Witten/Herdecke. . Wissenschaftler der Uni Witten/Herdecke wollen herausfinden, wie es um die Arbeitszufriedenheit in den medizinischen Berufen bestellt ist.

  • Gesundheitsberufe gelten im Allgemeinen als belastend
  • Eine Studie der Universität Witten-Herdecke erhebt Daten
  • Experten beobachten den Praxisalltag der Medziner

Wichtig fürs Glück im Leben sind laut allen einschlägigen Untersuchungen menschliche Beziehungen. Wer also beruflich mit Menschen im Gespräch über wichtige Dinge ist und ihnen gar noch helfen kann, müsste eine hohe Zufriedenheit aufweisen. Zum Beispiel ein Arzt. Nur hat jeder dritte Arzt einmal im Leben einen Burnout, der Stresslevel ist ungewöhnlich hoch und es gibt überproportional häufig Suchtprobleme. Laut der Europäischen Agentur für Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit gehören die Gesundheitsberufe zu den am höchsten belasteten.

„Das ist ein gewisser Widerspruch“, meint Tobias Esch. Und den will der Professor für Integrative Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung an der Universität Witten/Herdecke aufklären. Ein über drei Jahre laufendes Forschungsprojekt soll untersuchen, wie glücklich deutsche Hausärzte und ihre medizinischen Fachangestellten mit ihrem Berufsleben sind und was es bräuchte, um das Glück zu erhöhen.

Sind sie abends zufrieden?

Nun gehören Hausärzte mit einem durchschnittlichen Jahresverdienst von 146 000 Euro (brutto) nicht zu den Unterprivilegierten, der Arztberuf ist immer noch der angesehenste im Land, und als Selbstständige müssen sie sich keinem schlecht gelaunten Chef unterordnen.

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Beschäftigen sich die Wissenschaftler also vielleicht mit einem Luxusproblem? Esch, der selbst als Allgemeinmediziner gearbeitet hat, antwortet mit einer Gegenfrage: „Was bedeutet es für das Patientenwohl, wenn er einem überarbeiteten, unkonzentrierten oder depressiven Arzt gegenüber sitzt?“ Das ist ein Argument. „Uns interessiert jetzt die Black Box Arztpraxis“, sagt Esch. „Da wollen wir mit der Taschenlampe hineinleuchten: Wie geht es den Menschen? Sind sie abends zufrieden? Und wovon hängt das ab?“

Rollenbilder haben Einfluss

Projektmitarbeiterin Lena Werdecker wird dazu Einzelinterviews führen, Gruppendiskussionen organisieren und den Praxisalltag beobachten. Dabei werden großstädtische und ländliche Niederlassungen betrachtet, die klassische Einzelpraxis oder die Gemeinschaftspraxis, in der eventuell Dienst- und Urlaubspläne existieren. „Wir gehen davon aus, dass die Rollenbilder Einfluss auf die Zufriedenheit haben und bei den Angestellten zusätzlich auch die Mitsprachemöglichkeiten, aber wir wollen ganz offen schauen, was ist“, sagt Werdecker.

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Annahmen und Hypothesen gibt es allerdings schon. Esch: „Wir gehen von einem hohen Druck aus. Ein in Einzelpraxis niedergelassener Arzt wird nicht krank. Aus Prinzip. Und weil er sonst die Praxis schließen müsste. Das dürfte Folgen haben.“ Anderes kennt man aus beliebten Arzt-Klagen: Ärger über die Dokumentationsflut, Beschwerden über Tätigkeiten, für die sie nicht ausgebildet sind, über die zu geringe Honorierung der sprechenden im Vergleich zu der Apparate-Medizin.

Programme sollen helfen, den Stress zu bewältigen

Aber manche klagen mehr als andere. Deshalb ist in der Untersuchung auch das Selbstbild wichtig: Ist der Arzt ein Altruist oder ein Job-Erfüller? Spielt er perfekt auf der Klaviatur des Abrechnungssystems oder verzweifelt er an einem System, das ihn dazu bringt, Dinge zu tun, die er nicht richtig findet? Letzteres fördert eine gefährliche Einstellung: „Zynismus ist eine wichtige Zutat zum Burnout“, erklärt Tobias Esch.

In solchen Fällen könnten Stressbewältigungsprogramme und Achtsamkeitstrainings die Zufriedenheit verbessern. Andere Fragen, die in der zweiten Forschungsphase eine Rolle spielen sollen: Welche Aspekte der Arbeit geben ihr einen Sinn? Wie kann ich sie stärken? Wo sind noch Ressourcen, die nutzbar wären? Also: Wie gehe ich kreativ mit der Situation um, dass zwischen dem Arbeitsalltag, wie ich ihn einst erhofft habe und dem Ist-Zustand ein Missverhältnis besteht?

Arbeit am Kulturwandel

Aber wäre es nicht besser, die Verhältnisse zu ändern, Herr Professor? Das stehe bedauerlicherweise nicht in seiner Macht, entgegnet Esch. Und man könne das eine tun, ohne das andere zu lassen. Deshalb setzt er auf eine Veränderung der persönlichen Einstellung und auf gemeinsame Arbeit an einem Kulturwandel.

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Und vielleicht lässt sich manchmal doch etwas an den Umständen ändern. „Eine Arbeit in einer anonymen Großstadtpraxis mag für einen Persönlichkeitstyp ideal sein, ein anderer mag sich in einer Landarztpraxis wohler fühlen“, meint Tobias Esch. Könnte ja sein, dass jemand einfach nur am falschen Platz ist.

So „einfach“ ist das für den Gesundheitsforscher dann aber auch nicht: „Werden wir das zeigen können? Wäre der Arzt am richtigen Platz glücklicher? Was macht das mit dem Team und den Patienten?“ Fragen über Fragen. Glück ist eben kompliziert. Weniger für die Patienten: Die können sich besonders dann glücklich schätzen, wenn sie keine werden, weil sie keinen Arzt brauchen. Michael Wessing (39) ist seit zweieinhalb Jahren Landarzt. Vom Kreiskrankenhaus Frankenberg/Eder ist der Facharzt für Allgemein- und Rettungsmedizin in eine Hausarztpraxis in Medebach gewechselt, die mit einer zweiten Gemeinschaftspraxis zusammen eine Filiale in Hallenberg betreibt.

"Man ist nah dran am Menschen"

Und? Schon desillusioniert? Frustriert von der Diskrepanz zwischen Erwartungen und Praxis? Kein bisschen. Im Gegenteil: „Im Krankenhaus trifft einen die volle Wucht des Systems. Den Wechsel in den ambulanten Bereich habe ich als Befreiung erlebt.“ Warum? Mehr Kontakt zu den Patienten: „Man ist enger dran an den Menschen.“ Warum dann nicht gleich so? Wessing hat lange geglaubt, eine eigene Praxis sei nur etwas für Arztkinder. Und man sei dann Einzelkämpfer. Hat sich anders entwickelt. Und warum ins Sauerland? „Der Liebe wegen.“ Probleme mit dem Landleben? Michael Wessing kommt aus dem Kreis Borken: „Ein ländlicher Hintergrund hilft. Man muss wissen, wie die Leute ticken.“

Gar keine Beschwerden? „Die medizinischen Rahmenbedingungen empfinde ich als ausreichend. Ich muss den Patienten nichts verkaufen, um überleben zu können. Hausärzte sind auch Koordinatoren im Gesundheitssystem. Ich finde das gut.“ Ein Fazit? „Der Praxis geht es gut, den Mitarbeitern und uns Ärzten ebenfalls, und das wird auch so bleiben.“