Hagen. Forstleute des Wirtschaftsbetriebs Hagen ziehen verwaiste Wildschweine groß. Kinderstube am Forsthaus Loxbaum.

„Hey, ihr kleinen Stinker!“, schallt es durch den Südrand des Fleyer Waldes. „Nun kommt schon, ihr faulen Säcke!“

Wenn Martin Holl, Leiter des Forstressorts beim Wirtschaftsbetrieb Hagen (WBH), die drei jungen Wildschweine herbeiruft, formuliert er auch schon mal unverblümt-undiplomatisch abseits des eher vornehmen Knigge-Regelwerks. Seit ein paar Monaten wird ein junges Schwarzwild-Trio unweit des Forsthauses Loxbaum in einem großzügig dimensionierten Gehege hochgepäppelt.

Zum Herbst sollen „Schnitzel“, „Keule“ und „Schwarte“ – der Finder und Namensgeber der Paarhufer muss ein Feinschmecker sein – im Wildschweingehege im Wehringhauser Bachtal zu den dort lebenden Artgenossen stoßen. „Das wäre zum jetzigen Zeitpunkt noch viel zu früh. Die Stammbesatzung dort würde die Neuankömmlinge sofort als ihre Rivalen attackieren“, erläutert der Hagener Förster den Hintergrund dieser exklusiven und abgeschiedenen Kinderstube unweit des Autobahnzubringers.

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Zweimal am Tag versorgen Förster Martin Holl und seine Kollegen die jungen Wildschweine mit etwas Mais. © WP | Michael Kleinrensing

Bache lässt Nachwuchs im Stich

Eigentlich stammen die drei Frischlinge aus dem Märkischen Kreis. Dort hatte ein Bauunternehmer, der regelmäßig als Jägersmann durchs Gehölz auf die Pirsch geht, die jungen Wildschweine verlassen in einem Wurfkessel entdeckt. Als selbst nach zwei Tagen noch keine Mutterbache aufgetaucht war, nahm er sich der ursprünglich vier Tiere an, wobei ein bereits völlig geschwächter Frischling schnell verstarb.

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Das überlebende Trio, das der Weidmann in den ersten beiden Wochen zunächst im heimischen Wohnzimmer wieder zu Kräften kommen ließ, sorgte jedoch bei seinen ersten Ausflügen an der frischen Luft für reichlich Chaos: zunächst im eigenen Garten, aber bei dreisten Ausbüx-Exkursionen auch schon bald in der Nachbarschaft.

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Die drei Allesfresser finden im Wald reichlich Nahrung, um zu Kräften zu kommen. © WP | Michael Kleinrensing

So führte der Weg der kleinen, verwaisten Racker über nachbarschaftliche Bande letztlich in Richtung Hagen, wo ein wenig frisches Blut im 1,4 Hektar großen Wildgehege unweit des Drei-Türme-Weges sicherlich kaum schaden kann. Noch sind die drei Jungtiere zu klein und zu schwach, um sich in der angestammten Wehringhauser Rotte behaupten zu können.

Zwar haben die Frischlinge inzwischen ihre typischen Längsstreifen vom Schulterblatt bis zu den Hinterbeinen weitgehend verloren und tragen das bräunliche Jugendfell. Doch mit gerade mal zehn Kilo Körpergewicht könnten sich „Schnitzel“, „Keule“ und „Schwarte“ kaum gegen ausgewachsene Artgenossen behaupten, falls es zu Rivalitäten käme. „Wir behalten sie bis zum Herbst erst einmal hier“, erzählt Holl. „Wenn sie dann etwa 20 bis 30 Kilo schwer sind, können wir sie nach Wehringhausen bringen.“ Dort sollen sie erst einmal mit einer Abtrennung zu den alteingesessenen Wildschweinen sich eingewöhnen und das nachbarschaftliche Miteinander üben.

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Bei der Suche nach Nahrung wühlen die Wildschweine mit ihrer Schnauze systematisch den Waldboden um. © WP | Michael Kleinrensing

Vorbereitung auf den Umzug

Zurzeit fremdeln die heranwachsenden Borstenviecher noch ein wenig, als der Forstmann mit den Reportern in ihr Gehege stapft. Etwas gelangweilt schubbeln und kratzen sie ihr staubiges Fell an einem Baumstamm in einer hinteren Ecke des Auslaufs, der natürlich auch über einen regensicheren Unterstand und zwei knatschblaue, meist umgeschubste Kunststoff-Mini-Pools verfügt.

Erst ein Schäufelchen mit Maiskörnern kann das plötzlich gar nicht mehr so scheue Dreigestirn aus zwei Jungbachen und einem Keiler aus seinem Versteck locken. Zweimal am Tag gibt es diese Getreide-Rationen, den Rest müssen sich die jungen Wildschweine aus der Natur erarbeiten. Für die Allesfresser zu dieser Jahreszeit keine besondere Herausforderung: Der aufgewühlte Waldboden in ihrem Gehege zeigt, dass sie instinktiv genau wissen, wo sie suchen müssen. Frische Grüntriebe, Früchte und Wurzeln stehen genauso auf ihrem Speiseplan wie Würmer, Mäuse, Schnecken, Käferlarven oder auch Pilze.

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In ihrem Gehege sind die Frischlinge zurzeit vor der Außenwelt geschützt. Doch im Wildpark in Wehringhausen müssen sie sich gegen die Rotte behaupten. © WP | Michael Kleinrensing

Wie es „Schnitzel“, „Keule“ und „Schwarte“ im Herbst ergeht, können die Hagener dann live im Wildgehege im Wehringhauser Bachtal beobachten. „Trotz der Gewöhnungsphase im Nebengehege wird es sicherlich auch ,Prügel‘ geben, wenn die Neulinge auf die dort lebende Rotte treffen“, macht sich Förster Holl gar keine Illusionen, dass das alles in purer Harmonie gelingen könnte.

Aber bis dahin sind die drei jungen Wildschweine dann schon so kräftig, dass sie auch mal kleine Revierstreitigkeiten wegstecken und sich behaupten können. Und wer weiß, wer dann bald für die nächste Frischlinge-Generation im Saupark, der noch immer ein attraktives Ausflugsziel für die Hagener darstellt, verantwortlich ist: „Eine Blutauffrischung ist immer wertvoll“, freut sich der Leiter des WBH-Forstressorts über die grunzenden Migranten aus dem Märkischen Kreis.