Bochum. Start der Serie „Auf Touren“ – Stadtführer zeigen ihre liebsten Routen. Mit Gudrun Simon durch die Bochumer Innenstadt.

Wohin. Das Wort leuchtet rot auf. Nicht nur auf Deutsch, gleich in verschiedenen Sprachen ist der Schriftzug an der Decke der Unterführung neben dem Bahnhof zu lesen. Wenn man sich denn die Zeit nimmt, ihn zu betrachten – und nicht wie die meisten mit dem Auto unter ihm hindurchrast. Wohin? Wer Bochum das erste Mal besucht, wird wahrscheinlich ein Ticket fürs Schauspielhaus haben oder für Starlight Express, einen Besuch im Bergbaumuseum planen oder in dem für Eisenbahnen. Dabei hat die Stadt bereits am Hauptbahnhof „den roten Teppich ausgerollt“.

„Wohin?“ Eines der Licht-Kunst-Tore in Bochum
„Wohin?“ Eines der Licht-Kunst-Tore in Bochum © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Mit diesen Worten begrüßt Gudrun Simon ihre Gäste, zeigt auf den rot gefärbten Asphalt, der den Weg vom Bahnhof in die Fußgängerzone markiert, und startet ihren Rundgang durch Bochums Innenstadt. Es ist die liebste Tour der Stadtführerin, die in Bochum geboren ist, als Justizangestellte arbeitete und schließlich als Reiseleiterin die Welt kennenlernte, und dann doch wieder zurückkehrte, ins Ruhrgebiet, nach Bochum, nach Hause. Um mit frischem Blick Ecken und Geschichten zu entdecken, für die oft die Muße fehlt, wenn man durch den Alltag an vermeintlich vertrauten Gebäuden vorbei hetzt.

Das Schmetterlingsdach am Bahnhof

Oder durch eine der vielen illuminierten Unterführungen fährt, ohne zu sehen, was es zu sehen gibt. So erging es auch Simon selbst, bis sie schließlich die 16 Kunst-Licht-Tore der Stadt mal genauer betrachtete, bei denen sich Angsträume in Ausstellungsflächen für Lichtkunst verwandelten. Es sind so viele, weil das nun schon über 700 Jahre alte Bochum umringt ist. Nicht von einer Stadtmauer, „wir hatten in Bochum nie eine Stadtmauer“, sondern von Hochgleisen.

Die Kunst-Licht-Tore würden sich in der Dämmerung schon für eine eigene Tour anbieten. Aber Simon weist dieses Mal nur kurz auf die rote Schrift und auf das besondere, geschwungene Schmetterlingsdach des Eingangs zum Bahnhof – und zieht weiter. Es gibt so viel zu entdecken.

Von der NSDAP in den Selbstmord getrieben

Dabei lohnt es sich, in alle Richtungen zu schauen. Etwa am Dr.-Ruer-Platz, der an den früheren Oberbürgermeister erinnert, „er wurde 1933 von der NSDAP in den Selbstmord getrieben“, so Simon. Dort steht eines der wenigen Häuser, die es schon in den 20ern vor dem Zweiten Weltkrieg gab. „Bügeleisen“ nennen es die Bochumer der Form wegen liebevoll.

Wer bei dem Bankgebäude den Blick nach oben richtet, sieht auf dem Dach einen Rentierschlitten. Der Weihnachtsmann ist mit ihm kürzlich noch als besondere Attraktion über den Platz „geflogen“. Nun ist er ausgestiegen, aber der Schlitten parkt Anfang Januar immer noch dort. Apropos Parken, Simon betont: „Unter uns haben wir die erste öffentliche Tiefgarage Deutschlands.“

Der „Goethe von Bochum“: Carl Arnold Kortum, Arzt, Heimatforscher, Dichter (1745 - 1824).
Der „Goethe von Bochum“: Carl Arnold Kortum, Arzt, Heimatforscher, Dichter (1745 - 1824). © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Sie wurde Anfang der 1960er eröffnet. Nur wenige Schritte entfernt steht das Kortumhaus, es war mal ein Warenhaus mit Stil. „Es gab schon eine Rolltreppe“, erinnert sich Simon an das Kaufhaus ihrer Kindheit. Aber auch eine hölzerne Treppe, auf der sich majestätisch schreiten ließ. Wie Mario Adorf als Warenhausleiter im Film „Der große Bellheim“. „Die Szene wurde hier gedreht“, sagt Simon und zieht an der Leine. Ihr Zwergschnauzer Joye scheucht bellend die Tauben auf. „In der Spielwarenabteilung habe ich meinen ersten Hund gekauft“, erinnert sich Simon lachend an ihren „Fiffi“.

„Bochum, ich komm aus dir“, singt Herbert Grönemeyer in seiner Hymne. Simon ergeht es genauso. So ist ihre Führung auch eine persönliche Anekdotensammlung. „Meine Tante, sie ist Anfang 90, ist als Mädchen oben in das Café gegangen“, erzählt die Nichte weiter über das Kortumhaus. „Gudrun, hat sie gesagt, ich habe mir immer etwas Geld zur Seite gelegt, damit ich einmal im Monat hingehen konnte.“ Den Mantel an der Garderobe abgeben – und sich erhaben fühlen.

Eine Altstadt, kaum zu erkennen

Simon geht weiter, vorbei am „Café zur Altstadt“. „Ja, wir haben eine Altstadt, aber die kennt kaum einer.“ Und viel ist auch nicht mehr zu sehen, schließlich wurde nach dem Krieg nicht auf-, sondern neu gebaut. Das „Alte Brauhaus Rietkötter“ und das Kopfsteinpflaster zeigen, wie Bochum einst aussah. Ende des 16. Jahrhunderts nach dem großen Stadtbrand wurde das mittlerweile verputzte Fachwerkhaus vermutlich erbaut.

Der Nachbau einer alten Ampel, der Heuer-Ampel.
Der Nachbau einer alten Ampel, der Heuer-Ampel. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Dort soll auch der letzte Bochumer Kuhhirte im 19. Jahrhundert mal ein Gläschen getrunken haben. Ein Denkmal erinnert an Fritz Kortebusch. „Man stelle sich das mal vor, wie er damals sein Horn geblasen hat, um mit seinem Hund vielleicht 150 Kühe und Ziegen der Bürger aus der Stadt zu treiben.“ Zum Weiden in den heutigen Stadtpark und zum Saufen in der heutigen Trankgasse.

Wieder lohnt sich ein Blick nach oben: der Nachbau einer alten Ampel ist zu sehen. Statt Männchen zeigten Anfang des 20. Jahrhunderts Pfeile wie die Arme eines Polizisten, wann man stehen bleiben muss. Auch die Farbe Rot signalisierte bei der Heuer-Ampel: Stopp.

Unter der Erde geht’s weiter. In der U-Bahn-Station Kortumstraße mit der unterirdischen Glasbrücke schaut „Bochums Goethe“ in ein Buch: Carl Arnold Kortum, Arzt, Heimatforscher, Dichter (1745 - 1824). Steine umrahmen die Skulptur, sie schmückten einst die Jugendstilfassade des Hansa-Hauses, in dessen Stehbierhalle Simons Onkel gern ein Herrengedeck bestellte. Sie schwärmt: „Ich finde es toll, dass so etwas einfach in einer U-Bahn-Station gezeigt wird.“

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Schließlich folgt sie dem Glockenspiel im Rathausturm. Zu dieser Jahreszeit erklingt nicht das Steigerlied, „Freude schöner Götterfunken“ oder „Yesterday“ von den Beatles, sondern „Alle Jahre wieder“. „In Bochum gab es das erste Gussstahlglockenspiel der Welt“. Die Stadt war eben nicht nur für den Bergbau bekannt, auch für die Stahlindustrie, den Guss von Glocken. Eine 15.000 Kilogramm schwere Glocke hängt vor dem Rathaus. Sie wurde 1867 für die Weltausstellung in Paris gegossen.

Wohin – als nächstes? Ins Ausgehviertel Bermudadreieck? Ins Planetarium? Oder zurück zum Kunst-Licht-Tor? Da leuchtet noch ein anderes Wort in verschiedenen Sprachen rot auf: Woher.

>> Da will ich hin!

Wo wollten Sie schon immer mal hin, haben es aber bis heute noch nicht geschafft?

Gudrun Simon: Mit dem Postschiff in die norwegischen Fjorde reisen, das ist noch ein Traum. Ökologisch vertretbar sollte die Reise natürlich sein. Und die Tierwelt in Afrika, die möchte ich in Simbabwe und Botsuana sehen, bei einer Safari. Das habe ich schon mal in Kenia erlebt – so schön! Die Tiere dabei nicht stören, sie nur beobachten. Elefanten, Löwen, Zebras, Geparde sind toll, aber es gibt dort auch unglaublich schöne Vögel. Und ich kenne ehrlich gesagt den Süden von Deutschland überhaupt noch nicht, die Seen, die Berge. Ich kenne das Meer, aber das Gebirge kenne ich noch gar nicht.

Zweistündiger Rundgang: 15 € bei mindestens zehn Personen. Gudrun Simon bietet unter „Städte to go!“ auch eine Rallye in Bochum oder Dortmund an, etwa als Firmenevent (Mehr Info: Tel. 0177/8059860; staedte-to-go.de).