Bochum. Trinkhallen gehören zur Identität des Ruhrgebiets. Schauspieler und Gästeführer Giampiero Piria widmet ihnen in Bochum eine eigene Wallfahrt.

Erster Akt: Auftritt Giampiero Piria. Der 58-Jährige bringt sich vor dem Fördergerüst des Bochumer Bergbau-Museums in Position und wartet auf sein Publikum. Oder besser gesagt: seine Gäste. Piria ist Schauspieler, Stadtführer – und Trinkhallen-Liebhaber. Auf seiner „Kioskwallfahrt durch die Speckschweiz“ vereint er seine Leidenschaften zu einer Tour.

„Wir starten hier vor dem Bergbaumuseum. Nicht nur, weil es Bochums Wahrzeichen ist. Sondern auch, weil hier viele Attribute zu sehen sind, die einen Kiosk zum Erfolg bringen können: Mobilität, Tourismus und viele Passanten“, begrüßt er die Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Um ihnen die Kiosk-Kultur näherzubringen, ist Piria etliche Kilometer durchs ganze Ruhrgebiet gelaufen, da er möglichst viele Buden kennenlernen wollte. Sein Fazit: „Jeder Kiosk ist ein Unikat.“

Trinkhallen als immaterielles Kulturerbe in NRW

Als er vor zehn Jahren angefangen hat, sich näher mit den Buden der Region auseinanderzusetzen, gab es in Deutschland schätzungsweise 40.000 Kioske. Ein Drittel von ihnen stand im Ruhrgebiet. „Das macht schon ein bisschen stolz“, sagt Piria, während die Gruppe auf ihrem Weg zur ersten Bude eine Kleingarten-Siedlung („Ebenfalls typisch fürs Ruhrgebiet“) durchquert. Seit zwei Jahren zählen Trinkhallen sogar offiziell zum immateriellen Kulturerbe des Landes Nordrhein-Westfalen.

Den Pott prägen sie allerdings schon seit 150 Jahren: Die ersten Trinkhallen wurden Mitte des 19. Jahrhunderts von Mineralwasseranbietern eröffnet, um die Volksgesundheit zu heben. Da Leitungswasser damals ungenießbar war, löschten viele Arbeiter ihren Durst mit Bier und Branntwein. Die Trinkhallen sollten daher eine Art ambulante Kur ermöglichen. Im Laufe der Jahre erweiterte sich ihr Angebot: zunächst kamen Tee, Kaffee, Milch und Tabakwaren dazu, später dann auch Zeitungen, Speisen – und Alkohol.

Einer von Giampiero Pirias Lieblingsbuden in Bochum, die „Bunker-Bude“, musste leider schließen.
Einer von Giampiero Pirias Lieblingsbuden in Bochum, die „Bunker-Bude“, musste leider schließen. © FUNKE Foto Services | Andreas Buck

Zweiter Akt: Piria stellt sich in die Eingangstür des „begehbaren Kiosks“. Im Schaufenster ist alles zu sehen, was man für eine bunte Tüte braucht, daneben Getränkekisten und Zeitschriften. „Auch wenn Kioske heute eine Art Alleinstellungsmerkmal für das Ruhrgebiet sind, hat die Bude ihren eigentlichen Ursprung in Persien und der Türkei“, erklärt Piria.

So leite sich das Wort Kiosk von „Köşk“ ab, womit nach allen Seiten hin offene Pavillons gemeint waren, die für Veranstaltungen und Treffen genutzt wurden. Diese Ursprungsform lasse sich noch heute in halbbegehbaren Kiosken erkennen, die von allen Seiten einsehbar sind und bei denen über eine Art Luke bestellt werden kann.

Bochumer: „Land und Leute kennenlernen, das kann man an der Bude ziemlich gut“

Dritter Akt: Piria bleibt vor einem solch halbbegehbaren Kiosk stehen und fordert seine Gäste auf, das Geschehen einen Moment lang zu beobachten. Vor dem Kiosk hat sich bereits eine kleine Schlange gebildet, am Schalter bestellt ein Mann Zigaretten und Energy-Drinks. „Land und Leute kennenlernen, das kann man an der Bude ziemlich gut“, sagt Piria. „Sie sind die Ikonen des Alltags.“

Vierter Akt: Eigentlich, so Piria, war dieser einer seiner Lieblingskioske, weil er mit den angrenzenden Imbissen ein perfektes Ensemble bildete. „Aber leider hat er dichtgemacht.“ Lang geöffnete Supermärkte, steigende Preise, veränderte Lebensweisen: Immer mehr Kioske müssen schließen. Fünfter Akt: Vor mehr als einem Jahr musste auch der Betreiber der „Bunker-Bude“ sein Geschäft aufgeben.

Die „Trinkhalle an der Herner Straße“ in Bochum hat es sich zum Ziel gesetzt, das Konzept Trinkhalle neu zu denken.
Die „Trinkhalle an der Herner Straße“ in Bochum hat es sich zum Ziel gesetzt, das Konzept Trinkhalle neu zu denken. © FUNKE Foto Services | Andreas Buck

Für Piria ist der „Lost Place“ dennoch ein Highlight seiner Tour. „Tief im Westen, wo die Sonne verstaubt“, singt er, als er den kleinen Weg zwischen dem Kiosk und dem ehemaligen Bunker entlang geht. „Hier waren im Sommer Tische und Stühle aufgebaut, man konnte also auch etwas an der Bude verweilen.“

Letzter Akt: Nach etwa sechs Kilometern erreicht die Gruppe ihren Ausgangspunkt. „Es ist ja eine Kiosk-Wallfahrt und ich habe mir sagen lassen, dass eine Wallfahrt lang sein muss“, sagt Piria, als er wieder vor dem Bergbaumuseum steht.

Innovative Konzepte für Trinkhallen im Ruhrgebiet

Epilog: Piria nimmt sich ein Bier aus dem Kühlschrank und setzt sich an die Theke. Obwohl zwei der insgesamt sechs Kioske, die er während seiner Tour ansteuert, mittlerweile geschlossen sind, spricht er nicht vom „Kiosksterben“. Vielmehr würden immer wieder neue Buden mit innovativen Ideen eröffnen – wie die „Trinkhalle an der Herner Straße“.

Die Betreiber haben es sich zum Ziel gesetzt, das Konzept Trinkhalle neu zu denken. Regionale Biere, Biofrikadellen, Solei und saure Gurken können ganz klassisch zum Mitnehmen bestellt oder vor Ort genossen werden. Hier, wo Tradition und Moderne aufeinandertreffen, endet Pirias Wallfahrt. Applaus!

Alle Infos zur Kiosk-Wallfahrt durch Bochum

Die „Kioskwallfahrt durch die Speckschweiz mit Giampiero Piria“ ist über Bochum Marketing individuell für Gruppen bis maximal 25 Personen (240 Euro) buchbar. Alle wichtigen Infos sowie viele weitere Stadtführungen finden Interessierte unter www.bochum-tourismus.de