Berlin. Jahrelang das Bett nur mit einer Person zu teilen, hat Tücken. Wie spricht man die Idee einer offenen Beziehung an, ohne zu verletzen?
- Viele Langzeitpaare stehen irgendwann vor dem Problem, dass ihre Bindung zueinander zwar hoch ist, aber die Leidenschaft nachlässt
- Mitunter kreisen dann die Gedanken um die Möglichkeit einer offenen Beziehung
- Aber wie soll man den Wunsch nach einer offenen Beziehung ansprechen? Eine Paartherapeutin erklärt einen häufigen Fehler von Paaren
Spätestens seit der sexuellen Revolution in den 1970er Jahren, als sexuelle Bedürfnisse zunehmend enttabuisiert und toleriert wurden, ist das Konzept der lebenslangen Monogamie in die Kritik geraten. Heute treten moderne Beziehungsmodelle wie "offene Beziehungen" oder "Polyamorie" zunehmend an die Stelle der traditionellen Paarbeziehung.
Die neuen Liebesmodelle setzen auf emotionale Treue und sexuelle Freiheiten. Doch was steckt hinter dem Bedürfnis nach offenen Beziehungen? Und kann der Wechsel von der monogamen zur polyamoren Beziehung überhaupt funktionieren? Eine Paartherapeutin und ein Sozialwissenschaftler geben Auskunft.
Hat der Wunsch nach einer offenen Beziehung in den letzten Jahren zugenommen?
Immer mehr Menschen entscheiden sich bewusst für offene Beziehungsformen. Das ergab eine aktuelle Umfrage des Marktforschungsinstituts "Fittkau und Maaß" im Auftrag der Partnervermittlung "ElitePartner". Immerhin jeder zweite Erwachsene unter 30 Jahren kann sich grundsätzlich vorstellen, eine offene Beziehung zu führen.
Was wie eine Modeerscheinung klingt, ist nach Ansicht der Paar- und Sexualtherapeutin Nina Jares keineswegs neu. "Ich glaube nicht, dass der Wunsch nach offenen Beziehungen zugenommen hat. Was aber auf jeden Fall passiert ist, ist, dass die Akzeptanz für verschiedene Beziehungsmodelle größer geworden ist", sagt Jares. Auch die Sexualität in Beziehungen werde in den letzten Jahren immer offener kommuniziert. "Diese Sichtbarkeit und hoffentlich auch Akzeptanz in der Gesellschaft könnte dazu geführt haben, dass auch andere Paare den Schritt in eine offene Beziehung wagen."
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Ist es normal, sich Sex mit jemand anderem als dem Partner zu wünschen?
Bis uns der Tod scheidet ist eine lange Zeit. Bei manchen Paaren wächst mit den Jahren das Bedürfnis nach anderen, neuen sexuellen Erfahrungen. Das ist völlig "normal", sagt Paartherapeutin Nina Jares. In Gedanken ist fast alles erlaubt. So können Fantasien mit anderen Menschen durchaus häufig vorkommen. "Das ist kein Spiegel der Beziehung und bedeutet nicht automatisch, dass in der Partnerschaft etwas fehlt oder falsch läuft. Es sagt höchstens aus, dass die Person eine aktive Libido und sexuelle Fantasien hat", erklärt Jares.
Außerdem müsse man zwischen aktiver und passiver Treue unterscheiden, sagt die Paartherapeutin. Treue sei nicht immer eine bewusste Entscheidung. "Aktive Treue ist die Entscheidung, treu zu bleiben, auch wenn es Lust und Gelegenheit gibt." Man kann aber auch aus Mangel an Gelegenheit, aus Feigheit oder auch aus Desinteresse treu sein. Dann spricht man von passiver Treue – eine konfliktlose Treue.
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Was steckt hinter dem Wunsch nach einer polyamoren Beziehung?
Der promovierte Sozialwissenschaftler Stefan Ossmann hat in seiner Dissertation "Poly lieben, leben, handeln, denken und fühlen" an der Universität Wien untersucht, welche Wünsche hinter einer polyamoren Beziehung stehen. Meist sind es unterschiedliche Bedürfnisse in Kombination mit der jeweiligen Lebenssituation, die Paare dazu bewegen, eine polyamore oder offene Beziehung einzugehen. Dies kann von einer Fernbeziehung, einer Schwangerschaft, einer Midlife-Crisis bis hin zu einer gelebten sexuellen Fantasie reichen. Der am häufigsten genannte Grund sei jedoch die Liebe zu einem anderen Menschen, gefolgt vom "Wunsch nach mehr Freiheit", so Ossmann.
Trotz aller Liebe: Hier sind zwei weitere Gründe für den Wunsch nach Sex mit einer anderen Person:
1. Gewohnheit und Lustlosigkeit
Als "Coolidge-Effekt" bezeichnen Evolutionsbiologen den Überdruss, der sich einstellt, wenn Tiere über längere Zeit immer wieder mit demselben Partner kopulieren. Dieser lustreduzierende Faktor ist auch beim Menschen bekannt: Zwar gibt es Paare, bei denen der Sex mit zunehmender Vertrautheit besser wird. Doch in manchen Partnerschaften schläft die Lust auf Dauer ein – und wird erst durch fremde Dritte wieder geweckt.
Der Grund liegt in der menschlichen Natur: Wir gewöhnen schnell an die schönen Dinge des Lebens und vergessen dabei allzu oft, wie glücklich wir uns schätzen können, an ihnen teilhaben zu dürfen. Das gilt nicht nur für Lebensgewohnheiten und Privilegien, sondern auch für unsere Partner. "Man weiß erst, was man hatte, wenn man es verloren hat.
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2. Neugier
"Wie wäre Sex mit jemand anderem?" Diese Frage stellen sich viele Menschen nach vielen Jahren Sex mit nur einer Person. Abwechslung, Neues entdecken, sich wieder anders erotisch erleben – das Bedürfnis nach unbekannten Sinnesreizen ist weit verbreitet. Immerhin geben einer kanadischen Studie zufolge mehr als 60 Prozent der Frauen und mehr als 80 Prozent der Männer an, sexuelle Fantasien mit anderen Menschen als ihrem Partner oder ihrer Partnerin zu haben.
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Kann der Wechsel von einer monogamen zu einer offenen oder polyamoren Beziehung funktionieren?
Der Wechsel von einer monogamen zu einer offenen oder polyamoren Beziehung ist nach Ansicht des Sozialwissenschaftlers Stefan Ossmann grundsätzlich möglich, erfordert aber mehr Arbeit als bei Paaren, die von Anfang an polyamor leben. Zunächst, so Ossmann, müsse man einen Partner finden, der sich auf diese Art der Partnerschaft einlässt. Dann beginnt die Arbeit: "Die Paare müssen ihr bisheriges Lebensmodell aufgeben und grundlegend neue Beziehungsstrukturen aufbauen", sagt Ossmann, "ähnlich wie bei Paaren, die vorher Alkohol getrunken, oder geraucht haben und plötzlich Leistungssport betreiben wollen."
Offenheit, Vertrauen und emotionale Treue sollten auch nach Ansicht der Paartherapeutin Nina Jares vorhanden sein, bevor eine Veränderung des Beziehungsmodells angestrebt wird. "Wer eigentlich schon mit einem Bein aus der Beziehung heraus ist und sich neue Freiräume schaffen will, sollte das offen kommunizieren. Denn eine offene Beziehung zu führen, ist anfangs oft eine Belastung und bedeutet viel Arbeit auf der Beziehungsebene", so Jares.
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Wie spricht man den Wunsch nach einer offenen Beziehung am besten an?
Eine offene Beziehung kann nicht einfach am Telefon vorgeschlagen werden. Das muss sensibel und vorsichtig angegangen werden. "Nicht nur das Wie, sondern vor allem das Timing muss gut gewählt sein", sagt Paartherapeutin Nina Jares. Auf ausreichend Zeit und eine ungestörte Atmosphäre müsse geachtet werden, sonst könne der Vorschlag beim anderen zunächst als Sorge ankommen, der Partner wolle sich trennen oder man selbst sei nicht mehr genug.
Selten wird das Thema in einem Gespräch zu Ende verhandelt. "Es ist oft ein längerer Prozess und ich empfehle, sich genügend Zeit zu nehmen, um den Wunsch ausführlich zu besprechen. Den anderen in seinen Bedürfnissen zu hören und zu akzeptieren und gemeinsam nach Lösungen zu suchen", so Jares.
Auf keinen Fall, so die Paartherapeutin, sollte man versuchen den Partner zu überreden oder Versprechungen machen, die man nicht halten kann. "Es muss jedem ganz klar sein, dass eine Regel wie "Verlieben ist verboten" nicht versprochen werden kann", betont Jares. Die Möglichkeit, sich zu verlieben, besteht immer.
Genauso sollte klar sein, dass eine offene Beziehung nicht die Lösung für ein Problem sein kann, das schon lange in der Beziehung besteht. "Wenn ein Partner mehr Sex will als der andere und die offene Beziehung nutzt, um dieses Defizit auszugleichen, geht das in den seltensten Fällen gut", erklärt die Paartherapeutin. In diesem Fall empfiehlt sich zunächst ein genauerer Blick auf die Diskrepanz in der sexuellen Lust und wie damit umgegangen werden kann. Kommt das Paar alleine nicht weiter, empfiehlt die Expertin eine Sexualtherapie.
Wie gelingt eine offene Partnerschaft?
Der Schlüssel zu einer offenen Beziehung ist ein offenes Gespräch, so der promovierte Sozialwissenschaftler Stefan Ossmann. Zum anderen müssen Regeln aufgestellt werden, um einen Rahmen zu schaffen, wie man in der Beziehung miteinander umgehen kann. Grundsätzlich sind alle Konstellationen denkbar. Das Paar einigt sich selbst auf Regeln, die für beide im Moment passen. "Oft müssen diese Regeln immer wieder neu ausgehandelt werden. Es muss nicht immer die Lösung sein, was der eine darf, darf der andere auch", sagt Paartherapeutin Nina Jares.
Es hilft auch, Beziehungspraktiken zu finden, die beiden Partnern exklusiv bleiben. "Da Sexualität und Liebe mit anderen geteilt werden, braucht es als Anker ein oder zwei Dinge, die in der Beziehung exklusiv bleiben", erklärt Ossmann. Das könne ein Lieblingsrestaurant sein, das man nur mit dem Partner besucht, oder eine Sportart, die man nur gemeinsam ausübt, "wie auch immer man das definiert. Es trägt schon zum Gelingen bei, wenn es Dinge gibt, die man sich nur zu zweit vorbehält".