Witten. Die Waldorf-Kita in Witten-Heven ist eine der größten in NRW. Nun wird sie 50 Jahre alt. Zwei Mütter sagen, was hier anders ist. Auch besser?
Als es neulich mal wieder so geregnet hat, waren alle Kinder draußen. Wetterfest verpackt , haben sie Wasser aufgefangen und Staudämme gebaut. Alltag im Waldorfkindergarten an der Billerbeckstraße in Witten. Auch Angela Mancini (32) erinnert sich vor allem daran, dass sie dort als Kita-Kind viel Zeit in der Natur verbracht hat. Doch das ist nur einer der Gründe, warum der eigene Nachwuchs ebenfalls das Waldorf-Familienzentrum in Heven besucht.
„Es war eine wilde Zeit“, sagt Angela Mancini. „Es gab einen Hügel mit einer Wiese und vielen Bäumen. Wir sind ums Haus gerannt, viel geklettert.“ Inzwischen besteht die Waldorf-Kita schon 50 Jahre und hat nicht nur räumlich ordentlich zugelegt. Mit ihren 119 Kindern in sechs Gruppen sei sie eine der größten in NRW, erklärt Leiterin Martina Otto (53).
Wittener Mütter: Fühlen uns hier wohl
„Die Pädagogik ist mir wichtig“, sagt Angela Mancini, warum sie Tochter Carolina (gerade vier) in die Waldorf-Kita schickt. Die einjährige Paula wird irgendwann folgen. „Die Haltung, die hier gelebt wird. Die Menschlichkeit, die rüberkommt. Dass das ganze Jahr in seinem Rhythmus und mit Ritualen begleitet wird.“ All das trage dazu bei, „dass wir uns hier total wohlfühlen“. Die Heilpädagogin spricht da auch für Carolina, die gerade auf einer Holzlok herumklettert. Noch nie habe sie ihr Kind mit schlechtem Gewissen hergebracht.
Nicht zuletzt wohnt die Familie um die Ecke in Heven. Frederike (32) dagegen ist schon oft umgezogen und lebt derzeit in Bommern. Den Ausschlag bei ihrer heute neunjährige Tochter Marla, zur Billerbeckstraße zu gehen, gab damals deren Freundin, „die hierhin wollte“. Doch das ist nicht der einzige Grund. Inzwischen ist auch Sohn Jakob (5) da. Man könne prima mit dem Rad an der Ruhr entlang nach Heven fahren, sagt Frederike über den etwas weiteren Weg. Und: „Das Familienzentrum ist ein lebendiger Ort, an dem nicht nur die Kinder betreut werden, sondern ich mich auch als Mutter austauschen kann.“
Wittener Kita-Leiterin: Lehne alles Dogmatische ab
Die 32-jährige Soziologie-Studentin, die gerade ihren Master macht, schätzt vor allem den ganzheitlichen Blick auf die Kinder und dass sie motorisch gut gefördert werden. Und zwar nicht nach der Waldorf-Pädagogik, wie sie vor 100 Jahren bestand, sondern wie sie heute gelebt wird. Leiterin Martina Otto betont: „Ich lehne alles Dogmatische ab.“ Jonas Sturm, der ebenfalls zur Teamleitung gehört, erklärt: „Wir versuchen, den Kindern Lust auf Entwicklung zu machen. Jeder, der mag, macht mit.“
Die Kita biete zum Beispiel keine besonderen Projektwochen an, sondern mache stets niederschwellige Angebote, die ganz natürlich in den Alltag integriert werden. So gibt es etwa keine spezielle Matschestunde. „Wir gehen bei jedem Wetter raus, um den Jahreslauf hautnah erleben zu können“, so der 42-Jährige. Gefrühstückt wird gemeinsam an einem Tisch - wie zuhause. Deshalb muss nicht jeder die eigene Brotdose mitbringen.
Lesen Sie auch
- Warum Witten eine Hochburg der Waldorf-Pädagogik ist
- Kita in der Krise: Wittener Erzieherinnen reden Klartext
- Witten: Warum ein Inklusionskind seinen Kita-Platz verlor
Einmal im Monat fährt jede Gruppe raus zum Bauernhof nach Wetter, um wie neulich Rote Beete zu ernten. Jeden Dienstag backen sie Brötchen in der Kita. In jedem Gruppenraum steht eine Mühle für das Mehl. Und die Vorschulkinder etwa stellen ihre Springseilchen selbst her. „All das“, sagt Jonas Sturm, „ist gut für die Resilienz“ - die Widerstandskraft also.
Klar, sie haben auch immer mal wieder mit den klassischen Vorurteilen zu tun. Stichwort Eurythmie: Dass Waldörfler ihren Namen tanzen können, ist so einer. „Wenn ein Kind das bis in die Finger- und Fußspitzen kann, ist das doch genial“, entgegnet der Erzieher ganz pragmatisch. „Wenn ich sehe, dass manche anderen Kinder nicht mal balancieren können.“
2007 zum Familienzentrum zertifiziert
In der Waldorf-Kita müssen sie sich außerdem - wie alle anderen - an gesetzliche Vorgaben halten. Leiterin Maike Otto: „Beim Kinderschutzgesetz arbeiten wir mit Pro Familia zusammen, bei der Qualitätssicherung mit dem Paritätischen Wohlfahrtsverband.“ Auch die Zertifizierung zum Familienzentrum, die sie 2007 erstmals erfolgreich durchlaufen haben, folgt den staatlichen Regeln.
Und ja, auch in der Waldorf-Kita gibt es eine Warteliste. Otto: „Die ist schon lang und liegt im dreistelligen Bereich.“ Vor allem U3-Plätze seien immer mehr gefragt - und am wenigsten vorhanden. Gerade mal 22 sind es, davon vier für Kinder unter zwei Jahren.
Corona: „Keiner hat quergeschlagen“
Auch der Krankenstand sei im vergangenen Jahr recht hoch gewesen. Da geht es ihnen wie den anderen Kitas in der Stadt. Allein der Fachkräftmangel macht ihnen nicht zu schaffen. „Noch nicht“, sagt Jonas Sturm. Corona übrigens hat die Billerbeckstraße gut überstanden. „Wir haben uns an alle Richtlinien gehalten. Keiner hat quergeschlagen.“
Nicht alle Eltern, die ihre Kinder an die Billerbeckstraße schicken, haben einen derart von der Waldorfpädagogik geprägten Hintergrund wie Angela Mancini und Frederike. Doch alle verpflichten sich, 24 Stunden im Jahr aktiv mitzuwirken. Denn die Kita ist ein Verein, alle Eltern werden Mitglied. „Es geht nur gemeinsam“, sagt Jonas Sturm. Dann bleibt die Waldorf-Kita ein Ort, an dem die Kinder auch die nächsten 50 Jahre noch im Matsch spielen und auf der Wiese toben können.
Tag der offenen Tür an der Waldorf-Kita
Das Waldorf-Familienzentrum an der Billerbeckstraße 40 feiert am Wochenende sein 50-jähriges Bestehen. Der Start erfolgte 1974 an der Bruchstraße mit einer Gruppe. Vier Jahre später wuchs die Einrichtung auf vier Grupen an, inzwischen sind es sechs.
Am Freitag (26.4) um 20 Uhr sind alle Interessierten zu einem Vortrag eingeladen. „Wie können wir für unsere Kinder Wegweiser sein? Orientierung, Stärkung und Hilfestellung für unsichere Zeiten“: Darüber spricht Kindergarten- und Schulärztin Silke Schwarz, die außerdem Wissenschaftlerin an der Uni Witten/Herdecke ist, im Saal der benachbarten Rudolf-Steiner-Schule.
Beim Tag der offenen Tür am Samstag (27.4.) von 10 bis 14 Uhr gibt es nicht nur einen Ehemaligentreff, sondern auch Musik, Impulsreferate sowie viele andere Angebote, etwa „Vom Korn zum Brot“ oder „Vom Schaf zur Wolle“.
+++Folgen Sie jetzt auch dem Instagram-Account der WAZ Witten+++