklärt Neumann: „Da gibt es keine Lösungen von der Stange.“

Deutschlandweit einzigartiges Projekt

Mit 105 Millionen Euro war die Brücke ganz zu Beginn der Planung veranschlagt, 130 Millionen werden es mindestens. Noch ärger war es bei der Brücke Rinsdorf nahe Siegen. Das 100.000 Tonnen schwere Teil muss mitsamt der fast 70 Meter hohen Pfeiler am Ende ebenfalls um 20 Meter verschoben werden. Deutschlandweit einzigartig.

A45-Ausbau- So wird die Talbrücke verschoben

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    „Mit einfachen Hilfsmitteln wie Teflon in Kombination mit speziellem Fett oder auch Spülmittel wird die Reibung sehr deutlich auf vier Prozent verringert“, sagt Neumann. Er zeigt auf eine Flasche Spülmittel, 250 ml, Zitrusduft. Auf die Teflonbeschichtung, bekannt von der herkömmlichen Bratpfanne, aufgetragen, gleitet sogar ein Bauwerk von der Schwere des Kölner Doms daher. So soll es jedenfalls sein. Die Branche beobachtet das Projekt gespannt. Zuletzt war eine Ingenieursdelegation aus Japan vor Ort. Die Technische Universität Berlin begleitet das Vorhaben.

    Gegenwert von mehreren Tausend Einfamilienhäusern

    „Bei diesem Projekt dabei zu sein, ist eine coole Geschichte, ein Glücksfall“, sagt Neumann. „Ich denke, ich spreche für das gesamte Team, wenn ich sage: Es erfüllt uns schon mit Stolz.“ Über seine berufliche Laufbahn hinaus werden die Projekte abgeschlossen. Bauzeitenende 2032. Wenn es perfekt läuft. Aber das tut es ja selten. Manch einer verzweifelt an seinem eigenen Hausbau. Neumann baut auf der A 45 im Gegenwert von mehreren Tausend Einfamilienhäusern. Über 38 Brücken musst du gehen.

    Baugrund okay?

    Statik abgenommen?

    Kosten im Blick?

    Er muss bautechnische Fragen beantworten, vertragliche, juristische, ökologische, finanzielle. Experten stehen ihm zur Seite. „Es ist eben kein 0815-Job“, sagt er.

    Jeder Millimeter ist entscheidend

    Als die Straße unter der Lennetalbrücke überschwemmt war, rief ihn die Feuerwehr mitten in der Nacht an, da war er gerade im Urlaub auf Mallorca. Wenn – wie bei der Brücke in Rinsdorf – der Baugrund nachgibt und das Projekt, das an jedem Millimeter scheitern kann, gefährdet scheint, landet das zunächst bei ihm. „Früher hat mich so etwas mehr gestresst“, sagt er. „Manches bewegt mich auch heute noch nach Feierabend. Ganz vermeiden kann man das nicht, aber es hilft auch nicht. Im Gegenteil: Damit muss ich professionell umgehen, sonst würde man ja nicht gesund bleiben.“ Pause. „Das gehört zum Spiel dazu.“ Pause. „Man muss das mögen.“

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    Lösungen für Probleme zu finden, das ist sein Job. Rund 80 Großbohrpfähle mussten im Fall Rinsdorf eingebaut werden, um den Baugrund zu stabilisieren. Das kostete fast ein Jahr. „Man kann da schon mal etwas unruhig werden, aber das meiste sind technische Fragen. Und technische Fragen lassen sich lösen.“

    Ronaldo und die Lennetalbrücke

    60 Prozent seiner Zeit, sagt er, sei er im Büro, den Rest bringt er auf der Baustelle zu. Ein kroatischer Schweißertrupp erscheint an der Lennetalbrücke. Handschlag. Gute Jungs, sagt Neumann. Er braucht sie für das Projekt. Fachkräftemangel.

    2,5 Milliarden Euro – Neumann kennt die Zahlen, sie beeindrucken ihn. Aber nicht zu sehr. Geld des Steuerzahlers. Er weiß, dass er damit sorgsam umgehen muss. „Aber wenn man deswegen grübelt oder schweißnass aufwacht, ist das auch nicht gut.“ Er sieht es lieber anders. „Die Lennetalbrücke“, sagt er, „ist letztlich auch nur ein Ronaldo.“