Berlin. Was macht guten Sex aus? Viele Menschen wissen das gar nicht so genau. Experten erklären, wie sich das ändern lässt – in jedem Alter.

Es gibt Menschen, die haben von Natur aus eine starke Verbindung zu ihrer Sexualität. Sie wissen intuitiv, was sie mögen und was nicht – sie haben eine klare Vorstellung von ihren Vorlieben, Fantasien und Bedürfnissen. Oft ist jedoch das Gegenteil der Fall.

Es gibt eine große Unsicherheit, was die eigenen Wünsche betrifft. Vielen ist gar nicht bewusst, was ihnen sexuelle Erfüllung bringt – oder sie realisieren nicht, wie unzufrieden sie mit dem eigenen Sexualleben sind. Sie haben nie hinterfragt, ob der Sex mit dem Partner oder der Partnerin für sie erfüllend ist.

Das bestätigt auch Sexualwissenschaftler Ulrich Clement, der in Heidelberg als Paar- und Sexualtherapeut arbeitet. „In der Tat ist es so, dass sich viele nicht klarmachen, was sie wollen“, so Clement. „Und wenn sie nicht wissen, was sie wollen, können sie es auch nicht ihrem Partner sagen und der kann sich nicht danach richten.“ Dabei sei ein hohes Maß an Bewusstsein für sowohl eigene Wünsche als auch Abneigungen unabdingbar für eine befriedigende Sexualität.

„Ich erlebe Menschen, die mit ihrem Leben unzufrieden sind“, erzählt Clement. „Dass das mitunter mit einem unerfüllten Sexualleben zusammenhängt, vermuten sie nicht.“ Dass ein Bewusstsein dafür fehlt, kann verschiedene Gründe haben: gesellschaftliche Tabus, fehlende Aufklärung oder persönliche Unsicherheiten. Manchmal sei es auch so, dass Menschen etwas wollen, was ihnen selbst ein mulmiges Gefühl bereitet, meint Clement. „Wer sich seine ungewöhnlichen Vorlieben nicht eingesteht, verdrängt dann diese Seite seines Verlangens.“

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Guter Sex: Sich selbst besser kennenlernen statt zu delegieren

Doch wie erkennt man, dass das eigene Sexualleben womöglich weniger erfüllend ist, als es sein könnte? Wie findet man heraus, was (mehr) Erfüllung bringen könnte? In jedem Falle ist es hilfreich, sich selbst besser kennenzulernen und die eigene Sexualität zu erforschen.

„Jeder sollte mit seinem Körper so vertraut sein, dass man ihn gerne mit jemand anderem teilt“, betont Sexualtherapeutin Vivian Jückstock. „Wenn ich beim Sex alles an den Partner delegiere und meine, der müsse wissen, wie er mit meinem Körper umgehen muss, damit ich gute Gefühle habe, ist das nicht nur hochgradig unrealistisch, sondern auch unfair.“

Ein inniger Kuss, Streicheleinheiten, Fesseln? Es gibt eine große Unsicherheit, was die eigenen sexuellen Wünsche betrifft.
Ein inniger Kuss, Streicheleinheiten, Fesseln? Es gibt eine große Unsicherheit, was die eigenen sexuellen Wünsche betrifft. © iStock | Unbekannt

Die Psychologin ist im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung und erlebt in ihrem Praxisalltag immer wieder große Verunsicherung. „Statt auf sich selbst und den eigenen Körper zu hören, orientieren sich viele Hilfesuchende an irgendwelchen Ratgebern und vermeintlichen Idealen“, sagt Jückstock – „und dann wundern sich, dass es nicht besser wird.“

Es sei wichtig zu verstehen, dass sexuelle Bedürfnisse und Vorlieben individuell sehr unterschiedlich seien und sich im Laufe des Lebens verändern können. Da sind sich die Experten einig. Ratschläge sind laut Jückstock Hilfestellungen, wenn jemand spüre, dass er etwas ändern will.

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Sexleben verbessern: Sich bewusst Anregungen holen – etwa in Sex-Shops

„Es geht darum Dinge auszuprobieren, sich selber auch im Rahmen von Sex zu erfahren und dadurch eine Idee davon zu bekommen, was ich gut finde“, erklärt Carsten Müller, der in seiner Duisburger Praxis für Sexualität ebenfalls seit vielen Jahren Menschen zu allen Fragen rund um das Thema Sex begleitet.

Anregungen zum Experimentieren gibt es laut des Experten genug: in Filmen, Romanen, Zeitschriften oder auch Pornografie. „Auch ein Gang in den Sexshop kann helfen zu spüren, was einem gefallen könnte und auch, was nicht.“

Eine andere Möglichkeit ist laut Clement die Arbeit mit dem Konjunktiv. „Ich frage gerne: Angenommen, Sie wüssten, was Ihnen gefällt, was wäre das?“ Ein rhetorischer Trick, der aber zum Nachdenken anregen könne.

Auch eine Verständigung darüber, was man alles nicht mag, sei eine Notwendigkeit. „Seine sexuellen Abneigungen zu kennen und klar kommunizieren zu können, ist gerade dann extrem wichtig, wenn zwischen den Partnern Uneinigkeit herrscht.“ Fest steht: Wer seine eigenen sexuellen Bedürfnisse kennt, kann auch besser entscheiden, was er oder sie in sexuellen Situationen möchte und was nicht.

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„Tratschen“ als Weg in die Kommunikation von sexuellen Bedürfnissen

„Wichtig ist, dass sich bei aller Experimentierfreude niemand unter Druck gesetzt fühlt“, sagt Carsten Müller. „Warum etwas ändern, wenn man zufrieden ist und sich keine Veränderung wünscht. Im Restaurant würde ich auch nie aus Prinzip die ganze Speisekarte durchprobieren.“ Ebenfalls wichtig ist ihm, den Orgasmus von seinem Thron zu holen: „Manchmal kann der Weg dorthin viel erfüllender sein als der Orgasmus selbst.“

Auch in den Beziehungen von älteren Menschen spielt Sexualität noch eine wichtige Rolle.
Auch in den Beziehungen von älteren Menschen spielt Sexualität noch eine wichtige Rolle. © blackCat/iStock | Unbekannt

Grundsätzlich gilt: Es gibt keine „richtigen“ oder „falschen“ sexuellen Bedürfnisse, solange sie einvernehmlich ausgelebt werden und niemandem Schaden zufügen, betont Sexualtherapeut Clement. „Die sexuelle Selbstbestimmung ist hier das höchste Gut.“ Natürlich nur, solange diese im Rahmen ethischer und gesetzlicher Grenzen ausgelebt wird.

Ist das gegeben, aber die Hemmschwelle zu groß, sich dem Partner oder der Partnerin zu öffnen, kann eine harmlose, aber hilfreiche psychologische Wendung helfen, verrät Clement: „Tratschen! Wir erzählen oder spekulieren, was andere vermeintlich ausprobiert haben, und können so in der Reserve bleiben und uns indirekt unseren eigenen Wünschen annähern.“