Witten. Die Kovtoks gehörten zu den ersten ukrainischen Flüchtlingen, die vor zwei Jahren in Witten ankamen. Wie geht es der sechsköpfigen Familie heute?
Fast zwei Jahre sind vergangenen, seitdem die Kovtoks am 2. März 2022 abends in Witten ankamen. Erschöpft saß die Familie nach vier Tagen auf der Flucht in der Unterkunft an der Brauckstraße, wo Neuankömmlinge zuerst Unterschlupf finden. Die damals noch fünfköpfige Familie gehörte zu den allerersten Ukraine-Flüchtlingen in Witten. Sie sind immer noch da. Denn Putins Angriffskrieg, der am 24. Februar 2022 begann, ist noch längst nicht vorbei.
Die Brauckstraße haben sie aber schon lange hinter sich gelassen. Zuerst wechselten die Kovtoks in eine ganz kleine Wohnung, wo sie Tür an Tür mit ihren Landsleuten und noch mehr Kindern lebten. Die junge Familie aus Charkiw hatte damals drei Kinder, für ukrainische Verhältnisse nichts Besonderes. Inzwischen ist der kleine Matwey noch dazugekommen. Mit großen Augen und Schnuller im Mund guckt der Junge den Reporter an. Matwey ist ein Jahr alt und in Deutschland geboren. Ob er die Heimat seiner Eltern und seiner drei Brüder jemals kennenlernen wird?
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Vater Nikita kann diese Frage nicht beantworten. In der Geschichte sei es schon oft vorgekommen, dass Geflüchtete nie wieder zurückgekehrt sind, sagt er. Wenn der Krieg eines Tages vorbei ist, werden seine Frau Maria (33) und er entscheiden, wie es weitergeht. Derzeit ist an ein Leben in Charkiw im Osten der Ukraine nicht zu denken. Mehrmals in der Woche sieht sich die zweitgrößte Stadt des Landes russischen Raketenangriffen ausgesetzt.
„Seitdem wir weggegangen sind, ist es noch schlimmer geworden“, sagt der 34-Jährige, der via Internet mit Freunden und Angehörigen Kontakt hält. „Jeder Angriff ist fürchterlich. Die Menschen sind kriegsmüde. Auch psychisch ist es einfach zu viel für sie“, sagt der Familienvater. Er selbst denkt nicht daran, auch nur für kurze Zeit einmal in die Heimat zu reisen. Zu groß ist die Angst, doch noch in die Armee einberufen zu werden. „Ich kann meine Frau doch nicht mit den vier kleinen Kindern in Witten allein lassen.“.
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Gefragt, wie er sich heute, nach zwei Jahren Krieg, in Deutschland fühlt, sagt Nikita: „Ich fühle mich so wie am Anfang.“ Natürlich ist er froh, dass sie in Sicherheit sind, dass sie eine - wenn auch viel zu kleine - Wohnung haben und er Arbeit als Lagerist in einer Kfz-Meisterwerkstatt gefunden hat. Dass David, mit sieben Jahren der Älteste, in die erste Klasse der Brenschenschule geht, dass sein Bruder Nazar (5) den Kindergarten besucht. Aber nichts ersetzt ihnen die Heimat.
Mascha, die Großmutter seiner Frau, ist mit nach Deutschland gekommen. Ihr fehlt das vertraute Leben daheim vielleicht am meisten. „Ja, ich vermisse die Urkaine sehr“, sagt die 82-Jährige. „Ich habe dort 80 Jahre meines Lebens verbracht.“ Am meisten leidet sie darunter, nicht mehr das Grab ihrer Eltern besuchen zu können.
Regelmäßig besuchen sie die evangelische Baptistengemeinde in Witten-Annen
Für all den Schmerz, all die Sehnsucht bleibt im Alltag aber nur wenig Zeit und Raum. Höchstens in ihrer Kirche, der Evangelisch-Freikirchlichen Baptistengemeinde, die sie regelmäßig in Annen besuchen. Sonst halten die vier Kinder gerade Mama und Urgroßoma genug auf Trab. „Meine Frau hat sehr viel Arbeit“, sagt Nikita, der Elektriker gelernt hat und recht schnell in Witten Arbeit fand, wenn auch nicht in seinem ursprünglichen Beruf.
Die Familie wäre froh, endlich eine größere Wohnung zu finden. Für sieben Personen sind die drei Zimmer im Haus der Genossenschaft Witten-Mitte an der Albrecht-Dürer-Straße in Bommern längst zu klein geworden. „Wenn die Leute aber hören, dass wir vier Kinder haben, sagen sie „nein, nein“, schildert Nikita Kovtok enttäuscht die Suche nach einer neuen, größeren Bleibe.
In ihrem schmucklosen Wohnhimmer, wo Fotos der Kinder an der Wand hängen, steht ein großes Piano. David, der älteste Sohn, lernt an der Musikschule in Haus Witten Klavier, sein Bruder Nazar Blockflöte. David spielt selbstbewusst ein paar Takte. Sonst mag er das, was alle Jungs mögen, Fußball und Ronaldo.
Als Schnee lag, waren sie sogar in Winterberg und sind Schlitten gefahren. Es sind die kleinen Glücksmomente, die das Leben schön machen. „Meine Hoffnung ist mein Glaube, dass es irgendwann gut wird“, sagt Nikita Kovtok.