Witten. Zumindest das Wetter in Witten stimmt. Aber gehen die Menschen auch wählen? So sieht es in den Stimmlokalen im Zentrum und in den Ortsteilen aus.
Draußen stehen die Menschen zwar nicht Schlange, so wie man es noch von Wahlen aus der Corona-Zeit kennt. Aber es herrscht durchaus Betrieb an diesem Europawahlsonntag in Witten. Die einen kommen gerade vom Joggen, die anderen bringen den Rollator mit. Jung und Alt sind auf den Beinen. Ein gutes Zeichen? Zumindest scheint die Wahlbeteiligung nicht allzuweit unter den erwarteten rund 60 Prozent zu liegen.
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Wir beginnen unseren Streifzug in Bommern. Wahllokal Brenschenschule. Vor der Tür stehen zwei ältere Menschen, die erst einmal den dort ausgehängten langen Stimmzettel zu studieren scheinen. 34 Parteien, da muss man sich erst mal einen Überblick verschaffen.
Tatsächlich dürften sich nicht wenige erst in der Wahlkabine entscheiden, wo sie ihr Kreuzchen machen. Peter (60) zum Beispiel, dessen Namen wir auf Wunsch geändert haben, schwankte bis zum letzten Moment zwischen SPD und Grünen. Wem er schließlich seine Stimme gegeben hat? Wahlgeheimnis!
Die Stimmung unter Wählern und Wahlhelfern ist jedenfalls gut, hier und da fliegt ein lockerer Spruch durch den Raum. „Ich muss erst mal überlegen, was ich wähle“, sagt Ruth. „Tierschutzpartei!“ ruft ein anderer. Tatsächlich weiß die 60-Jährige seit Jahrzehnten, wo sie ihr Kreuzchen macht.
Gefragt, welche Bedeutung die Europawahl für sie habe, sagt die Frau mit dem Sonnenhut: „Sie ist sehr wichtig. Wenn man nicht zu Hause sitzen und sich hinterher ärgern will, muss man was unternehmen.“ Also wählen gehen. Das dürfen an diesem Sonntag erstmals auch viele 16-Jährige in Witten. Zu ihnen gehören Phillip und Tobias.
Phillip, der die zehnte Klasse der Waldorfschule besucht, treffen wir mittags mit Papa und anderen jungen Leuten in der Innenstadt, vor dem Wahllokal im Voßschen Garten, dem „Leben im Quartier“. Der 17-Jährige räumt ein, dass er zuhause geblieben wäre, wenn der Vater ihn nicht überzeugt hätte. „Das gehört zur Demokratie dazu, wenn man in Freiheit leben will“, so hatte dieser beim Sohnemann fürs Wählen geworben.
Phillip bleibt trotz seiner Premiere bei der Stimmabgabe relativ cool. „Normal“ sei das, „nichts Besonderes“. Sein Vater hat ihm auch noch ein bisschen die einzelnen Parteien erklärt. „Wenn du gern Fahrrad fährst, wählst du grün“ - zum Beispiel.
Wittener Erstwählerin: „Ich hoffe, dass sich was zum Besseren verändert“
Für Lina , die ebenfalls im Voßschen Garten zum ersten Mal überhaupt in ihrem Leben abstimmt, war es keine Frage, ob sie wählen geht. Eher das „wann“ spielte eine Rolle. Ohne Phillips Vater wären sie vermutlich erst am späten Nachmittag aus dem Haus gegangen... Warum ihr die Europawahl wichtig sei? „Ich hoffe, dass sich was zum Besseren verändert“, sagt die 19-Jährige, „zum Beispiel bei der Inflation.“
Zur Mittagszeit haben 280 Menschen (von wahlberechtigten 936) im Wahllraum 1202 ihr Kreuzchen gemacht, hinzu kommen noch 535 Briefwähler. „Wir hatten bisher immer was zu tun“, sagt Anne (32), die als Beisitzerin in dem Wahllokal an der Ruhrstraße aushilft. „Immer mal wieder gibt‘s auch kleinere Schlangen.“ Dann warten die Menschen darauf, dass eine der zwei Wahlkabinen wieder frei wird.
Auch oben in Bommern, in der Brenschenschule, ist ganz gut zu tun. „Ein ganzer Karton mit Stimmzetteln ist schon weg“, berichtet Wahlhelferin Susanne Schild-Daut (51) zur Mittagszeit. Dort, im Wahlraum 6201, haben bis dahin gut 250, 260 Personen gewählt, von über 1100 Wahlberechtigten, Briefwähler noch nicht mit eingerechnet. Im Wahlraum nebenan, Nummer 6101, sind bisher 170 Striche auf den Zetteln der Helferinnen und Helfer gelandet. „Mit Briefwahl liegen wir schon bei über 50 Prozent“, sagt Schriftführer Sascha Borgolte (46).
Zwei junge Leute kommen gerade vom Joggen, um noch ganz verschwitzt ihre Stimme abzugeben. Erstwähler Tobias ist in Begleitung seines Vaters erschienen. „Es gehört sich einfach so“, kommentiert der Schüler des Albert-Martmöller-Gymnasiums seinen ersten Urnengang. Obwohl sich sein Politiklehrer sehr engagiert habe, hätte sich Tobias noch mehr Informationen zur Europawahl in der Schule gewünscht. „Es wird noch viel zu wenig darüber aufgeklärt“, sagt er.
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Klara steigt gerade mit ihrem Freund vom Fahrrad, um in der Brenschenschule ihr Kreuz zu machen. „Je mehr Leute wählen, desto mehr kann sich die Bevölkerung in Entscheidungen einbringen“, sagt die 21-Jährige. Sie gehört zu den vielen Wittenern, die befürchen, dass die Rechtspopulisten noch stärker werden, „gerade nach dem Angriff auf den Polizisten“, so die junge Frau.
Schließen wir mit dem 27-jährigen Tobias, der seinen gefalteten grauen Stimmzettel gerade in die Wahlurne in der Brenschenschule wirft. Er trägt eine Baseballkappe und hofft auf ein starkes, vereintes Europa. „Deshalb ist diese Wahl sehr wichtig.“ Nur gemeinsam könne man die vielen Probleme angehen, ob Ukraine-Krise oder Klimawandel.