Witten. Der Herner Verein „Schokuhminza“ hat in Witten-Herbede einen Lebenshof eröffnet. Manche Tiere haben Tragisches erlebt - wie etwa Tobi.
Tobi ist gerade sieben Jahre alt geworden. Viel Zeit bleibt dem Holsteinrind vermutlich nicht mehr bis zum Tod. Doch die darf es gut versorgt und in Sicherheit genießen - auf einer Wiese an der Rüsbergstraße in Witten. Der Herner Verein „Schokuhminza“ hat dort einen Lebenshof zur Rettung von Schlachttieren eröffnet.
„Wir haben schon lange nach einem passenden Hof gesucht“, sagt Angelina Dobrowolny, die 2018 mit ihrem Bruder den Verein gegründet hat. Nun sind sie in Kämpen fündig geworden. Doch es gibt viel zu tun. „Das ist hier alles sehr in die Jahre gekommen“, so die 34-Jährige. Der Pachtvertrag läuft seit dem 1. April. Zuvor stand der Hof eine Weile leer, nachdem der Vorpächter verstorben war. Am vergangenen Samstag war großer Helfertag, haben 60 Leute mit angepackt, jede Menge Müll entsorgt und Zäune gezogen, um alles für die ersten Gäste vorzubereiten.
Seit Sonntag leben drei Rinder auf dem Wittener Hof
Seit Sonntag leben hier drei Rinder: Bastian und Nicky leisten Tobi Gesellschaft. Basti ist ein mit der Rasse Angus gemischtes Hochlandrind, braun mit lockigem Pony. Nicky ist eine Holsteinmilchkuh, die aber nie gekalbt und deshalb kein Euter ausgebildet hat. Der rund einstündige Transport war vor allem für Tobi eine Strapaze. „Davon muss er sich jetzt erholen.“ Das Tier hat für Angelina Dobrowolny eine besondere Bedeutung, denn es war das erste Rind, das sie mit Hilfe von Spenden vor einem tragischen Schicksal gerettet hat. Da war Tobi gerade 18 Monate alt.
Er wurde auf einem vermeintlichen Biohof geboren, mit krummen Beinen und weiteren genetischen Defekten, die der Zucht geschuldet seien, wie die Tierschützerin sagt. „Außerdem sind männliche Kälber dieser Milchviehrasse eigentlich Müll fürs System - ähnlich wie männliche Küken.“ Sie geben keine Milch, ihr Fleisch eignet sich nicht zum Verzehr. Als sie Tobi entdeckte, stand er angebunden in einer dunklen Stallecke, die Kette schon eingewachsen im Hals. „Er hatte bis dahin nie das Tageslicht gesehen und keine frische Luft geatmet.“
Vereinsgründerin ist Pippi-Langstrumpf-Fan
Angelina Dobrowolny, zuvor nur bei Straßenaktionen für den Tierschutz aktiv, postete ein Foto des geschundenen Tieres auf Facebook. „Kannst du das nicht retten?“, fragten etliche entsetzte Nutzer. „Und so kam das alles“, sagt die junge Frau, die längst Veganerin ist, mal Tierärztin werden wollte, dann aber BWL studiert hat. Nun arbeitet sie an der Ruhr-Uni, ist aber wegen ihrer kleinen Tochter gerade in Elternzeit. Mit „alles“ meint sie den Verein Schokuhminza, den sie so genannt hat in Anlehnung an den vierten Vornamen ihres Kindheitsidols Pippi Langstrumpf - „Schokominza“. Sie lächelt: „Pippi macht sich die Welt ja auch, wie sie ihr gefällt.“
Angelina Dobrowolny gefällt sie besser, wenn es Tieren gut geht, die aus dem Nutztiersystem herausfallen, sonst getötet oder ins Ausland geschafft worden wären. Es liegt wohl in der Familie. „Meine Mutter hat früher im Tierheim gearbeitet.“ Sie selbst hat ihr erstes Tier gerettet, da war sie gerade acht Jahre alt. Es war ein übergewichtiger Dackel mit Epilepsie. Er gehörte einem Nachbarn und sollte eingeschläfert werden. Seitdem ist die Hernerin auch Dackel-Fan, hat später zwei weitere bei sich aufgenommen.
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Nun also Rinder. Die wurden vorher übrigens auf anderen Pensionshöfen versorgt. Und es sind nicht nur Tiere, die leiden mussten. „Manche Bauern rufen uns auch an, weil sie ihr altes Lieblingstier gut aufgehoben wissen möchten.“ Bei den Rindern soll es nicht bleiben. Auch Ziegen, Hühner oder Hasen dürfen bald an der Rüsbergstraße eine neue Heimat finden. Die Besitzerin der schwarz-weißen Nicky, die das Tier vor zehn Jahren als Kälbchen bekommen hat, will nach dem Studium in etwa drei Jahren außerdem tiergestützte Therapie mit der Holsteinkuh anbieten. „Das wäre dann ein schönes Miteinander auf dem Hof“, sagt Angelina Dobrowolny.
Hamburger Stiftung unterstützt finanziell
Der Verein Schokuhminza wurde vor sechs Jahren in Herne gegründet und hat jetzt den Lebenshof an der Rüsbergstraße 59 in Witten eröffnet.
Im vergangenen Jahr wurde die Hamburger „Bastet Stiftung“ auf den Verein aufmerksam und leistet seitdem finanzielle Unterstützung. Bis Ende 2025 übernimmt sie die Kosten für das von Schokuhminza entwickelte Projekt „Kuhnection“ und bezahlt dafür drei befristete Teilzeitstellen. Der Verein berät Landwirte bei der Umwandlung des Hofes bzw. Teilen des Hofes zum Lebens- oder Pensionshof.
Der Verein freut sich über ehrenamtliche Helferinnen und Helfer sowie Spenden. Weitere Infos auf der Facebookseite von Schokuhminza und Kuhnection. Kontakt: info@schokuhminza.de.
Ob Tobi das noch erlebt? Seine Retterin streichelt ihn fest unterm Hals - und hofft das Beste. „Aber ich glaube nicht, dass er das zehnte Lebensjahr erreicht.“ Jetzt steht Tobi oben auf der Wiese. Traut sich nicht zu den anderen beiden in den Stall, der am Fuß des Hanges liegt. Auch weil er sich schlecht bewegen kann. Er ist knochig und mager, hat Arthrose, lahmt. Zudem quält ihn ein Tumor am rechten Auge, der demnächst entfernt werden soll.
Ende April werden weitere neun Rinder auf den Lebenshof in Witten geholt. Sie alle finden bequem Platz auf der insgesamt fünf Hektar großen Wiesenfläche. Und was sie mit provokanten Aktionen auf der Straße vorher nicht immer geschafft hat, gelingt Angelina Dobrowolny mit dem Verein und dem Lebenshof viel müheloser: „Unsere Tiere sind unsere Botschafter. Sie schaffen es, Herzen zu berühren.“
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