Hagen. . Das Geschäft mit ausländischen Pflegerinnen boomt – aber viele Frauen arbeiten illegal. Die erste Folge unseres “Pflegereport Südwestfalen“.
- Doppelte Not schafft einen grauen Markt. Viele Senioren brauchen Hilfe, viele polnische Frauen brauchen Geld
- Doch keine polnische Betreuerin kann 24 Stunden täglich 7 Tage in der Woche arbeiten
- Vor der Entscheidung über Hilfe ist deshalb Beratung wichtig
Oma kann nicht mehr alleine leben. Ins Altersheim will sie nicht. Die Kinder wohnen weit weg. Also sucht die Familie nach einer Betreuung rund um die Uhr für Zuhause. Mit deutschen Arbeitskräften ist das unbezahlbar. Daher soll eine Polin kommen. Vor dieser Situation stehen Tausende Haushalte. Der Markt ist riesig, und er wächst und wächst.
Pflegereport Südwestfalen – Alle Folgen
- Folge 1: Pflege – Arbeiten in der Grauzone
- Folge 2: Kosten und Konflikte in der Pflege
- Folge 3: Eine Pflegerin erzählt
- Folge 4: Die Angst vor der Hilflosigkeit
- Folge 5: Eine Familie erzählt (22. Juni)
„Man kann nur schätzen, wie viele ausländische Pflegekräfte in Deutschland beschäftigt sind, es gibt keine Registrierung, viele werden nicht über legale Agenturen vermittelt. Man geht von 150 000 bis 200 000 Menschen aus, die pro Jahr in privaten Haushalten tätig sind“, bilanziert Prof. Dr. Michael Isfort, Vorstand des deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung in Köln. Rund 260 Vermittlungsagenturen gibt es in Deutschland. Der Anteil der irregulär Beschäftigten liegt nach Schätzungen Isforts bei 90 Prozent.
Caritas Olpe mit Pionierfunktion
Häufig ist es Mundpropaganda, über die Familien an eine Betreuerin kommen. Sei es, dass Nachbarn von ihren guten Erfahrungen mit bestimmten Agenturen berichten oder dass Privatpersonen über Kontakte nach Polen selbst in das Geschäft einsteigen. Die doppelte Not bringt die Parteien zusammen: Die Senioren brauchen Hilfe, und die polnischen Frauen brauchen Geld. Oft werden diese Pflegerinnen wegen ihre Freundlichkeit in den Familien adoptiert. Genauso oft geht die Sache schief. „Vielfach stellt es sich heraus, dass die Erwartungen überzogen sind, es geht gar nicht, dass die Pflegekraft immer da ist, das geht nur in Kombination mit anderen Versorgungsprogrammen“, so Isfort.
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Der Caritas-Verband für den Kreis Olpe ist Pionier. Zusammen mit den Caritasverbänden Soest und Paderborn hat er 2009 ein Modell entwickelt, das Senioren hilft und die Helferinnen nicht aus dem Blick verliert. Über „CariFair“ bringt die vielfach ausgezeichnete Initiative in Zusammenarbeit mit der polnischen Caritas im Partnerbistum Elk auf den deutschen Arbeitsmarkt vorbereitete Pflegekräfte mit deutschen Bedürftigen zusammen. So entstehen legale Beschäftigungsverhältnisse zu bezahlbaren Preisen.
Doch auch bezahlbar kostet. „Die Preise sind sehr variabel, das fängt über die Vermittlungsagenturen bei 1800 Euro im Monat an und ist gestaffelt nach Kompetenz und Sprachvermögen. Der Schwarzmarkt entsteht dadurch, dass viele sagen, das will ich billiger haben“, beschreibt Prof. Isfort.
In der Grauzone sind nicht nur die Frauen ohne Schutz, auch die Familien finden bei Konflikten keinen Ansprechpartner. „Die Probleme, die im Alltag entstehen, werden oft unterschätzt. Man kommt sich sehr nahe, man muss sich vertrauen, es geht auch darum, dass man sich fair miteinander verhält. Die Idee, die Polin kann 24 Stunden am Tag sieben Tage lang durcharbeiten, die funktioniert nur ganz begrenzte Zeit“, so Isfort.
Isolation als Problem
Zu den Problemen der Pflegerinnen hingegen gehört die Isolation. Sie sollten über das Internet oder Telefon mit ihren Familien in Verbindung bleiben können. Um die Einsamkeit zu durchbrechen, bietet zum Beispiel die kfd Meschede alle drei Monate ein Treffen an.
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50 Familien nehmen im Kreis Olpe das Angebot von CariFair in Anspruch. „Das Modell besteht darin, dass eine Caritas-Sozialstation den Pflegebedürftigen fachlich begleitet und wir auf Seiten der Betreuungskraft bei Problemen zur Verfügung stehen“, erläutert Jürgen Voß, der Leiter des Caritas-Zentrums Lennestadt und Kirchhundem. Dass eine Fachkraft im Boot ist, sichert die Qualität. Koordinatorinnen, die polnisch und deutsch sprechen, halten den Kontakt. „Immer häufiger kommen Betreuungskräfte, die in Deutschland illegal tätig sind, zu uns und fragen: Kann ich nicht bei Euch arbeiten? Das freut uns, weil wir zeigen wollen, dass es auch legal geht“, schildert Voß.
In den sozialen Berufen und den Beratungsstellen der Kommunen gibt es vielfach Widerstand gegen Betreuungskräfte aus Polen. Aber: „Es wäre dramatisch, wenn man diese Arbeitsverhältnisse unmöglich machen würde“, so Voß. „Es ist eine Realität in Deutschland und Europa“, betont Voß, warum ein Träger wie die Caritas in diesem Bereich aktiv wird. „Die stationäre Pflege ist für die Kommunen relativ teuer. Alles, was ich ambulant über diesen Weg hinkriege, belastet die Kommunen nicht, weil die Familien das zahlen.“ In Südwestfalen machen neben Olpe auch Brilon und Soest bei CariFair mit.
>>> HINTERGRUND: WO FINDE ICH HILFE?
Pflegeberatung wird von den Kommunen angeboten, aber auch von den Krankenkassen und den privaten Pflegediensten.
Caritas, Diakonie, AWO, ASB und weitere Wohlfahrtsorganisationen sind gute Adressen, um sich über die Betreuungsmöglichkeiten zu informieren.
Jürgen Voß hat einen Tipp: „Es muss nicht immer 24-Stunden-Pflege sein. Manchmal reicht ambulante Unterstützung in Kombination mit der Tagespflege schon aus.“
Die Stiftung Warentest gibt in ihrem aktuellen Heft Tipps zur Pflege zu Hause.