Witten. Bei Grund- und Gewerbesteuern liegt Witten bundesweit vorne. Nur beim Anwohnerparken ist die Stadt großzügig. Sind 30 Euro aber noch zeitgemäß?
Kürzlich diskutierte Deutschland über das Anwohnerparken, nachdem Richter die Jahresgebühr von 360 Euro in Freiburg gekippt hatten – aus verschiedenen Gründen, nicht einmal wegen der Höhe. Nachbarstädte von Witten haben derweil eine Anhebung des jahrzehntelang niedrigen Tarifs geplant. Hattingen will von 20 auf 150 Euro gehen, Bochum von 22 auf 120. Und Witten, die Stadt mit den höchsten Grundsteuern in der Republik? Trotz zugeparkter City-Straßen ist bislang kein verkehrssteuernder Dreh an der Anwohnerparkschraube in Sicht. Seit 20 Jahren zahlt man schlappe 30 Euro – für 365 Tage Parken im Jahr.
Dass die Gebühr so niedrig ausfällt, ist kein Alleinstellungsmerkmal für Witten. Bis 2022 war das einheitlich so im Land geregelt, bevor die Kommunen das selbst in die Hand nehmen durften. Dass auch in Witten Handlungsdruck besteht, darüber ist sich die Politik einig. Denn schließlich wollen alle den Verkehr im „öffentlichen Straßenraum“ in der Innenstadt reduzieren. Stichwort Klimaschutz und Verkehrswende. Da passen zugeparkte, enge Kietz-Straßen nicht mehr so recht ins Bild. Aber wirklich im Gange ist die Diskussion noch nicht. Alle warten auf das Mobilitätskonzept, das die Stadt nun für Oktober ankündigt.
Die Stadt verkauft 3000 Anwohnerparkausweise im Jahr, weshalb sich niemand über die Blechlawinen zwischen Stein-, Beethoven- und Mozartstraße wundern darf. Selbst an einem Dienstagvormittag in den Sommerferien sind viele der kleinen Straßen überfüllt. Und dort parken keineswegs nur Wittener.
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Wiesbaden, Potsdam, Herford, Steinfurt, aber auch Bochum und Dortmund: Witten scheint bei Auswärtigen beliebt zu sein, unter anderem Pendlern. Erstaunlich, dass hinter ihrer Windschutzscheibe oft ein Bewohnerparkausweis klebt. Die Stadt vergibt um die 200 Ausnahmegenehmigungen, die für maximal ein Jahr gültig sind und 153 Euro kosten. Könnten da nicht auch die Menschen, die wirklich aus Witten kommen, tiefer in die Tasche greifen?
Dass 30 Euro nicht mehr zeitgemäß sind, darüber sind sich die meisten einig. Doch einen großen Gebührensprung lehnen die meisten Bürger ab, die wir dazu am Dienstag befragt haben. „Für die Anwohner ist es wichtig, dass sie günstig parken können“, sagt Christiane (66), die mit ihrem Enkel zum Kinderarzt im Wiesenviertel muss und viermal eine Runde gedreht hat, bevor sie eine freie Lücke zum Parken fand. Das beobachtet man öfter: Die Menschen kurven lieber zigmal durch die City, anstatt sofort ins Parkhaus zu fahren. Genau da aber könnte die Lösung liegen.
Denn die Parkhäuser stehen oft halbleer. Die Autofahrer scheuen offenbar die Spindel und die Kosten. Unter freiem Himmel kann man teilweise länger für zwei Euro parken oder ganz umsonst mit der Parkscheibe. Sonst gilt sowohl in den Parkhäusern wie am Automaten eine Parkgebühr von einem Euro pro Stunde. Für einen ganzen Tag (24 Stunden) im Parkhaus zahlt man fünf bis zehn Euro.
Gutachter sehen in der stärkeren Auslastung der Parkhäuser ebenfalls einen Ausweg, um der Blechlawinen in den Wohnvierteln Herr zu werden. Aber wie kriegt man die bequemen Autofahrer dazu, ins Parkhaus zu fahren? Geschweige denn die Anwohner, die dort ein Dauerparkticket buchen müssten – was mit 60 bis 75 Euro pro Monat natürlich viel teurer käme als das städtische Anwohnerparken mit 30 Euro im Jahr.
Antworten verspricht sich die Politik wie gesagt von dem seit lange angekündigtem Mobilitätskonzept. „Es hilft ja nicht zu sagen, wir reduzieren die Parkplätze im öffentlichen Raum, wenn wir nicht sagen, wo die Leute sonst parken können“, sagt CDU-Fraktionschef Volker Pompetzki. Dass es zu viel Parksuchverkehr gebe und 30 Euro nicht mehr „unbedingt zeitgemäß“ seien, sei unbestritten. Aktiviere man Parkplätze wie am Saalbau, ließe sich schon Parkdruck aus der Innenstadt nehmen, so der 57-Jährige. „Es fehlt aber auch die technische Anbindung für die Digitalisierung“, sagt er. Gemeint ist zum Beispiel ein Parkleitsystem, das die Menschen gezielt zu den Parkhäusern führt und ihnen sagt, wie viele Plätze darin noch frei sind.
Mehr Platz für Kinder und Radfahrer, dafür würde auch Katharina (25) ins Parkhaus fahren, die wir mit ihren drei Kleinen an diesem Dienstagvormittag gerade in der Gerichtsstraße treffen. „20-mal“ habe sie eine Runde gedreht, bevor sie einen Parkplatz gefunden hätte, sagt sie. „Eine Katastrophe.“
Anwohner wie Alexander (56) aus der Wiesenstraße plädieren dafür, dass Parkhäuser mehr Kurzparken beziehungsweise „freie Einkaufszeiten“ ermöglichen. Andere warnen davor, den Verkehr zu stark aus der City zu verdrängen. „Unsere Städte sind nach dem Krieg so gebaut worden, dass der Verkehr in die Innenstadt kann. Daran hängen ja auch viele Arbeitsplätze und Läden“, sagt Rolf (65), der gerade sein Ticket im Novum-Parkhaus bezahlt.
Von einem „längeren Prozess“ spricht Liane Baumann (55), Fraktionschefin der Grünen. Sie bedauere es, dass die Richter in ihrem Freiburger Urteil eine soziale Staffelung bei den Anwohnerparkgebühren abgelehnt hätten. „So etwas würden wir uns für Witten wünschen. Wir wollen auf jedem Fall eine Sozialverträglichkeit“, sagt sie. Klar sei das Ziel, „den wenigen Platz in der Innenstadt gut zu nutzen“ – und da schweben der Grünen nicht unbedingt dicke SUV’s vor.
„60 Euro“ hielte Inge (69), die gerade auf dem kleinen Parkplatz neben dem Amtsgericht an der Steinstraße/Ecke Bergerstraße geparkt hat, für einen Anwohnerparkausweis für angemessen. Warum sie nicht ins Parkhaus fährt? „Ja, toll, und dann laufe ich nach da oben“, sagt sie. Sie warnt davor, in den Innenstädten künftig nur noch an die Radfahrer zu denken. „Nur Radfahrer kaufen gar nichts ein!“
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