Moskau. Der Angriff am Flughafen in Dagestan wirft Fragen auf. Wie bedroht sind Juden in Russland? Was hat Putin damit zu tun? Erste Antworten.
Die Bilder des antisemitischen Mobs verbreiteten sich im Eiltempo über die ganze Welt: Dutzende Männer hatten am Sonntag in der überwiegend von Muslimen bewohnten russischen Republik Dagestan den Flughafen der Hauptstadt Machatschkala gestürmt. Laut dem Gesundheitsministerium von Dagestan sind bei den Ausschreitungen 20 Menschen verletzt worden, darunter neun Polizisten. In der Zwischenzeit sei die Lage wieder unter Kontrolle. 83 Personen wurden nach russischen Angaben festgenommen.
Antisemitismus-Eklat in Dagestan: Was ist passiert?
Das Online-Medium Sota berichtet, schon zuvor hätten Demonstranten vor dem Flughafen randaliert, angeblich auf der Suche nach Passagieren mit jüdischen Wurzeln. Auf Videos war zu sehen, wie ein Mann ein Schild mit der Aufschrift „Kindermörder haben keinen Platz in Dagestan“ hochhielt. Andere riefen „Allahu Akbar“ – Gott ist groß. Die Echtheit der Videos kann nicht überprüft werden.
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Gegen 19 Uhr landete die Maschine der russischen Airline Red Wings aus Tel Aviv kommend. In den vergangenen Tagen waren derartige Evakuierungsflüge aus der Krisenregion in Nahost angekündigt worden. Um 21 Uhr sollte die Maschine weiter Richtung Moskau fliegen. Dazu kam es nicht.
Laut Medienberichten stürmten die Angreifer das Rollfeld sowie das Dach des Flughafens. Videos auf Telegram zeigen Männer, die Zäune einrissen und Türen im Terminal eintraten. Der Flughafen wurde geschlossen. Was mit dem Flugzeug und den Passagieren aus Israel geschah, ist unbekannt.
Wer steckt hinter den Ausschreitungen in Dagestan?
Laut der Zeitung Kommersant machte Dagestans Gouverneur Sergej Melikow ukrainische Propaganda für die Unruhen verantwortlich: „Versuche, die Lage in Dagestan zu destabilisieren, einschließlich der Anwendung verbotener Methoden, die mit dem Schüren von interethnischem Hass und interreligiösen Problemen verbunden sind, werden von unseren Feinden, Gegnern unseres Landes, durchgeführt“, wird Melikow zitiert. Ein entsprechender Telegram-Kanal sei der Initialzünder der Unruhen gewesen. Dieser wurde in der Tat früher vom russischen Oppositionellen Ilja Ponomarjow betrieben, der in die Ukraine gewechselt war. Dieser betont allerdings, den Kanal würde er seit über einem Jahr nicht mehr kontrollieren.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hingegen sagte laut dem Online-Medium Meduza, die Unruhen seien kein Einzelfall gewesen, sondern Teil einer „weit verbreiteten Kultur des Hasses gegenüber anderen Völkern in Russland“.
Gouverneur Melikow kündigte Härte an. „Was auf unserem Flughafen passiert ist, ist unerhört und muss von den Strafverfolgungsbehörden geahndet werden.“ Die Behörden in Dagestan hatten zuvor allerdings in Hinblick auf den Krieg zwischen Israel und der Hamas erklärt, dass es „für jeden von uns nicht einfach ist, dem Massaker einer Zivilbevölkerung, des palästinensischen Volkes, beizuwohnen“. Aussagen wie diese sowie die Berichterstattung in den Staatsmedien über das Leid der Palästinenser im Gaza-Streifen dürften auch in Russland antisemitisches Gedankengut befördert haben.
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Antisemitismus in Russland: Hat Putin damit zu tun?
Die Ereignisse in Machatschkala seien eine Einmischung von außen, kommentiert Kremlsprecher Dmitri Peskow. Dass der Kreml unmittelbar in die Ereignisse in Dagestan verwickelt ist, ist unwahrscheinlich. Traditionell unterhält Russland enge Kontakte zu Israel, aber eben auch zu den Palästinensern und sogar zur Hamas. Erst in der vergangenen Woche war eine Hamas-Delegation zu Gast in Moskau gewesen.
Schürt Putin die neue Eskalation in Nahost?
In Nahost will sich Russland vor allem als Vermittler positionieren. Die Krise dort sei für Russland ein „Geschenk des Himmels“, zitierte die Financial Times einen ranghohen EU-Beamten. „Russland nutzt diese Krise aus, denn wenn es sich jetzt an eine Milliarde Menschen im Nahen Osten oder in der arabischen Welt wendet, kann es sagen: Sehen Sie, die nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaute Weltordnung funktioniert für sie nicht.“
Kremlchef Putin sagt: „Dieser Konflikt muss so schnell wie möglich beendet werden.“ Doch der russische Experte Alexander Baunow der Denkfabrik Carnegie bescheinigt ihm insgesamt eine langsame Reaktion; Tage dauerte es, bis Putin auf den Terror gegen Zivilisten verurteilte, ohne die Hamas direkt anzuprangern. „Die Versuchung, auf der Welle der Unterstützung für die Palästinenser mitzureiten, ist sehr groß und drängt Russland zu einer Annäherung an die Gegner Israels“, erklärt Baunow. Russland hat bei seinem Kurs vor allem auch die vielen Muslime im eigenen Land im Blick – zugleich verwies Putin selbst auf die vielen russischen Bürger in Israel.
Wie verbreitet ist Antisemitismus in Russland?
Noch 2018 war die vorherrschende Meinung unter russischen Juden, Antisemitismus sei in Russland kein Problem. Das ergab eine Umfrage des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Lewada. Doch das Klima hat sich geändert.
Zwar distanziert sich Putin öffentlich von von Antisemitismus. Doch seine Äußerung über den ukrainischen Präsidenten Selenskyi spricht Bände. „Seit meiner Kindheit habe ich viele jüdische Freunde. Sie sagen: Selenskyj ist kein Jude, das ist eine Schande für das jüdische Volk“, so Putin.
„Antisemitismus ist in der Tat charakteristisch für viele Muslime – vor allem für die dümmeren“, glaubt der russische Politologe Abbas Galljamow, der früher Reden für den Kreml schrieb. In Dagestan hätten viele Juden Angst, zitiert das Online-Medium „Rise“ Ovadya Isakow, den Oberrabbiner der Stadt Derbent. 300 bis 400 jüdische Familien würden dort leben, so Isakow. Auch persönlich habe er Angst, es sei jederzeit mit Schlimmerem zu rechnen.
Militärexperte Carlo Masala brachte es in der „Welt“ auf den Punkt: „Das Pogrom hat seinen Nährboden in dem zunehmenden Antisemitismus, den Putin mit Blick auf die Ukraine seit Monaten verbreitet.“
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In Dagestan hätten viele Juden Angst, zitiert das Online-Medium Rise den Oberrabbiner der Stadt Derbent, Ovadya Isakow. 300 bis 400 jüdische Familien würden dort leben, so Isakow. „Die Situation in Dagestan ist sehr schwierig, die Leute aus der Gemeinde haben Angst, sie rufen an, aber ich weiß nicht, was ich raten soll. Eine Frau wandte sich Hilfe suchend an den örtlichen Polizeibeamten und dieser sagte: ‚Nun, sehen Sie, was Sie ihren Kindern dort antun.‘“
Sie habe versucht zu erklären, was die Hamas tat, aber für den Bezirkspolizisten war das Gegenteil der Fall. „Für ihn und alle anderen steht die ganze Welt auf dem Kopf.“ Auch persönlich habe er Angst, sagt Isakow. „Ich fühle mich nicht sicher, obwohl die Synagoge bewacht ist und es Streifen gibt, aber der Vorfall mit dem örtlichen Polizisten zeigt, dass es überhaupt keine Sicherheit gibt und jederzeit mit Schlimmerem zu rechnen ist.“
Wie reagiert die deutsche Politik?
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, reagierte erschüttert auf die judenfeindlichen Ausschreitungen: „Ich erwarte von Präsident Putin und den russischen Behörden, dass sie die Sicherheit und das Eigentum von Jüdinnen und Juden schützen“, sagte Klein dieser Redaktion. Die Szenen aus Dagestan verdeutlichten auf erschreckende Weise, „wie plötzlich und unerwartet sich ein Funke entzünden und ein antisemitischer Flächenbrand entstehen kann, wenn Menschen über das Internet aufgewiegelt werden“, so Klein.
Der Grünen-Europapolitiker Anton Hofreiter hat dem Kreml eine Mitverantwortung für die Jagd auf Juden am Flughafen von Machatschkala gegeben. „Die antisemitischen Ausschreitungen in Dagestan passierten nicht im luftleeren Raum“, sagte Hofreiter dieser Redaktion. „Die antiisraelische und antisemitische Rhetorik in den staatlichen russischen Medien findet nun ihren Widerhall in gewalttätigen Protesten auf der Straße.“ Die russische Regierung treffe sich mit Vertretern der Terrorgruppe Hamas und befeuere deren Aggression gegen Israel und Juden weltweit, fügte er hinzu. Hofreiter forderte: „Die russische Regierung unter Putin muss unverzüglich alles tun, um die Sicherheit der jüdischen Bürger und israelischen Reisenden zu gewährleisten.“
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