Hagen. . Elternvertreter aus Münster hält Fahrten von Siebtklässlern ins Sauerland für eine Strafe. Sauerland-Tourismus staunt über diese Ansicht.

  • Elternvertreter aus Münster hält Klassenfahrten von Siebtklässlern für eine Strafe
  • Sauerland-Tourismus wundert sich über altväterliche Ansichten
  • Auf Schulkllassen warten für Fahrten Angebote aller Art

Sowohl die Kinder als auch wir Eltern sind letztendlich zum Ergebnis gekommen, dass es sinnvoll ist, gerade jetzt dorthin zu fahren, denn, wo soll man denn sonst die Kinder hinschicken? Vielleicht ins Sauerland nur noch? Das kann es doch nicht sein.“ Holger Schulze, Vorsitzender der Schulpflegschaft am Ratsgymnasium Münster, im WDR 2 auf die Frage, warum 90 Schüler der 7. Klassen nach London gefahren sind.

Klassenfahrt ins Sauerland? Holger Schulze tut so, als sei das eine Strafe. Kein Lehrer, kein Vater und keine Mutter dürfe das den Schülern antun. Mädchen und Jungen aus Münster, 12 und 13 Jahre alt, für fünf Tage zu Gast im ländlichen Raum? Bitte nicht.

Vermutlich hat der Vorsitzende der Schulpflegschaft des Ratsgymnasiums in Münster Bilder von früher im Kopf. Sie wissen schon, die leeren Milchkannen am Straßenrand, die wilden Weiber am Lennestrand, diesen ganzen dampfenden Mist im Sauerland. Provinz eben.

Stopp. Seien wir nicht so böse und bewahren Haltung. Warum sollten die Kinder aus der westfälischen Metropole ihren Horizont nicht in der 8,2-Millionen-Megastadt London erweitern? Dagegen kann kein Pädagoge, kein Elternteil etwas haben.

Mehr als Höhlen und Talsperren

Auch Thomas Weber nicht. Er weiß, Reisen bildet, öffnet den Zugang zu anderen Kulturen, fördert Sprachkenntnisse. Gleichwohl, das im Radio verbreitete Zitat hat dem Geschäftsführer vom Sauerland-Tourismus nicht geschmeckt: „So werden alte Klischees bedient. Das Sauerland als altväterliches Ziel, als Synonym für Rückschritt, als Region, von der nichts zu erwarten ist.“ Da muss er schlucken.

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Diese Unkenntnis, gepaart mit dem unschmeichelhaften Image, sind Ansporn für ihn. Er zeigt Möglichkeiten auf, die sich dem Nachwuchs bieten, um Tage zu erleben, die sich ins Gedächtnis brennen: „Wer glaubt, das Sauerland besteht aus Tropfsteinhöhlen und Talsperren, dem darf geholfen werden.“

Das Alternativ-Programm fängt mit der Anfahrt an. Gut zwei Stunden liegen zwischen Münster und Schmallenberg, schlappe 140 Kilometer. Eine kurze Fahrt, aber lang genug, um zu begreifen, dass die Menschen hier keine Felle mehr tragen und beim Streit nicht zur Keule greifen.

Der Sauerland-Tourismus hat im Zu sammenspiel mit den Jugendherbergen, sei es in Brilon, Bilstein oder Altena, Angebote aller Art für Klassenfahrten. „Mir liegt“, so Weber, „besonders die Annäherung der Kinder an die Natur am Herzen.“ Altersgerecht aufbereitet, können die Klassen Flora und Fauna spielerisch kennenlernen. „Es sind Programme“, sagt Knut Dinter, Sprecher des Deutschen Jugendherbergswerkes, „die Wissen fernab vom theoretischen Unterricht praxisnah vermitteln. Im Zeitalter digitaler Medien werden praktische Erfahrungen in der ,Heimat’ immer wichtiger.“

Wer an dieser Stelle am Aasee gähnt, unterschätzt die Nachhaltigkeit dieser Aufenthalte. Wenn Pflanzen und Tiere aus Büchern per Augenschein ein Gesicht bekommen, wenn die Ernährung mit Wissen und Experimenten unterfüttert wird, wenn der Förster die Verfassung der Bäume im Wald „abliest“, saugen die Kinder das neue Wissen in fremder Umgebung begierig auf. Alles ist echt.

Unbekannte Naturschönheit

Das führt uns wieder zum Anfang. Wie soll das Sauerland reagieren, wenn Eltern, sei es im Münsterland oder im Ruhrgebiet, ihren Kindern das Bild ihrer Eltern vom Sauerland überliefern?

Es bleibt eine harte Nuss, das Sauerland als das zu vermitteln, was es ist: eine Region mit innovativen familiengeführten Unternehmen im Grünen, mit hohem Freizeitwert, geringer Arbeitslosigkeit und bemerkenswerten Berufsaussichten. Firmenbesichtigungen bei Weltmarktführern eingeschlossen.

Vor knapp vier Jahren, so die Ergebnisse einer Studie von Sauerland Initiativ und der Fachhochschule Südwestfalen, hatten 44 Prozent der unter 25 Jahre alten Frauen und Männer in Nordrhein-Westfalen weder vom Sauerland gehört, geschweige denn waren sie jemals an einem Ort zwischen Altena und Züschen.

Was also tun? Elternvertreter aus Münster einladen? Patenschaften zwischen Schulen hier und dort, zwischen westfälischer Hauptstadt und der Diaspora im Süden des Landes?

Oder vielleicht ein Besuch in Petersburg mit Kaffee und Kuchen? Gute Idee. Gerade jetzt ist es sinnvoll, dorthin hin zu fahren. Unweit des Attendorner Ortsteils wartet die Eremitage Südwestfalens, das Südsauerlandmuseum. Und bis die Ahnungslosen merken, dass sie nicht in Russland sind, sitzen sie im Café und erfreuen sich ihrer neu gewonnenen Erkenntnisse. Woll?