Dortmund. . Weil im Ballungsraum 800 neue Arztsitze entstehen, fehlen künftig auf dem Land noch mehr Ärzte. Wie Ärztevertreter den Mangel therapieren wollen.

  • Im Ruhrgebiet entstehen bald 800 neue Hausarztsitze
  • Experten fürchten: Landarztmangel in Südwestfalen dadurch verschärft
  • Landarztquote, Studienplätze Telemedizin: Ärzte suchen nach Mitteln gegen Mangel

18 Gemeinden stehen auf der Liste. 18 Gemeinden in ganz Westfalen-Lippe, in denen es bereits heute oder in absehbarer Zeit zu wenige Hausärzte gibt. Deshalb fördert die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) junge Mediziner, die sich dort niederlassen wollen, finanzkräftig. Annähernd die Hälfte, nämlich acht von diesen 18 Gemeinden, liegt in Südwestfalen.

Das Problem

Es dürften bald noch mehr Kommunen werden. Nicht nur, weil die Ärzteschaft in die Jahre gekommen ist: Im Raum Werdohl/Neuenrade zum Beispiel sind mehr als 77 Prozent über 60 Jahre alt. In Menden und Balve sind es 60 Prozent.

KOMMENTAR: Die Fieberkurve steigt

Mehr Arztsitze fürs Ruhrgebiet – das mag die Fieberkurve in Südwestfalen steigen lassen. Die eigentliche Krankheit – Hausärztemangel auf dem Land – hat jedoch andere Ursachen. Deshalb lässt sie sich auch nicht behandeln, indem man langfristig den bisherigen Sonderstatus der Ballungsgebiete aufrecht erhält.

Es gibt kein Patentrezept gegen die Unterversorgung auf dem Land, sondern nur viele kleine Heilmittel: Landarztquote und zusätzliche Studienplätze fernab der großen Unistädte mögen keine Wunder vollbringen, können aber Linderung verschaffen.

Die Telemedizin kann die persönliche Begegnung von Arzt und Patient gewiss nicht überflüssig machen, aber doch Zeit und Wege sparen – und damit auf dem Land schneller dringende Hilfe bringen. Vor allem aber muss sich eines ändern: die Auswahlverfahren für Studenten. Denn wegen seiner guten Noten wird niemand Landarzt.

Ein Kommentar von Nina Grunsky

Nachfolger für diejenigen zu finden, die bald in Ruhestand treten, wird nun noch schwieriger: Zum Ende des Jahres verliert das Ruhrgebiet den Sonderstatus, den es bisher hatte: In dem Ballungsgebiet gelten noch andere Bedarfszahlen als in anderen Regionen, so dass ein Hausarzt mehr Einwohner behandelt. „Dennoch gibt es keine Versorgungsprobleme – anders als im Sauerland“, so Michael Nordmann, 2. Vorstandsvorsitzender der KVWL.

Diese Sonderregelung läuft nun aus. Mit der Folge, dass ab Januar in dem gesamten Ballungsgebiet 800 neue Hausarztsitze entstehen, 350 davon in Westfalen-Lippe. „Die Kollegen werden auf dem Land fehlen. Das ist eine Katastrophe für die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung“, warnt Nordmann. Junge Leute ziehe es aller Erfahrung nach in die Ballungsgebiete, auch weil Ehepartner dort eher einen Job fänden als auf dem Land, sagt Nordmann.

Die Übergangsfrist

Deshalb drängt die Kassenärztliche Vereinigung nun darauf, diese Sonderregelung nicht mit einem Schlag zum Jahresende aufzuheben, sondern einen langen, sanften Übergang zu vereinbaren. Die Verhandlungen im gemeinsamen Bundesausschuss, in dem die Krankenkassen, Kassenärztlichen Vereinigungen, Politiker und Patientenvertreter zusammensitzen, liefen gut, hofft Nordmann auf eine Einigung im Herbst.

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Doch selbst wenn die kommt: Unter dem Strich bleiben es zu wenige Ärzte in Westfalen-Lippe, insbesondere auf dem Land. Jedes Jahr habe man einen „Ersatzbedarf von 200 bis 250 Ärzten, zum Beispiel durch Ruhestand, sagt Wolfgang-Axel Dryden, 1. Vorsitzender der KVWL. Doch nur 90 bis 100 junge Leute schlössen bei den Ärztekammern ihre Weiterbildung ab. Wenn sich von diesen wenigen noch mehr im Ruhrgebiet niederlassen könnten als bisher, „werden wir Probleme bekommen“.

Die Landarztquote

Ob die Landarztquote hilft, die die schwarz-gelbe Landesregierung im Koalitionsvertrag vereinbart hat, da gehen die Meinungen der Ärztevertreter auseinander. Die Idee: ein Teil der Medizinstudienplätze soll an Bewerber vergeben werden, die zwar nicht den nötigen Notendurchschnitt haben, sich aber verpflichten, später auf dem Land zu praktizieren.

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Die Erfahrung mit ähnlichen Verpflichtungen, zum Beispiel beim Medizinstudium bei der Bundeswehr habe gezeigt, dass sich die Absolventen entweder aus der Verpflichtung vor Gericht herausklagten oder sich freikauften, lehnt Theo Windhorst, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe die Quote ab. Wenn nur ein Teil der Studenten sich an die Verpflichtung halte, sei etwas gewonnen, hält Gerhard Nordmann dagegen.

Medizinstudienplätze

Neue Medizinstudienplätze in Bielefeld (200 bis 300) und 25 in Siegen – davon werde der Arztmangel nicht abgeschafft, sagt Wolfgang-Axel Dryden. Sie könnten aber einen Klebeeffekt haben und junge Menschen in den unterversorgten Regionen halten. Mit einem Modell wie in Siegen hole man Studenten zumindest aus den großen Unistädten wie Bonn heraus in die Nähe der Praxen, wo sie gebraucht würden.