Berlin. Seit einem Vierteljahrhundert gibt es die Potenzpille Viagra. Gespräch mit einem Professor für Männergesundheit über Risiken der Pille.

Seit einem Vierteljahrhundert gibt es die Potenzpille Viagra. Ob Mann sich an das Medikament gewöhnen kann, wann die Einnahme gefährlich ist und warum er es nicht ohne Rezept in der Apotheke verkaufen würde, erklärt der Experte für Männergesundheit, Prof. Frank Sommer.

Herr Prof. Sommer, 25 Jahre nach der Zulassung von Viagra wie fällt Ihre Bilanz aus?

Die Zulassung war eine Revolution. Denn bevor die PDE-5-Inhibitoren, Viagra ist ein solcher PDE-5-Inhibitor, auf den Markt kamen, gab es keine orale Therapie gegen Erektionsstörungen. Davor haben die Männer im Schnitt 15 Jahre lang gewartet, bevor sie überhaupt zum Arzt oder zur Ärztin gegangen sind mit ihren Problemen. Viagra hat da ein Tabu gebrochen. Danach gab es Männer, die in Talkshows am Nachmittag offen darüber gesprochen haben.

Gibt es aus Ihrer Sicht weitere Vorteile?

Das Medikament hat dazu geführt, dass Erektionsstörungen besser erforscht worden sind. Früher ist man davon ausgegangen, dass circa 90 Prozent dieser Störungen rein psychogen bedingt gewesen sind. Jetzt weiß man, dass das umgekehrt ist. Fast 90 Prozent aller Erektionsstörungen haben wenigstens initial eine organische Ursache, womit sie ein Vorbote für andere Krankheiten sein können, beispielsweise für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Nach so langer Anwendung kann man doch relativ sicher sein, welche ernsthaften Nebenwirkungen auftreten. Wie ist da der Stand der Wissenschaft?

Grundsätzlich kann man nach Millionen von Anwendungen sagen: PDE-5-Inhibitoren sind sehr sichere Präparate. Am Anfang gab es noch diese Hiobsbotschaften, dass Männer einen Herzinfarkt bekommen, wenn sie das nehmen. Heute weiß man: Bei ordnungsgemäßer Einnahme passiert das nicht. In Polen, Norwegen, Großbritannien und Irland kann man die Präparate sogar ohne Rezept in der Apotheke bekommen.

Was Sie aber falsch finden.

Ich persönlich finde es einfach gut, wenn der Arzt oder die Ärztin und der Apotheker oder die Apothekerin da noch ein Auge draufhaben. Erektionsstörungen sollten abgeklärt werden, weil man so andere Krankheiten verhindert oder aufhalten kann. Das ist ein ganz, ganz wichtiger Punkt. Und der Patient muss doch ein Interesse daran haben zu erfahren, was die Ursachen für eine Erektionsstörung sind. Wir wollen die Männer ja heilen und ihnen die Möglichkeit geben, auch ohne Viagra und Co. eine erfüllte Sexualität zu haben.

Könnte ich Viagra problemlos auch über einen längeren Zeitraum einnehmen?

Ja, wenn Sie ansonsten gesund sind und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten abchecken.

Was passiert bei einer Überdosierung?

Von Menschen, die die Ursachen ihrer Erektionsstörung zu spät abklären lassen, höre ich oft, dass sie regelmäßig die Dosis erhöhen mussten, weil die 25 oder 50 Milligramm nicht mehr ausreichten. Irgendwann sind sie dann bei der Maximaldosis von 100 Milligramm, weil die Grunderkrankung weiter fortgeschritten ist. Eine Dosierung von mehr als 100 Milligramm Viagra kann gefährlich sein, das zeigen Sicherheitsstudien. Es kann zu Herz-Kreislauf-Problemen kommen, die sogar tödlich sein können.

Sie haben die Wechselwirkungen von PDE-5-Inhibitoren mit anderen Medikamenten angesprochen. Es gibt auch Kontraindikationen, also Umstände, die man bei der Einnahme beachten sollte. Was empfehlen Sie?

Darauf sollte man wirklich achten. Es gibt diese Wechselwirkungen und Kontraindikationen. Und für mich ist die Reihenfolge klar: Initial geht der Patient zu Arzt oder Ärztin und lässt die Erektionsstörungen checken. Ist aus Sicht der Mediziner die Einnahme von Viagra und Co. in Ordnung, kann die Verantwortung in die Hände des Apothekers gegeben werden. Der sollte regelmäßig nachfragen, ob sich an der Medikation der Männer etwas geändert hat oder womöglich auch an deren Gesundheitszustand. Sie sollten danach fragen und dann die Patienten bei Bedarf wieder an den Arzt oder die Ärztin verweisen.

Frank Sommer, Universitätsprofessor für Männergesundheit in Hamburg
Frank Sommer, Universitätsprofessor für Männergesundheit in Hamburg © Privat

Die Pillen gibt es aber doch auch massenhaft auf dem Schwarzmarkt?

Davon sollte man die Finger lassen. Ich war selbst an einer Studie beteiligt, bei der wir festgestellt haben, dass die Dosierung der Medikamente vom Schwarzmarkt bis zu viermal höher war als zugelassen. Das kann zu einem hypotonen Schock führen, ein Riesenproblem. In anderen Präparaten gab es viele Schwermetalle. Das ist weniger schlimm, wenn sie eine davon nehmen, oft werden die Pillen aber über Wochen, Monate oder Jahre genommen. Dann kommt es zur Kumulation dieser Schwermetalle. Das kann belasten.

Man hört, dass auch viele jüngere Männer zu Viagra und Co. greifen, um sexuell leistungsfähiger zu sein. Kennen Sie das Phänomen?

Ja, das kann ich bestätigen. Männer, die zur Selbstoptimierung neigen, die also mehr Muskeln haben wollen oder auch Medikamente nehmen, um sich besser im Job oder an der Uni konzentrieren zu können, greifen auch oft zu Viagra. Sie wollen eine bessere sexuelle Performance haben.

Was sagen Sie diesen Männern?

Schwer zu beantworten. Ich weiß, dass es sehr wohl Studien etwa aus Mexiko oder Griechenland gibt, die zeigen: Auch Männer ohne Erektionsstörungen verbessern mit den Medikamenten ihre Erektionsfähigkeit. Diese Studien werden nicht an die große Glocke gehängt, weil die Hersteller ja immer das Gegenteil behauptet haben. Und da kann sich dann natürlich ein Problem ergeben. Ich kann Männern, die das machen, nur sagen: Achtet darauf, dass eure Medikation, die ihr sonst nehmt, nicht mit den PDE-5-Inhibitoren interagiert und ihr euch Schaden zufügt. Das ist die erste Message. Und die zweite: Holt euch ein Rezept und geht in die Apotheke. Meidet den Schwarzmarkt.

Kann Viagra abhängig machen?

Ich würde Jein sagen. Es kann zumindest zu Gewöhnungseffekten kommen.

Welche?

Wie schon erwähnt: Die Medikamente können bei voranschreitender Grunderkrankung ihre Wirkung verlieren. Und der anderer Gewöhnungseffekt resultiert aus der Sicherheit, die einige Patienten durch die Einnahme von PDE-5-Inhibitoren verspüren. Die greifen dann weiter zu dem Medikament, obwohl sie womöglich sogar geheilt sind.

Das Patent für Viagra ist abgelaufen. Es gibt mittlerweile Generika, also Nachahmerprodukte? Was halten Sie davon?

In Deutschland gibt es vier zugelassene Präparate. Sildenafil, also Viagra, hat eine schnelle Anflutung. Nach etwa 65 Minuten haben Sie den maximalen Wirkstoffspiegel, wenn Sie keine fetthaltige Nahrung zu sich nehmen. In vier Stunden hat sich die Konzentration des Medikaments dann halbiert. Vardenafil, das deutsche Präparat, wirkt ähnlich, funktioniert laut Studien aber wohl besser bei Patienten mit Diabetes.

Und Mittel drei und vier?

Tadalafil wird auch die Wochenendpille genannt. Es braucht zwei Stunden zum maximalen Wirkstoffspiegel, die Halbwertszeit liegt dann aber bei 17,5 Stunden. Da kenne ich Männer, die nehmen das am Freitag um 18 Uhr ein und gucken, was so passiert. Die müssen sich dann längere Zeit keine Gedanken darüber machen, ob sie noch mal eine Medikation nehmen müssen, wenn sie später Sex haben wollen. Das vierte Präparat, Avanafil, ist für mich eher unbedeutend.