Berlin/Tel Aviv. Jahrzehntelang waren ultraorthodoxe Juden vom Wehrdienst befreit. Jetzt beendet das Oberste Gericht Israels die ungerechte Praxis.
Auch ultraorthodoxe Männer müssen zum Wehrdienst in der israelischen Armee verpflichtet werden. Dies entschied Israels höchstes Gericht am Dienstag einstimmig. Es gebe für die Regierung keine rechtliche Grundlage mehr, geeignete ultraorthodoxe Religionsstudenten generell vom Wehrdienst zu befreien. Das Urteil gilt als Rückschlag für die rechtsreligiöse Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu.
„Inmitten eines zermürbenden Krieges ist die Last der Ungleichheit härter denn je und verlangt nach einer Lösung“, zitiert die Zeitung „Haaretz“ den amtierenden Gerichtspräsidenten Uzi Vogelmann. Das Gericht urteilte weiter, dass die Regierung Religionsschulen (Jeschiwas) nicht länger finanziell unterstützen darf, wenn deren Schüler sich nicht zum Militärdienst melden. Keine Vorgaben machte das Gericht demnach, wie viele Ultraorthodoxe (Haredim) in die Armee eingezogen werden müssen.
Die „Bewegung für Regierungsqualität in Israel“, die vor Gericht eine gleichberechtigte Rekrutierung gefordert hatte, begrüßte das Urteil in einer Stellungnahme als „historischen Sieg“ auf dem Weg zu einer gleichberechtigten Gesellschaft. Sie fordert unverzügliche Maßnahmen zum Einzug von Jeschiwa-Studenten. Laut Bericht der Zeitung „Times of Israel“ gelten rund 67.000 Haredim als wehrdienstfähig. Jährlich meldeten sich aber nur rund 700 davon zum Dienst, berichtete „Haaretz“ unter Berufung auf aktuelle Zahlen der Armee.
Ultraorthodoxe Privilegien spalten Israels Gesellschaft
Der Streit über die Wehrpflicht für Ultraorthodoxe beschäftigt die Gesellschaft Israels seit Jahrzehnten. In Israel gilt eine allgemeine Wehrpflicht, Männer müssen drei Jahre zur Armee, Frauen immerhin zwei Jahre. Von diesem waren die Haredim seit der Staatsgründung 1948 weitgehend befreit, mussten sich im Gegenzug aber einem lebenslangen – staatlich subentionierten – Studium der Thora verpflichten.
Immer wieder hatte es in den letzten Jahren Klagen säkularer Juden gegen dieses Privileg gegeben. Zwar sieht die israelische Gesellschaft Ultraorthodoxe als Teil des Judentums an, ärgert sich aber über die, aus Sicht weniger strenggläubiger Juden, Bevorzugung, die sich nicht nur auf den Bereich des Wehrdienstes erstreckt, sondern gleichermaßen auf das Leisten von Steuern.
Rund 70 Prozent der Menschen in Israel etwa sind gegen die Befreiung vom Wehrdienst. Der seit mehr als acht Monaten andauernde Krieg im Gazastreifen und der Einzug tausender Reservisten hat den Unmut über die Ausnahmeregelung weiter verschärft, die bereits vor Jahren vom obersten Gericht des Landes als verfassungswidrig erklärt wurde.
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Zerreißprobe für Regierung Netanjahu
Für die Netanjahu und seine rechtsreligöse Regierungskoalition dürfte dieser Entscheid des Obersten Gerichts zur Zerreißprobe werden. Sie stützt sich auf streng religiöse und ultraorthodoxe Parteien, die eine Einberufung von Männern ihrer Glaubensgemeinschaft strikt ablehnen.
Die jahrzehntelangen Ausnahmen waren vor drei Monaten ausgelaufen, Netanjahus Regierung gelangt es jedoch nicht, ein Gesetz zu verabschieden, das die Erleichterungen zementieren sollte.
Daraufhin ordnete das höchste Gericht eine Streichung der die staatlichen Subventionen für ultraorthodoxe Männer im wehrpflichtigen Alter, die in Religionsschulen studieren. Die Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara entschied Ende März zudem, das Militär sei verpflichtet, auch die bisher weitgehend befreiten Religionsstudenten einzuziehen.
Schoneinmal war 2018 im Streit um die Wehrpflicht eine Regierung zerbrochen. Es folgten zwischen April 2019 und November 2022 fünf vorgezogene Parlamentswahlen, an deren Ende im Dezember 2022 die rechteste Regierung in der Geschichte des Landes vereidigt wurde, zu der erstmals auch rechtsextreme Kräfte gehören.
pcl/mit afp/KNA/dpa
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