Berlin. Sex und Verhütung werden im Alter oft zum Tabuthema – mit ernsthaften Gesundheitsrisiken. Ein Facharzt klärt auf und gibt wichtige Tipps.

Sexualität kennt kein Alter – doch das Bewusstsein für die damit verbundenen Gesundheitsrisiken oft schon. Stichwort: „Safer Sex“. Während sexuell übertragbare Infektionen – kurz STI – bei jungen Menschen häufig diskutiert und thematisiert werden, geraten ältere Menschen oft aus dem Blickfeld. Das beginnt tendenziell ab der Ehe, wird aber mit zunehmendem Alter kritischer. Aktuelle Studien zeigen einen alarmierenden Anstieg von STI-Fällen in der Generation 50+, wie die Deutschen STI-Gesellschaft (DSTIG) betont.

Trotz eines aktiven Sexuallebens in der zweiten Lebenshälfte fehle vielen älteren Menschen das notwendige Wissen und die Vorsicht im Umgang mit sexuell übertragbaren Infektionen, warnt Venerologe Norbert Brockmeyer. Der Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten ist DSTIG-Präsident und gründete 2015 an der Ruhr-Universität Bochum das Zentrum für Sexuelle Gesundheit und Medizin, das er sechs Jahre lang leitete.

Antworten auf die wichtigsten Fragen rund um die Gründe für diese Entwicklung, die Gesundheitsrisiken und welche Maßnahmen notwendig sind, um auch im Alter beim Sex sicher und gesund zu bleiben.

Was versteht man unter STI?

Die Abkürzung STI kommt aus dem Englischen und steht für „sexually transmitted infections“ – übersetzt sexuell übertragbare Infektionen. Diese werden, wie der Name sagt, hauptsächlich durch sexuellen Kontakt übertragen. Dazu zählen Vaginal-, Anal- und Oralsex, aber auch der Austausch von Körperflüssigkeiten. Insgesamt mehr als 30 verschiedene Erreger können so von Mensch zu Mensch weitergegeben werden.

Was sind die häufigsten Geschlechtskrankheiten?

Zu den bekanntesten STI gehören HIV/Aids, Gonorrhö (Tripper), Syphilis, Herpes genitalis, HPV (Humanes Papillomavirus), Chlamydien und Hepatitis B. Expertinnen und Experten beobachten seit Jahren einen Anstieg der Infektionszahlen, insbesondere bei Gonokokken (Tripper-Erreger) und Syphilis.

Chlamydien: Oft übertragen, selten entdeckt

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    Untersuchungen aus den USA zeigen, dass sich die Zahl der STI im letzten Jahrzehnt bei den 55- bis 64-Jährigen verdoppelt hat. „In Großbritannien gab es bei den über 45-Jährigen von 2015 bis 2019 sogar eine Verdopplung der Fälle von Gonorrhoe und Syphilis“, betont Brockmeyer. Und auch in Deutschland verzeichnet das Robert Koch-Institut mit Blick auf die letzten 20 Jahre bei der Syphilis einen starken Anstieg – wenn auch bei älteren Menschen im Vergleich zu jüngeren auf deutlich niedrigerem Niveau. Die Neuinfektionen stiegen laut letzter Messung von 2021 auf 2022 um 23 Prozent – immerhin auf rund 8500 gemeldete Fälle. Betroffen sind hier mit 94 Prozent vor allem Männer.

    Was sind die verbreitetsten STI unter Älteren?

    Gesicherte Zahlen gibt es in Deutschland nur für Syphilis. „Syphilis gilt als sogenannte Markerinfektion. Daher steht die Infektionsrate quasi stellvertretend für alle anderen STI“, erklärt Venerologe Brockmeyer. Was ihn beunruhigt: „Auch wenn die absoluten Zahlen relativ niedrig erscheinen, zeigt sich deutlich ein Trend nach oben.“ Zudem vermutet er eine Untermeldung sexuell übertragbarer Infektionen in der Altersgruppe 50+. Als mögliche Gründe vermutet Brockmeyer: Die Scheu Betroffener zum Arzt zu gehen oder die STI würden schlicht nicht als solche erkannt.

    Wie merkt man, dass man eine Geschlechtskrankheit hat?

    Wichtig ist es laut Experte Brockmeyer überhaupt erstmal an eine STI zu denken – das gelte für potenzielle Betroffene, insbesondere aber auch für Ärztinnen und Ärzte. „Immerhin ist Sexualität nichts, was mit 50 oder 60 oder 70 irgendwann endet, sondern Sexualität ist gerade im Zeitalter von Viagra teils bis ins hohe Alter ein Thema“, betont der Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten. „Mein ältester Patient mit einer Geschlechtskrankheit war 84 Jahre alt. Er hatte eine Syphilis.“

    Erschwerend zu Scham und Scheu käme hinzu, dass die meisten Geschlechtskrankheiten ohne Symptome auftreten. Das betreffe deutlich über der Hälfte der Fälle, so Brockmeyer. Er rät daher spätestens nach jedem oder jeder vierten bis fünften Sexualpartner oder -partnerin zu einer pauschalen Testung auf STI.

    Bei folgenden Symptomen sollte man laut Brockmeyer in jedem Falle hellhörig werden:     

    • kleine Bläschen (im Intim- oder Mund-/Rachenbereich)
    • Geschwüre (im Intim- oder Mund-/Rachenbereich) – egal ob schmerzhaft oder schmerzlos
    • Ausfluss
    • Brennen und/oder Schmerzen (im Intimbereich)
    • Unangenehmer oder ungewöhnlicher Geruch (im Intimbereich)

    Bei einer schwerwiegenderen Infektion können auch weitere Symptome auftreten:

    • Fieber
    • geschwollene Lymphknoten
    • erhöhte Leberwerte
    • Augenbeteiligung
    • Gelenkschmerzen/Schwellungen

    Warum wird die Gefahr insbesondere von älteren Menschen unterschätzt?

    Gerade ältere Menschen wiegen sich laut Brockmeyer in einer „Pseudo-Sicherheit“. Eine Untersuchung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) habe gezeigt, dass sich die Generation 50+ in ihren Alterskreisen relativ sicher fühle – verbunden mit dem Gedanken: „Da wird schon keiner etwas haben.“

    „Mit der Sorge vor einer ungewollten Schwangerschaft scheint auch die Sorge vor Geschlechtskrankheiten zu verschwinden“, fast Brockmeyer zusammen. Zudem sei das Wissen über STI bei Älteren zu gering.

    Norbert Brockmeyer, Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten, blickt nachdenklich in die Ferne.
    Norbert Brockmeyer, Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten, sieht im Anstieg von Geschlechtskrankheiten bei älteren Menschen ein Alarmzeichen. Er warnt vor mangelnder Aufklärung und Vorsorge. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

    Welchen Konsequenzen hat das mit Blick auf STI im Alter?

    „Bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr können gerade ältere Frauen leichter eine sexuelle Infektion erwerben als jüngere“, erklärt der Spezialist. Der Grund: Im Alter sei die Schleimhaut nicht mehr so elastisch. Zudem werde die Scheide trockener. Die Konsequenz: Das Risiko für Mikroverletzungen im Intimbereich steigt und dadurch die Infektionsgefahr, da Keime leichter eindringen können. „Das können auch Gleitmittel nicht vollständig verhindern“, so Brockmeyer.

    Hinzukomme, dass gerade ältere Menschen, egal um welche Erkrankung es sich handelt, oft stärkere Symptome zeigen und länger für die Regeneration brauchen als in jüngeren Jahren. „Wir müssen daher unbedingt anfangen, bei sexueller Aufklärung stärker auch an ältere Menschen zu denken“, betont Brockmeyer.

    Wie könnte Aufklärungsarbeit konkret aussehen?

    Brockmeyer geht es darum, sexuelle Gesundheit insgesamt als Lebensaufgabe zu sehen, beginnend im Kindesalter, über die Schule, bis ins hohe Alter. „Ich sage immer von der Wiege bis zur Bahre.“ Wichtig ist ihm dabei, „den Menschen keinesfalls zu sagen, dass der Spaß irgendwann vorbei ist.“ Vielmehr gehe es darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie wichtig Verhütung ist, und zwar nicht zur Verhütung einer Schwangerschaft. Und dass Verhütungsmittel nicht tabuisiert oder als etwas Lust-minderndes gesehen würden.

    Fest steht für den Experten: Eine umfassende Aufklärungsarbeit über STI muss verschiedene Kanäle und Zielgruppen berücksichtigen – eben verstärkt auch ältere Menschen. Brockmeyer denkt hier an Öffentlichkeitskampagnen, Workshops, Aufklärung beim Hausarzt, aber auch anonyme Testmöglichkeiten für STI in Gesundheitsämtern, Kliniken oder bei niedergelassenen Ärzten.

    Konkrete Tipps des Experten für das Sexualleben „älterer“ Menschen

    • Im Vorfeld offen mit Sexualpartner oder -partnerin über Verhütung oder vergangene Sexualkontakte sprechen
    • Zum Schutz neben Kondomen auch etwa Lecktücher oder Femidome nutzen
    • Auf die richtige und konsequente Anwendung von Verhütungsmitteln achten
    • Bei jeder Art von Intimität auf entsprechenden Schutz achten – etwa auch bei Oralverkehr
    • Sich konsequent nach vier bis fünf Sexualpartnern auf STI testen lassen