Berlin. Israel rückt langsam in den Gazastreifen vor. Eine massive Bodenoffensive blieb bisher aus. Welche Strategie verfolgen die Militärs?
Israels Offensive ist angelaufen. Luftschläge und Kommandoaktionen gingen den ersten Bodenoperationen im Gazastreifen voraus. Soldaten und Panzer dringen allmählich in den Norden und in die Mitte des Gebietes vor.
Vergeltung für den Angriff auf Israel ist ein Motiv, aber nicht das Kriegsziel. Das ist vielmehr die Beseitigung der Hamas-Terrororganisation – und nachhaltige Abschreckung. Kann das gelingen? Welche Strategie verfolgt Israel? Wie hoch ist das Risiko für seine Truppen?
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Der Gazastreifen ist dicht besiedelt und schmal. Die israelische Armee muss zwischen Häusern und in enge Straßen vorrücken. Der Gegner kennt sich besser aus, er ist in Gaza-Stadt zu Hause, somit im Vorteil. Er hatte Wochen Zeit, um sich auf den Kampf vorbereiten, und nutzt ein hunderte Kilometer langes Tunnelsystem; just um bei einer Bodenoffensive israelische Soldaten aus dem Hinterhalt angreifen zu können.
Israel im Gazastreifen: Im Häuserkampf ist der Angreifer im Nachteil
Im Tunnelsystem werden vermutlich die Geiseln festgehalten. Die Geiselfrage erschwert den israelischen Angriff. Sie war schon ein Grund, warum man sich für die Militäroperation viel Zeit gelassen hat: Erst wurden die Verhandlungschancen sondiert.
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Der Häuserkampf geht mit einer ungeheuren Zerstörung einher. Meist ist er für jene, die einmarschieren, verlustreicher als für jene, die aus der Stadt heraus zurückschlagen. Militärwissenschaftler wie der Amerikaner John Spencer, Spezialist für urbane Kriegsführung, sagen, in der Stadt müsse das Kräfteverhältnis fünf zu eins betragen, zugunsten des Angreifers.
„Die Soldaten erleben eine 360-Grad-Bedrohung, wenn sie in urbaner Infrastruktur operieren. Jede Straße kann ein Schusskanal sein“, sagte Oberstleutnant Andre Knappe, Kommandeur des 1. Bataillons des Objektschutzregiments der Luftwaffe, im Bundeswehr-Podcast „Nachgefragt“. Der Orts- und Häuserkampf sei „sehr komplex“. Soldaten könnten jederzeit in einen Hinterhalt geraten.
US-Verteidigungsminister Lloyd Austin rechnet mit einer schwierigen und langwierigen Bodenoffensive. Im US-Sender ABC sagte er voraus: „Ich denke, wir werden einen Kampf sehen, der von vielen Sprengfallen und Sprengstoffanschlägen geprägt sein wird.“
Hamas-Kämpfer sind besser denn je ausgerüstet
Die Hamas hat massiv aufgerüstet. Sie verfügt etwa über Panzerabwehrlenkwaffen des russischen Typs Kornet. Insgesamt hat sie mehr, bessere, präzisere Waffen als je zuvor. Nicht zuletzt hat sie viele Erkenntnisse aus dem Ukraine-Krieg für ihren Kampf übernommen, etwa den smarten Einsatz von Drohnen.
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Ein Problem sind ihre Raketen. In großer Zahl gleichzeitig abgefeuert, haben sie schon das viel gerühmte Luftabwehrsystem Iron Dome überfordert. Ökonomisch wird es für Israel ruinös: Eine Katyusha-Rakete kostet etwa 300 US-Dollar, jede Tamir-Abfangrakete des Iron Dome aber schlägt mit 40.000 bis 50.000 US-Dollar zu Buche.
Setzt Israel jetzt den „Teddybär“ ein?
Auch die israelische Armee hat sich weiterentwickelt und aus den bislang vier Gazakriegen Lehren gezogen. Sie verfügt über gepanzerte Bulldozer, die Straßen von Trümmern und Minen freiräumen. Sie kann verstärkt darauf setzen, mit Sprengkörpern Häuserwände zu zerstören. So würden die Soldaten in der nächsten Phase dieses Krieges vermeiden, Gebäude über die Treppenhäuser zu stürmen, was viel riskanter ist. Nicht zuletzt setzt Israel bunkerbrechende Bomben ein.
Obwohl rund 300.000 Reservisten mobilisiert wurden, haben die Israelis Alternativen zu einem massiven Truppenaufmarsch. Sie haben in den letzten Jahren ein Konzept entwickelt, das nicht auf langwierige Bodenoffensiven abzielt, sondern ganz im Gegenteil auf schnelle Operationen setzt; mit kleineren Einheiten, von massiver Feuerkraft unterstützt.
Bodenoffensive in Gaza: Die neue Eliteeinheit nennt sich „Ghost Unit“
Das neue Konzept trägt den Namen „Decisive Victory“, übersetzt: entscheidender Sieg. Es sieht die Bildung einer „Ghost Unit“ vor. Die „Geist“-Einheit steht für die neue Strategie. Sie soll schlank sein, agil und selbstständig agieren und verschiedene Fähigkeiten vereinen: Infanterie, Artillerie, Luftwaffe bis hin zum Cyberkrieg.
Sie soll „tief in feindliches Territorium vordringen, um wichtige Nervenzentren zu erobern und eine entscheidende Niederlage zuzufügen“, wie der israelische Brigadegeneral Eran Ortal erläuerte, der Leiter des Dado-Zentrums für militärische Studien. Ob dies gelingt, hängt wesentlich von den Geheimdiensterkenntnissen ab.
Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant kündigte an: „Wir werden präzise und scharfsinnig sein“. Freilich fügte er auch hinzu, man werde nicht aufhören, „bis wir unsere Mission abgeschlossen haben.“ Im Klartext: keine halben Sachen. Der bisher längste Gazakrieg dauerte rund drei Wochen. Der aktuelle Waffengang hat gerade erst begonnen.
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Für Außenstehende ist es schwer einzuschätzen, ob die ohnehin langfristig angelegte Strategie mehr als eine griffige Formel ist und ob es die Geist-Einheit überhaupt gibt; und wenn ja, ob diese Offensive für sie als Bewährungsprobe schlicht zu früh kommt.
Doch die schrittweise Ausweitung des Einsatzes seit dem Wochenende ist vielleicht ein Beleg dafür, dass eine massive Bodenoffensive nicht zwingend sein muss und vielleicht vermieden werden kann. Die allmähliche Ausweitung hat viele Vorteile:
- Weniger Risiken.
- Zeitgewinn, sodass mehr Menschen vom Norden in den Süden des Gazastreifens fliehen können.
- Sie erleichtert humanitäre Hilfsleistungen parallel zu Kampfhandlungen.
- Sie greift die Forderungen auf, verhältnismäßig vorzugehen.
- Sie macht es Gegnern wie der Hisbollah im Libanon oder wie dem Iran schwer, für sich einen Eskalationspunkt zu definieren. Wenn es eine rote Linie gibt, wird sie langsam übertreten.
Israel kalkuliert einen Drei-Fronten-Krieg ein
Die größte Sorge der Israels ist, in einen Mehr-Fronten-Krieg zu geraten. Auch wenn das Land von der Hamas überrascht wurde, so gingen die Militärplaner seit Langem von dem Szenario eines Krieges an drei Fronten aus, wie der Journalist Amos Harel von der Zeitung „Haaretz“ dem Fachmagazin „Middle East Policy“ erklärte. Es ist das Worst-Case-Szeario.
An zwei Fronten wäre es nach seinen Worten eine Offensive, im Gazastreifen und im Libanon, „während es in Syrien in der Defensive wäre“, so Harel. Die interne Annahme der Planer war, dass der Libanon der Schwerpunkt sein würde und die Hisbollah die Herausforderung wäre.
Es kam anders. Es war die Hamas in Gaza, die eine Auseinandersetzung auslöste. Aber dieser Konflikt kann sich noch zu einem Flächenbrand ausweiten.
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