Witten. Wenn Uwe Carstens und der süße Jay unterwegs sind, gibt‘s vor Boni schon mal einen kleinen Menschenauflauf. Denn der Anblick ist ungewöhnlich.
Kleiner Menschenauflauf vor dem Boni-Center in Witten. Was gibt es denn da bloß zu sehen? Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen ein Rollstuhlfahrer, ein schwarz-weißes Mini-Pony und dessen Besitzerin. Sie gehen alle zwei Wochen gemeinsam spazieren - und legen am Lebensmittelmarkt regelmäßig eine Pause ein. Dann gibt es Streicheleinheiten fürs Tier und viel zu erzählen für Uwe Carstens.
Der 49-Jährige aus Durchholz sitzt im Rollstuhl. Er hatte sich bei einem Motorradunfall das Schlüsselbein gebrochen. Bei der Operation, bei der eine stabilisierende Platte entfernt werden sollte, erlitt er einen Schlaganfall und war mit Sauerstoff unterversorgt. Carstens lebt nun seit einigen Jahren in den Feierabendhäusern. Er ist früher selbst geritten, sogar auf Turnieren. Deshalb kam Manuela Söhnchen, die den Sozialen Dienst im Altenzentrum an der Pferdebachstraße leitet, auf die Idee mit dem Pferd. Mini-Pony Jay gehört Carola Weidemann, die einen Reiterhof in Breckerfeld betreibt und ihre Tiere - darunter das vermutlich kleinste Pony der Welt - für Geburtstage vermietet sowie auf Wunsch mit ihnen in Altenheime, Kitas und ins Hospiz geht.
Bei Wind und Wetter in Witten unterwegs
Seit einem Jahr ist die 59-Jährige mit Uwe Carstens unterwegs. Bei Wind und Wetter traben und rollen sie eine gute Stunde durch die Stadt. „Wir gehen jedes Mal eine andere Runde“, sagt Carola Weidemann. Mal zu Boni, mal in den Park am Friedhof. Wenn die Sonne scheint, wie an diesem Donnerstag, macht die Tour natürlich umso mehr Spaß. „Für Uwe ist es wichtig, mal raus zu kommen, mehr soziale Kontakte zu haben.“
Fröhlich plaudert Carstens mit den Menschen, die sich wundern, warum er mit dem Pony unterwegs ist. Er genießt es sichtlich, im Mittelpunkt zu stehen. „Ich freue mich, mal was anderes zu erleben“, sagt er und streichelt zwischendurch Jay, den er an kurzer Leine selbst führt. Gerade hat das englische Miniaturpony - ein 15 Jahre alter und knapp 70 Zentimeter großer Hengst - ein bisschen Mist gemacht. Carola Weidemann sammelt die Hinterlassenschaften sofort ein und entsorgt die Tüte im Müll. „Damit keiner reintritt.“
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Denn viele, die gerade ihre Einkäufe erledigt haben, bleiben stehen und staunen. Eine Frau beginnt, das Pony mit Brot zu füttern. „Bitte nicht“, sagt Weidemann. Und erklärt: „Weiches Brot klumpt in der Kehle. Das ist gefährlich.“ Äpfel und Möhren sowie Mandarinen und Wassermelonen sind erlaubt, aber gerade nicht verfügbar. Bananen hat die Frau im Korb, die gehen auch. Stück für Stück lässt sich Jay das Leckerchen schmecken.
Dann bricht die kleine Truppe wieder auf. Tagespraktikantin Jamie (14) schiebt heute den Rollstuhl. Entlang der Pferdebachstraße geht es zurück zu den Feierabendhäusern. Busse und Lkw brausen direkt an Jay vorbei. Doch das Pony lässt sich nicht stören, macht einfach seinen Job. „Es braucht mindestens zwei Jahre Ausbildung, bis das Tier so sicher eine verkehrsreiche Straße entlanggehen kann“, sagt Carola Weidemann. Mit seiner Größe sei es übrigens die ideale Begleitung für Rollstuhlfahrer wie Uwe Carstens.
Pony Pumuckl bald im Guinnessbuch?
Carola Weidemann beherbergt auf ihrem Reiterhof insgesamt acht Mini-Ponys. Dazu gehört auch Pumuckl, das vermutlich kleinste Pony der Welt. Die Wittener kennen es bereits: Es war im vergangenen Jahr zu Gast beim Ostermarkt auf dem Rathausplatz.
Die Besitzerin wünscht sich, dass Pumuckl einen Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde bekommt. Denn laut Weidemann ist es kleiner als das bisher kleinste Pony der Welt, das eine Schulterhöhe von knapp 57 cm hat. Bei Pumuckl sind es 52 cm. Ihr sei mitgeteilt worden, dass ein Eintrag erst möglich ist, wenn das Tier sechs Jahre alt und ausgewachsen ist. Es könnte also 2024 klappen. Der Antrag läuft, nun wartet Weidemann auf Antwort.
Dann ist das Ziel erreicht und für die nächsten zwei Wochen heißt es: Abschied nehmen. Über eine Rampe marschiert das Pony ruckzuck in den kleinen Lieferwagen, der zum Transport reicht. Uwe Carstens gibt die Aussicht auf den nächsten Besuch neue Kraft. „Ich hoffe, dass es für mich bald nach vorne geht. Ich arbeite fleißig an einem ganz normalen Leben“, sagt er. Der tierische Spaziergang soll auch Anreiz für ihn sein, wieder das Laufen zu lernen.
Sein anderer großer Traum ist es, Pony Jay und all die anderen kleinen Pferde mal auf dem Reiterhof zu besuchen. Dieser Wunsch, sagt Manuela Söhnchen vom Sozialdienst, ist erfüllbar. An der Organisation würden sich die Feierabendhäuser beteiligen.
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