Olpe. . Warum Kliniken in Südwestfalen zunehmend junge Ärztinnen wie Gabriela Graur brauchen, die im Jahr 2011 aus dem Rumänien nach Olpe gekommen ist.

  • 63 Prozent der Assistenzärzte in Olpe und Lennestadt aus dem Ausland; 70 Prozent in Attendorn
  • Kliniken brauchen Mediziner aus dem Ausland, um Fachkräftebedarf zu decken
  • Wohnung, Sprachkurs, Behördengänge: Krankenhäuser erleichtern den Start

Zwerchfell. „Das hat gedauert, bis ich dieses Wort sagen konnte“, sagt Gabriela Graur. Sie kneift die Augen ein bisschen zusammen und zwängt es dann mit Mühe durch die Lippen. Für einen kurzen Moment stockt ihr Redefluss, im Übrigen aber sprudeln Sätze und Wörter nur so aus ihr hervor. Mit rollendem R und deutlichem Akzent. „Der, die und das – damit habe ich immer noch Probleme“, sagt Gabriela Graur.

Tendenz weiter steigend

Der Anteil der Ärzte aus dem Ausland nimmt weiter zu.

  • So liegt nach Angaben der Ärztekammer Westfalen-Lippe der Anteil der Assistenzärzte, die seit 2015 zugewandert sind, im Kreis Olpe bei weit über 80 %.

  • Im Kreis Soest sind es annähernd 80 %, im Märkischen Kreis und im HSK rund 70 %, in Hagen mehr als 60 %, in Siegen etwa 50 %, im EN-Kreis mehr als 20 %.

  • In der Uni-Stadt Münster sind es dagegen nur etwa 15 %.

  • Der Patient, an dessen Bett sie an diesem Nachmittag steht, begreift offenbar dennoch ohne Schwierigkeiten, was die Ärztin ihm über die weiteren Untersuchungen mit Herzkatheter erklärt. Das sei anfangs anders gewesen, gibt Gabriela Graur zu.

    Biggesee sehen – und bleiben

    2011 ist sie nach Olpe ans Martinus-Hospital gekommen – aus Rumänien. In der Nähe von Bukarest ist sie groß geworden, hat an einer Universität in Siebenbürgen Medizin studiert. Bleiben allerdings wollte sie dort nicht: „Ich hätte mich nicht so entwickeln können wie hier“, sagt sie. Die Kliniken hätten zu wenig Geld und zu wenig Technologie. So dürften die Assistenzärzte in manchen Krankenhäusern die medizinischen Geräte nicht benutzen, das sei den Oberärzten vorbehalten, berichtet sie. „Da wäre ich nicht weiter gekommen.“

    Deshalb hat sie sich auf den Weg nach Olpe gemacht. So wie manch anderer angehende Arzt im Kreis Olpe. „Wir brauchen die Kollegen aus dem Ausland“, sagt Thomas Klur, Pressesprecher der Hospitalgesellschaft in Olpe. Wie dringend, das machen die Zahlen deutlich: 63 Prozent aller Assistenzärzte an der katholischen Hospitalgesellschaft Südwestfalen, also den Krankenhäusern in Olpe und Lennestadt, kommen mittlerweile aus dem Ausland. Am Helios-Klinikum in Attendorn sind es derzeit etwa 70 Prozent. Anders lasse sich der Facharztbedarf an den Kliniken im ländlichen Südwestfalen nicht mehr decken, so Klur. Denn die Absolventen bleiben in den großen Hochschulstädten hängen (siehe Infobox).

    Ausländische Ärzte an Südwestfalens Kliniken

    St. Marien, Siegen – erstes "Fest der Kulturen"

    Mitarbeiter aus dem Ausland haben laut Kliniksprecher Christian Stoffers eine lange Tradition in Siegen – und nicht nur im Ärzteteam: "Auch beim Pflegepersonal merkt man die Krisen der Welt. Es gab zum Beispiel Zeiten, in denen viele Kollegen aus Korea zu uns kamen, oder aus Vietnam." Insgesamt haben 16% der Mitarbeiter (Ärzte wie Pfleger) keinen deutschen Pass – das Team besteht aus Kollegen aus 30 Nationen.  2017 gibt es ein Novum an der Klinik: Ende September findet das erste "Fest der Kulturen" im Krankenhaus statt.

    Helios, Bad Berleburg – Ärzte helfen beim Dolmetschen

    Auch in Bad Berleburg sind die zugewanderten Ärzte eine Bereicherung im Klinik-Alltag. Klinik und Stadt organisieren auch Sprachkurse für Ärzte und ihre Familien, erklärt Kliniksprecherin Antje Gröpl. Aber es komme auch viel zurück: Die Ärzte wiederum helfen mit ihren Arabischkenntnissen den Kollegen bei der Kommunikation – beispielweise, wenn Patienten aus der Landeserstaufnahme in die Klinik kommen. 

    Jung-Stilling, Siegen – Lücken ohne ausländische Ärzte nicht zu füllen

    "Die Vielfalt an Nationen öffnet die Tür zu unseren Patienten, die ebenfalls aus den verschiedensten Ländern kommen", erklärt Geschäftsführer Hubert Becher. In den Häusern des Klinikums der Diakonie (Siegen, Freudenberg, Kreuztal) sind 245 Ärzte beschäftigt – 63 stammen aus dem Ausland. Und zwar aus: Bulgarien, Kroatien, Griechenland, Litauen, Österreich, Polen, Rumänien, Russland, Türkei, Ukraine, Großbritannien, Serbien, Zypern, Libyen, Mauritius, Ägypten, Ecuador, Mexiko, USA, Indien, Irak, Jordanien, Libanon, Mongolei, Syrien, Arabische Republik und China. Alle neuen Ärzte lernen in einem Einführungskurs die Strukturen und Abläufe der Klinik und sprechen über EDV, Qualität, Medikamente etc. Aber auch die Sprache muss stimmen! Dazu treffen sich Kollegen aus gleichen Nationen zu internen Sprachkursen. Hubert Becher: "Ärztemangel betrifft alle Kliniken. Ohne Ärzte aus dem Ausland sind die Lücken in deutschen Kliniken nicht zu füllen.“

    St. Vincenz, Menden – 40% der Ärzte zugewandert

    Im Vincenz-Krankenhaus und in St. Elisabeth in Iserlohn sind 40% der Ärzte "multinationaler Herkunft" erklärt Kliniksprecherin Martina Schewe-Glembin. Beispiel Anästhesie: Hier arbeiten 22 Ärzte – davon je zwei aus Polen, Russland und Rumänen und einer aus Ägypten. Die Erfahrungen mit den ausländischen Kollegen sind laut ärztlichem Direktor Dr. Markus Berghoff "vorwiegend positiv".

    kath. Krankenhäuser, Hagen – 14 Kollegen 2017 zugewandert

    In den drei KKH-Häusern arbeiteten etwa 170 Ärzte – 37% davon kommen nicht aus Deutschland. 14 Kollegen sind 2017 zugewandert, erklärt Kliniksprecherin Martina Schewe-Glembin.

    Maria-Hilf, Brilon – ausländische Ärzte schon lange in Deutschland

    Auch das Briloner Krankenhaus Maria-Hilf beschäftigt einige Ärzte aus dem Ausland – die seien aber schon einige Jahre in Deutschland, erklärt Sprecherin Ann-Kathrin Eimer. Die Kollegen stammen zum Beispiel aus Rumänien, Libyen, Aserbaidschan, Uganda und Gabun.

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    Das Internet macht es möglich, dass Stellanzeigen der Olper Klinik auch in Rumänien gelesen werden, in Bolivien, Kolumbien oder Ägypten. Dort hat auch Gabriela Graur das Inserat entdeckt. Mit ihrem Mann ist sie im Zug nach Olpe gefahren. „Wir haben den Biggesee gesehen, die Landschaft, die Stadt – und haben uns gedacht, dass man hier Kinder großziehen kann“, erzählt sie.

    Den Start machte ihr die Klinik leicht: Sie half dabei, eine Wohnung zu finden. Sie vermittelte dem Ehemann einen Arbeitsplatz. Sie unterstützte dabei, ein Konto zu eröffnen. Sie hilft noch heute bei Behördengängen und Formularen. Und sie finanziert Sprachkurse.

    Vor allem aber investiert sie Zeit in die Mitarbeiter. Gabriela Graur konnte aus Siebenbürgen zwar Deutsch als sie nach Olpe kam. „Aber das ist ein ganz anderes Deutsch“, erklärt sie. So musste sie bei der Arbeit dazulernen, indem sie die Aufklärungsbögen für die Patienten durchging, bis sie selbst alles verstanden hatte, um es dann den Patienten so erläutern zu können, dass sie alles begriffen und auch über Komplikationen Bescheid wussten. „Anfangs habe ich Skepsis bei den Patienten gespürt“, räumt Gabriela Graur ein.

    Internationale Teams gebe es heute in vielen Unternehmen, sagt Kliniksprecher Thomas Klur. Das Vertrauern der Patienten in die Kollegen aufzubauen, die Deutsch nicht als Muttersprache gelernt haben, sei aber die besondere Herausforderung für die Kliniken.

    Mit Manndeckung

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    So hatte Gabriela Graur anfangs ständig einen Oberarzt hinter sich, der sich einmischen konnte, wenn es doch Probleme gab, erzählt sie. Wohlgemerkt Verständigungsprobleme, denn die Ausbildung der jungen Ärzte aus Rumänien sei sehr gut, betont Chefarzt Meinhard Sauer. Aber es dauere eben eine Weile, bis man die Entlastung spüre. „Für die Fachärzte ist das anfangs Mehrarbeit“, sagt Meinhard Sauer.

    Die Kliniken auf dem Lande müssen sie auf sich nehmen.