Berlin. Israel will die Bedrohung aus Gaza gern endgültig ausschalten. Experten sagen, was in einem Häuserkampf auf die Armee zukommen würde.
Nach dem Angriff der Hamas sinnt Israel auf Rache. Es wäre seit 2008 bereits der fünfte größere Krieg im Gazastreifen. Wahrscheinlich wird der neuerliche Waffengang – die Operation unter dem Namen "Eiserne Schwerter" – alle vorherigen übertreffen.
Darauf lässt die Zahl der Reservisten schließen, die herangezogen werden: rund 300.000. Ein Armeesprecher sagte am Montag, in so kurzer Zeit sei es die größte Mobilisierung in der israelischen Geschichte.
Kräftevergleich zugunsten der Israelis
Dabei dienen in den Streitkräften regulär schon über 173.000 Soldatinnen und Soldaten. Zum Vergleich: Die Zahl der Hamas-Kämpfer und radikalen Dschihadisten im Gazastreifen wird auf 40.000 bis 50.000 geschätzt.
Technologisch wie zahlenmäßig sind die Israelis hoch überlegen. Sie werden massiv mit Panzern und Infanterie in den Gazastreifen vorstoßen. Und das ist auch notwendig. Gewöhnlich sollten auf einen Verteidiger drei Angreifer kommen. Aber in der Stadt sollte das Verhältnis eins zu fünf betragen, so der weltweit führende Experte für urbane Kriegsführung, der Amerikaner John Spencer.
Der Alptraum: der Häuserkampf
Als Angreifer in eine Stadt einzudringen, sei ein "Albtraum" – wegen der taktischen Nachteile und weil viele Waffen wirkungslos seien, wenn sich die Verteidiger hinter Beton verschanzten, erläuterte Spencer in zahlreichen Veröffentlichungen. Auch interessant: USA schicken Flugzeugträger: Das ist die USS Gerald R. Ford
Die Israelis werden die Lieferung von Strom-, Brennstoff und sonstigen Waren in den Gazastreifen stoppen und vor allem versuchen, den Schmuggel von Waffen zu unterbinden. Die vollständige Abriegelung ist schon im Gange. Sie haben unmittelbar nach dem Angriff der Hamas am Wochenende überdies damit begonnen, Stellungen, mutmaßliche Quartiere und Lager der Hamas zu bombardieren.
Netanjahu ruft die Einwohner zur Flucht auf
Das soll den Einmarsch vorbereiten und erleichtern. Es ändert aber nichts daran, dass der Häuserkampf außerordentlich blutig und verlustreich sein dürfte, auch für die Israelis selbst. Das wissen sie auch; es ist für ihre Armee schließlich nicht der erste Einsatz dieser Art.
Regierungschef Benjamin Netanjahu kündigte an, man werde die Verstecke der Hamas in Gaza in "Trümmer" legen. Die Bewohner rief er dazu auf, die Stadt zu verlassen. "Gehen Sie von dort jetzt weg, denn wir werden überall mit all unserer Kraft tätig sein."
Die Hamas ist militärisch besser geworden
Für Zivilisten wird es außerordentlich gefährlich. So genannte Kollateralschäden, ein Unwort, sind programmiert. Die einrückenden israelischen Soldaten, die ein Haus stürmen, können im Gefecht nicht immer zwischen Zivilisten und Terroristen unterscheiden.
Es geht um ein Gebiet von 365 Quadratkilometern, auf dem fast zwei Millionen Menschen leben, davon etwa 600.000 in Gazastadt. Der Waffengang dürfe sich Wochen hinziehen und vermutlich länger als 2008 andauern. Da waren es 22 Tage. Die Hamas hat viele Vorteile:
- Sie ist her zu Hause und wird von der Mehrheit der Menschen getragen.
- Sie verfügt über ein weitverzweigtes System illegaler Tunnel, die nach Ägypten und Israel führen und es ihren Kämpfern ermöglichen, sich unbeobachtet zu bewegen. Dazu kommen Bunker und unterirdische Produktionsstätten.
- Sie hat Menschen entführt, die sie als Schutzschilde benutzen kann, Staatsbürger aus aller Welt. Das schränkt die Bewegungsfreiheit der Israelis ein.
- Sie ist vorbereitet und wird den israelischen Soldaten Fallen stellen.
- Nicht zuletzt sind ihre Kämpfer besser ausgebildet und ausgerüsteter als bei früheren Auseinandersetzungen.
Angriff generalstabsmäßig aufgezogen
Beim Angriff am Samstag hatte die Hamas nicht nur das Überraschungsmoment. Sie zeigte vielmehr, dass sie dazugelernt und den Guerilla-Kampf perfektioniert hat. Außerdem hat sie ein großes Arsenal an Raketen aufgebaut und den Militärschlag generalstabsmäßig koordiniert.
Endgültig sind die Zeiten, in denen sie aus Wasserrohren Raketen gebaut hat. Heute verfügt sie über bessere Raketen, vermutlich aus iranischer Produktion, und stellt in den sozialen Netzwerken selbstbewusst Drohnen neuester Produktion zur Schau.
Video dokumentiert, wie die Terroristen vorgingen
Israel verfügt zwar über ein hochmodernes Raketenschutzschirm, den Iron Dome. Aber auch das wird überfordert, wenn Hunderte Raketen gleichzeitig abgeschossen werden. Nicht zufällig hat man die USA um eine sofortige Lieferung von Munition gebeten. Auch interessant: Ukraine-Krieg: Scholz für Raketen-Schutzschirm "Iron Dome"
Der Militärkorrespondent der "Times of Israel", Emanuel Fabian, hat im sozialen Netzwerk X, ehemals Twitter, anhand von Videoclips der Hamas dokumentiert, wie koordiniert die Terroristen vorgegangen sind. Es war die anspruchsvollste Operation, die die Hamas jemals von Gaza aus gestartet hat.
Zuerst bombardierten sie israelische Beobachtungstürme und Waffensysteme. Danach feuerten sie Hunderte Raketen ab, derweil Kämpfer mit motorisierten Gleitschirmen über die Grenze flogen. Danach sprengten sie den Grenzzaun, sodass Hunderte Terroristen in Israel eindringen konnten. Die israelischen Soldaten werden auf eine massive Gegenwehr treffen.
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